
Damals
01.04.2017 -Damals dachten wir
Wir haben gelitten
Denn wir haben uns
Wirklich oft gestritten
Überleg: mit dir zu streiten
War doch ein Privileg,
Denn das hieß, im Umkehr-
schluss, mit Umweg,
Wir kannten uns gut genug,
Um uns streiten zu dürfen
Gut genug, dass wir
Eines Streites bedürfen
Wir kannten uns seitdem
Wir auf der Welt sind
Wie lange waren wir uns so ähnlich,
Unsere Unähnlichkeiten zu attestieren
Um mit dem selben Sturkopf
Aufeinander zuzurennen und zu verlieren?
Und was ist dann passiert?
Klein waren wir, ungeduldig
Und unverdorben, wollten mehr tun
Verkleiden haben wir gespielt
Manchmal auch Worms oder Moorhuhn
Und im kaputten Auto eures
Vaters haben wir Fahren imitiert
Haben das Universum gelernt und neu frisiert
Wir haben zusammen
Klingelstreiche angezettelt
bei unseren Eltern
um Taschengeld gebettelt
Sind Kilometer weit für
das neueste Zeichentrick
Magazin gelaufen
Konnten uns auch gerne
Bei Ausflügen im Wald
Absichtlich verlaufen
Haben Pfeil und Bogen geschnitzt
Und unsere kleinen Initialen
In fantastische Bäume eingeritzt
Haben Brombeeren gepflückt
Und Wasserpistolen gezückt
Man, wir haben uns so riesig auf Balla Balla,
Cola Kracher und die Erdbeer-Kugeln
vom Eismann gefreut,
es war alles so einfach
Wir haben weder Zeit,
Fight noch Mühe gescheut
Und als wir etwas älter wurden
Wurden wir zunehmend politisch
Wurden wir zunehmend auch kritisch
Wir sprachen über den Irak,
Bush, Meinungsfreiheit und anderen Quark
Über 9/11, Zensur und verlogene Kriege
Über die Vorboten vermeintlicher Siege
Wir haben zusammen sogar einen Anti-Bush
Song geschrieben und an die taz geschickt
Und gleichzeitig haben wir wie die Meisten
Aufgeregt auf Sam und Frodo geblickt
Alte Star-Wars Episoden neu entdeckt
Uns gegenseitig mit Scream-Masken erschreckt
Damals sagtest du, die Welt sei so schlecht!
Obwohl du selbst noch so jung warst, klein und frech,
Sagtest du schon damals die Welt sei schlecht?
Du hattest mir schon damals erzählt
Wie deine Mitschüler dich quälen
Wie sie dich anrempeln und belachen
Und sich über deinen Ausländer-Namen lustig machen
„Der Islam ist lahm!“
War eines ihrer harmloseren
und originelleren Ideen
„Der Islam ist lahm“
Worte von Menschen,
Die die Welt nicht verstehen
Die unseren Glauben nicht verstehen,
unseren Schmerz nicht sehen.
Ich weiß nicht, wie schlimm es wirklich war
Was es mit dir wirklich machte
Ich weiß nicht, wie es wirklich war,
Doch denke ich, kann ich´s erahn´n
Und trotzdem
Waren wir Immer weniger füreinander da
Und trotzdem
Sah ich dich immer seltener verwundbar,
Denn jedes Wort mit dir... wurde rar
Was ist der Grund, frage ich mich?
Was ist der Grund, frage ich dich?
Klar, für Kinder sind Beziehungen unkompliziert
Sie haben Emotionen im Spiel kommuniziert
Haben über Worte nur wenig reflektiert
Man sagte, was man meint, ganz unverziert
Darauf achten, welche Gefühle wir zeigen?
Wieso zeigen? Das ist es doch nicht, was sie verwirrt
Müssen Kinder doch niemanden Zuneigung beweisen
Also musste das kommen, was dann kam?
War es Stolz oder war es Ausdruck von Scham?
Was ist das in uns, das uns schweigen lässt?
Was ist das in uns, das uns verneinen lässt?
Dass wir leblos wirken, fahl und tot?
Dass kraftlos wir scheinen, starr und bedroht?
Mir wurde gesagt
Du hättest deine Schule gerade so beendet
Und eins - zwei Lehren abgebrochen
Du hättest ein paar Jahre verschwendet
Und du schweigst, anstatt vor Wut zu kochen
Du sagst, sie haben dich nie akzeptiert,
Du schweigst, weil die Wut in dir gebiert
Du hast dich mehr und mehr zurückgezogen
Ich weiß es nicht, sind es Depressionen?
Doch du hast dich nicht nur mehr und mehr zurückgezogen...
Sondern: du hast dich auch mehr und mehr selbst belogen
Dich in deine virtuelle Welt verschanzt
Und dir eine falsche Wirklichkeit gestanzt
Wie passte das zu dir?
Der nachdenkliche, intelligente Denker?
Wie passte das zu dir?
Der warmherzige, verantwortungsbewusste Lenker?
Das warst nicht du.
Sag, was ist das für ein virtuelles Leben?
In der ein Mensch mehrere Leben besitzt?
In der dir jeder Klick sofort etwas nützt?
In der die Welt, dir keine Wunden zufügt?
In der die Zeit, dich im Verlust nicht rügt?
Level 1 kann echtes Glück nicht schaffen,
Level 2 kann echten Sinn nicht spenden,
Level 3 echte Tränen nicht trocknen,
Level 4 keine echte Liebe hinterlassen
Ich weiß es nicht
Es ist nicht greifbar für mich
Denn du,
Du bist nicht erreichbar für mich
Du bist nicht mehr erreichbar
Du warst nicht da, als mein Vater starb
Du warst nicht da, auf meiner Hochzeit
Nicht da, während Mamis Krankheit
Nicht da, als ich mal am Boden lag
Aber ich
Ich war auch nicht da,
Nicht da, als dein Auge erkrankte
Nicht da, als deine Leistung nicht langte
Nicht da, als deine Mutter sich um dich bangte
Nicht da, als jemand, der sich bei dir
Für die gemeinsame Kindheit bedankte
Wenn es wahr ist, dass du
Nun ausgezogen bist
Deine Familie dich vermisst
Und du wieder eine Lehre
Beginnst
Diesmal an einem fremden
Ort
Wenn es wahr ist, dass du
Aber am liebsten wieder zur
Schule gehen möchtest
Eines Tages studieren
Ein Traum, aus einem fernen
Wort
Dann sage ich,
Es ist noch nicht zu spät
Auch der späte Samen wächst
Wenn man ihn in
Frische Erde sät
Und du ihn mit Sonnen-
Strahlen bedeckst
Du musst stärker an dich glauben
Auch wenn es hart ist
Auch wenn es tief in dir frisst
Du musst stärker auf
Gottes unendliche Liebe bauen
Auf die Kraft der Gebete vertrauen
Auf die Macht des Einen schauen
Ich will für dich da sein
Wie ich es kann
Ich will für dich beten
Wie ich es kann
Deine Schwester macht sich Sorgen,
Deine Schwester und ich, wir machen uns Sorgen.
In ihrem Kummer, hat sie sich geschworen
Dich irgendwie, ja irgendwie aufzuwecken
Für einen neuen Anfang, für einen neuen Morgen
Sag, kannst du meine Worte hören?
Sag, haben wir nicht schon genug geschwiegen?
