Kurzgeschichte

Das Land der Gegensätze

15.03.2014 - Steffen Finnern

Ich kam gerade frisch aus Tansania nach Deutschland zurück. Tansania liegt in Ostafrika, südlich von Kenia am Indischen Ozean. Es ist berühmt für den höchsten Berg Afrikas, liegt an Afrikas drei größten Seen und sogar die Gewürzinsel Sansibar, im Zweifel der schönste Fleck auf diesem Planeten, gehört dazu.

Ich war nicht unvorbereitet in dieses unfassbar exotische Land gegangen und hatte vorher ein beträchtliches Maß an Literatur über meine Destination gewälzt, um nicht nur über geografische und klimatische Bedingungen gut informiert zu sein, sondern auch kulturelle Eigenheiten und typische Verhaltensmuster einschätzen zu können. Dem Ergebnis jeglicher Recherche, sowie dem Gesamtbild aller persönlichen Gespräche, konnte ich also entnehmen, dass mich südlich vom Äquator ein Kulturschock von ungeahntem Ausmaß treffen würde. Warum? Weil dort alles so widersprüchlich sei! Gut, dachte ich, als jemand der in einem Land aufgewachsen ist, indem eine Partei regiert, die mit Slogans wie „Arbeit soll sich wieder lohnen“ zu einer Bundestagswahl antritt und einem gesetzlichen Mindestlohn ganz entschieden entgegentritt, sollte ich mit offensichtlichen Widersprüchen doch bestens vertraut sein, oder? „Nein, nein, du musst da wirklich gnadenlos viel in deren Aussagen rein interpretieren, weil die ganz oft was ganz anderes meinen, als sie eigentlich sagen!“ Ach so, ja. Kenn ich aber auch zur Genüge. Im gesellschaftlichen Rahmen wird bis heute noch Willy Brandt zitiert, wie er einstmals sagte: „Vom deutschen Boden darf nie wieder Krieg ausgehen,“ von Leuten, die im gleichen Atemzug davon sprechen, dass Deutschland so genannter Exportweltmeister sei. Um da jetzt den Bogen zu schlagen muss man sich nur kurz fragen, was wir denn so weltmeisterlich exportieren. Lederhosen und Oldesloer Korn oder vielleicht doch eher Heckler und Koch Sturmgewehre und Leopard Panzer? Man möchte also meinen, dass man auch in der Bundesrepublik Schland die ein oder andere Meta-Botschaft entschlüsseln darf.

 

Ein anderes Kapitel im Vorfeld war die große Verbundenheit der Tansanier zur Tradition und die beinahe götzengleiche Verehrung politischer Oberhäupter und folglich, eine sehr verklärte Sicht auf die eigene Vergangenheit. „Dann bin ich doch in bester Gesellschaft!“, dachte ich mir so. Schließlich steht in meinem Heimatort die so genannte 'Lettow-Vorbeck Kaserne', benannt nach dem großen deutschen General, der in Ostafrika zwischen 1914 und 1918 für den Tod von bummelich 700.000 Zivilisten verantwortlich zeichnete. So lange hier Einrichtungen nach Massenmördern benannt werden, kann mich wenig schockieren.

 

„... und die sind da alle super spirituell, die glauben an die verücktesten Sachen. Zum Beispiel, dass Zaubertränke aus Albino-Knochen zu außerordentlichem Wohlstand führen!“ Ein wenig erschreckend und jedenfalls äußerst skurril, wenigstens das sollte mir doch einen gewissen Respekt vor diesen fremden Rieten einflößen. „Na und? In Mitteleuropa glauben Leute daran, dass sich die Finanzmärkte selbst regulieren!“, wagte ich darauf mal zu antworten. Denn Hexerei mag ausgemachter Blödsinn sein, ist aber in Zeiten von Rettungsschirmen und Eurokrise jedenfalls nicht ganz so zynisch.


„Aber die Korruption und Vetternwirtschaft sind da absolut alltäglich, das ist echt der Hammer!“ „Ein ganz alter Hut, mein Bester,“ hätte ich beinahe laut ausrufen möchten, denn bis jetzt kenne ich noch keinen Ort, an dem die Korruption nicht alltäglich ist. Man kann sie natürlich auch vornehm als Lobbyismus betiteln. Oder halt das Kind beim Namen nennen. Ich bin mir nämlich relativ sicher, dass zum Beispiel Günther Oettinger seinen Posten als EU-Kommissar für Energie weder aus Gründen seines formidablen Fachwissens im Bereich der Energie-Politik, noch wegen seines rhetorischen Geschicks bekommen hat.

 

„Und Arbeitsmoral kannste da auch keine Erwarten. Da musste auf jeden Fall erst mal die Ansprüche runterschrauben. So mit deutscher Gründlichkeit oder Ähnlichem kannste da echt nicht  rechnen. Ey bis die da mal was fertig gebaut haben...“ „Und ich so: Elbphilharmonie!“ Und wenn das Gespräch heute stattgefunden hätte, hätt' ich vermutlich auch noch „Stuttgart 21“ und „Flughafen Berlin-Brandenburg“ geantwortet. Auch das deutsche Pferdehack springt nicht höher, als es muss.


„Du wirst da jedenfalls viele Sachen erleben, die du dir einfach nicht erklären kannst und die du dann einfach so hinnehmen musst!“ Stimmt. Manche Sachen konnte ich mir in Tansania tatsächlich nicht erklären, die meisten allerdings schon. Die Leute sind größtenteils unbeschreiblich arm und versuchen, das Beste aus ihrer Situation zu machen. Anderweitig sind sie den Menschen in Deutschland, oder jedem anderen beliebigen Land, relativ ähnlich. Menschen eben. Der Kulturschock dort war jedenfalls nicht mit dem vergleichbar, den ich nach der Rückkehr hatte. In Tansania fährt niemand mit dem Auto zum Spinning.

 

 

 

 

Foto: © Marc Veraart

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