Islamische Kunst

Das Geheimnis der Kalligrafen

15.01.2017 - Mohammad Saboor Nadeem

Sie ziert den Taj Mahal, schmückt den Felsendom in Jerusalem und begrüßte einst die Gäste der osmanischen Sultane. Die arabische Kalligrafie, weit mehr als nur Schönschrift, sie ist ein Ausdruck der Mystik. Schon Goethe war entzückt von der ästhetischen Kunst der Bögen und Striche, der Kreise und Schwünge, einer jahrhundertelangen Tradition aus dem fernen Orient. Neben Geduld und einer ruhigen Hand des Kalligrafen, bedarf es hauptsächlich seiner innere Ausgeglichenheit und Harmonie, durch die später das Auge des Betrachters zum Tanz eingeladen wird.

Als ich vor einigen Wochen durch Istanbul spazierte, fiel mir zum ersten Mal auf wie allgegenwärtig die Kalligrafie dort ist. Sie ist nicht nur ein Sinnbild für märchenhafte Erzählungen eines längst vergessenen Bagdads, sondern ein fester Bestandteil des harmonischen Stadtbilds einer modernen Metropole, die Orient und Okzident in sich vereint. Eine Stadt im ständigen Wandel. Viele historische Wasserbrunnen laden an heißen Tagen auch Touristen, einige unter überdachten Pavillons, andere als Teil einer alten Hausmauer, zur Abkühlung ein. Von vielen in ihrer Schnelllebigkeit  übersehen, haben sie alle eins gemeinsam, es zieren sie kunstvoll herzliche Trinksprüche, Gedichte oder Koranverse aus Gold, Marmor oder Bronze in den unterschiedlichsten Schriftarten. Sogar in der modernen Baukunst findet diese alte orientalische Kunstform anklang. Neben Fliesenornamentik und Torbögen integrieren immer mehr Architekten die Kalligrafie als ihr besonderes Alleinstellungsmerkmal in modernen Bauten. Davon abgesehen hängen manchmal noch wahre Schätze in einigen türkischen Wohnzimmern, neben den schwarz-weiß Fotos längst verstorbener Vorfahren, sticht das eine oder andere verstaubte und vergilbte Manuskript in einem kitschigen Bilderrahmen hervor. Womit viele Kinder in ihrer Elternhäusern aufgewachsen sind, entpuppt sich manchmal tatsächlich als originales Manuskript eines berühmten Kalligrafie-Meisters, wofür ein Sammler auf dem Kunstmarkt mehrere tausend Euro zahlen würde.

 

Mit der Gründung der heutigen Türkei jedoch hat nicht nur Atatürk die letzten Geister des osmanischen Reichs systematisch vertrieben, besonders die junge linke Szene will die Last der längst vergangenen Epochen endgültig überwinden. Was nun merkwürdigerweise aus dieser Zeit überlebt und Eingang in das moderne Kunsthandwerk gefunden hat, ist die majestätische Kalligrafie, die mit ihren geschwungenen arabischen und persischen Buchstaben nur noch ein romantisches Lebensgefühl vergangener Zeiten erahnen lässt.

 

Der Ursprung der arabischen Kalligrafie liegt im 7. Jahrhundert n. Chr. Die ersten Schreiber nutzen seinerzeit die sog. Keilschrift um die heiligen Worte zu Kodifizieren. Damit wurde der Grundstein für ein Kunsthandwerk gelegt, das Jahrhunderte überdauerte und von den kreativsten Köpfen der mittelalterlichen arabischen Hochkultur weiterentwickelt wurde.

 

Mit der Expansion des muslimischen Reiches verlagerte sich das Machtzentrum von Mekka und Medina im heutigen Saudi-Arabien nach Damaskus und später Bagdad. Aus diesen fortschrittlichen Kulturzentren herrschten Kalifen jahrhundertelang über ein gewaltiges Reich von den südlichen Teilen Chinas bis nach Südeuropa. Hier wurde das Buchhandwerk weiterentwickelt, Enzyklopädien wurden verfasst und Gesetze kanonisiert. Es entstanden regelrecht Schreibschulen, aus denen später sogar Leonardo Da Vincis und Michelangelos der arabischen Schrift hervorgingen. Der berühmteste unter ihnen ist Ibn Muqla (geb. 885), der neben seinem politischen Amt als Premierminister unter drei Kalifen tätig, auch Kalligraf war und die arabische Schrift standardisierte. In seinem Kanon über die arabische Schrift klassifizierte er, neben der Keilschrift bzw. „Kufi“-Schrift, sechs bedeutende Schreibstile der dekorativen kursiven Schrift. Naskhi, Thuluth, Muhaqqaq, Riqaa, Rihani und Tauqi sind Schreibstile der arabischen Kalligrafie, die noch heute in der muslimischen Architektur der muslimische Frühzeit zu finden sind. Später unter der osmanischen Dynastie erlebte die Kalligrafie ihren Höhepunkt. Hier wurde die Kalligrafen, neben anderen Kunsthandwerken, in hofeigenen Schreiberein gefördert. Neben rein ästhetischen Zwecken diente sie auch der Repräsentation und Darstellung des imposanten osmanischen Reichs über die eigenen Grenzen hinweg. So wurden zwei eindrucksvolle Schreibstile als sog. Kanzleischriften üblich. Die Taliq-Schrift wurde eher verwendet um besondere Bücher und Gedichtbände niederzuschreiben und die Diwani-Schrift zierte erlasse des Sultans, denen immer eine stilisierte Tughra, die bekannten Namenssiegel des jew. osmanischen Sultans, vorgestellt waren. Vor allem in dieser Epoche entstanden regelrecht Bilder aus Schrift, die uns noch bis heute gut erhalten geblieben sind. 

