Kurzgeschichte

Das Leben ist kein Fern-Sehen

15.10.2016 - Michaela Ciolkowski

Man hört es in den Nachrichten, liest es in den Zeitungen dieser Tage sehr häufig, eigentlich immer. Die Toten in Frankreich, die Opfer des Terrorismus. Man erfährt von den Attentätern, die sich schon Monate dem Morden hingeben, erfährt, dass sie in ihrer Hochburg des Terrors verstümmelte Leichen an ihre Autos gehängt haben und damit durch die Gegend gefahren sind.

Ein Bild des Schreckens, eine psychologische Waffe um die Menschen vor Angst erstarren zu lassen. Und doch, wie liest es sich? Kalt, nüchtern, überlegt! Ein Krimi spielt sich vor unseren Augen ab, ein Film nur, denn all das ist weit weg von unserem normalen Leben.

Und auch die Sprache ist weit weg von unserem Herzen. Es ist die Sprache des Fernsehens! Und wie das Wort schon aussagt Fern – Sehen. Wir können nicht begreifen, wie NAH der Terror ist, weil wir in die Ferne sehen, weil uns der Terror in Bildern lachend entgegenwinkt, weil die ungeheuerliche Wirklichkeit nicht die unsere ist.

Ich stoße mich an der Sprache und es gibt ein Wort, dass ich für Betroffene unfassbar grausam und für Nicht-Betroffene ungemein sachlich halte, es ist eine Nicht-Vermenschlichung, eine abweisende, verdrängende Art mit dem Tod vieler Menschen umzugehen, es ist die Absprache eines jedweden gelebten, geliebten und vernichteten Lebens, es entfernt uns Nicht-Betroffene (sofern man nicht betroffen sein kann) von dem tatsächlichen Geschehen, es ist das Wort: Leiche!
Überall lagen die Leichen! Nein, möchte ich schreien, wütend, traurig, schockiert über die Berichterstattung, die viele Tote als Leichen bezeichnet. So wie Tisch und Stühle Möbel sind, so sind tote Menschen eben Leichen. Kalte Körper nur! Nein, nein, nein!!! Wenn ihr schon dem todbringenden Terror die Macht einräumt, in alle Wohnzimmer einzuziehen, wenn ihr die lachenden Gesichter der Mörder in Großaufnahme druckt und zudem deren Eitelkeit befriedigt, indem ihr uns mit Einzelheiten über ihre Gräuel versorgt, wenn ihr uns mit Informationen über Opferzahlen und Hinrichtungsarten zuschüttet, dann bitte habt den Respekt gegenüber den ermordeten MENSCHEN und die Rücksicht gegenüber den Überlebenden und den Hinterbliebenen, habt das Mitgefühl die „Leichen“ (Definition: tote Körper, Mensch oder Tier) als Tote zu bezeichnen. Denn der Tod ist uns allen schon in irgendeiner Form begegnet. Jeder von uns kann den Verlust, den Schmerz und die Trauer, die ihn begleiten, fühlen, mitfühlen. Das Leben ist kein Fern – Sehen und der Tod sollte es auch nicht sein!

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