 

Wer einmal in Istanbul war, wird sich sicherlich auf dem berühmten großen Basar, der ältesten Einkaufspassage der Welt, absichtlich verirrt haben. Doch die wenigsten besuchen dabei den ihm gegenüberliegenden kleinen fast genauso alten Bücher-Basar „Sahaflar Carsisi“. Wer sich dort treiben lässt, wird einem ebenso bunten Klientel begegnen, wie das Angebot der Buchhändler. Dort finden sich religiöse Bücher, Schulbücher, Magazine, und wer stöbert findet auch antike Schätze, handgeschriebene Aufsätze, bunte Miniaturen und sogar uralte Briefrollen. Sehr eindrucksvoll sind die Kalligrafen die abseits des Kundenstroms in engen Nischen sitzen und mit einer Rohrfeder auf einem speziellen Papier, fast schon meditierend, versunken zwischen Stapeln von Büchern, mit einer ruhigen Hand bekannte Vorbilder kopieren. Und ihnen gegenüber eine ganze Ladenzeile voller wertloser, jedoch gut aufgearbeiteter gerahmter Fotokopien von Manuskripten alter bekannter Meister. Viele zeitgenössische Kalligrafen haben es dadurch sehr schwer ihr Handwerk an diesem historisch Ort zu erhalten, denn viele Touristen erkennen den offensichtlichen Unterschied nicht, oder versuchen den oft berechtigten Preis für eine handgefertigtes Kalligrafie runterzuhandeln, mit der Begründung dass der Händler gegenüber ähnliches für weniger Geld und mit einem Bilderrahmen verkaufen würde. Dabei würden sie den ganzen Aufwand eines handgefertigten Schriftstücks minutenlang beobachten, beklagen viele Kalligrafen. Bemerkenswert ist nun aber, dass Einheimische oder Besucher aus muslimischen Ländern die Hauptabnehmer dieser begabten Künstler sind und europäische Touristen kaum einen Sinn für diese Kunstwerke haben.
Manchmal aber kommen junge männliche Studenten mit einem kurzen Vers aus einem osmanischen Liebesgedicht bei ihnen vorbei und geben in Auftrag diesen in Schönschrift für ihre Freundinnen zu schreiben, das freut die Kalligrafen dann sehr, denn dann können sie ihr feinsinniges Talent genau dafür einsetzten, wofür es ursprünglich entwickelt wurde.

 

Auch die Universität und die staatliche Kulturstiftung versuchen durch Förderprogramme und Ausschreibungen neue Künstler und Anhänger dieses einzigartigen Kunststils zu gewinnen, dafür reisen noch relativ viele Künstler aus weiten Teilen des Landes, nach Istanbul um ihre Fertigkeiten zu bewerben. Diese Institutionen haben ebenso zum Ziel die antiken Kalligrafien historisch und wissenschaftlich aufzuarbeiten und damit ein starkes Bewusstsein für dieses Kulturerbe zu schaffen.

 

Nick Merdenyan, ein armenischer Christ, versucht dies auf seine Art. In seinem sehr schmalen engen Laden auf dem Alten Basar, sitz der freundliche alte Mann hinter einem unaufgeräumten alten Schreibtisch und wirkt trotz der räumlichen Enge relativ klein und rundlich. Seine Herzlichkeit, mit der er wohl alle seine Kunden empfängt, lässt vermuten dass er ein sehr feinsinniger und verträumter Mensch ist. Zu seinen Kunden zählt er auch Präsidenten dieser Welt und seine Werke hängen in den weiten Korridoren einiger königlicher Paläste. Nick ist ein Kalligraf der ganz besonderen Art. Eines Tages fand er ein vertrocknetes Laubblatt in einem Buch wieder und fing an darauf arabische Buchstaben zu malen. Diese einzigartige Kunstform professionalisierte er und haucht in seiner kleinen Werkstatt seit über dreizig Jahren Blättern durch Kalligrafie und bunter Ornamentik eine neue frische Seele ein.

 

Bis vor einem Jahrzehnt war jedoch Damaskus noch die Welthauptstadt der arabischen Kalligrafie. Der Autor Rafik Schami zeichnet zu meinen Eindrücken aus Istanbul, ein emphatischeres Bild der Damaszener Kalligrafen-Szene voller Romanzen, Märchen und Geheimnisse. Er beschriebt dabei die Kalligrafie als eine Schrift mit strengen Rhythmen, als Musik für die Augen: „So wie das Ohr die Musik genießt, genießt das Auge die arabische Kalligraphie, ohne sie zu verstehen.“ Und auf diese eleganten mystischen Buchstaben ist die ganze arabische Kultur aufgebaut und damit wurde das Selbstverständnis vieler orientalischer Dynastien festgehalten. So ist es kein Wunder, dass sie viele Liebhaber fasziniert. Ob und wie nun die orientalische Kalligrafie, durch die vielen neuen syrischen Künstler in Deutschland, unsere Kunstszene verzaubert bleibt sehr spannend zu beobachten.

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