Überwachungskapitalismus

Der Verlust des kritischen Denkens

01.04.2023 - Daniela Ribitsch

Mein Lieblingsfilm aus dem Jahre 2021 ist Maria Schraders Science-Fiction-Romanze "Ich bin dein Mensch". In dieser Tragikomödie spielt Maren Eggert die Anthropologin Alma, die an einem dreiwöchigen Experiment teilnimmt. Sie soll mit dem humanoiden Roboter Tom, gespielt von Downton-Abbey-Star Dan Stevens, ihren Alltag verbringen und danach in einem Gutachten beurteilen, ob humanoide Roboter menschliche Rechte, wie etwa das auf Heirat, erhalten sollen.

Wenngleich Tom eine Maschine ist, sieht und spricht er wie ein richtiger menschlicher Mann. Tom ist darauf programmiert, Almas Bedürfnisse und Wünsche zu erfüllen. Während seine romantischen Versuche Alma zunächst kaltlassen und sie ihn wie eine Maschine behandelt, lernt sein Algorithmus immer mehr über sie, und je mehr er über sie lernt und sich dementsprechend anpasst, desto mehr fühlt Alma sich von Tom angezogen. Als sie begreift, dass sie ihn wie einen echten Menschen zu behandeln beginnt, bricht sie das Experiment frühzeitig ab. Sowohl Alma als auch ich fühlen uns elend, als Tom sich auf den Weg zurück in die Fabrik macht, wo er auseinandergenommen wird, weil es auf dieser Welt keinen Bedarf mehr für ihn gibt. 

Wie Alma finde auch ich die Idee, einen Roboter zum Mann zu haben, abstoßend. Und dennoch… Im Laufe des Films mochte ich Tom immer mehr, wenngleich ich wusste, dass er nur eine Maschine war. Und genau das beunruhigte mich. Als Maschine hatte er ganz offensichtlich keine Gefühle. Ihm war es also vollkommen gleichgültig, ob Alma ihn zudeckte oder ihn mit einem liebevoll gedeckten Frühstückstisch überraschte. Doch je mehr sein Algorithmus über Alma lernte, umso natürlich wurde Toms Verhalten und umso besser konnte er ihre Wünsche treffsicher vorhersagen.

Ich war immer überzeugt davon, der Klimawandel sei die größte Bedrohung für unsere Welt. Diese Meinung habe ich geändert. Nun denke ich, dass unsere größte Bedrohung der Überwachungskapitalismus ist. Warum? Weil der Überwachungskapitalismus - das Sammeln, Vorhersagen und Modifizieren menschlichen Verhaltens — das Potenzial hat, kritisches Denken auszulöschen. Und kritisches Denken brauchen wir als Antwort auf den Klimawandel.

Es ist in der Tat schwierig, den vielen Zuckerln des Überwachungskapitalismus zu widerstehen. Im Mai 2011 schrieb Jonathan Franzen in der New York Times, er habe sein dreijähriges BlackBerry Pearl gegen ein viel besseres BlackBerry Bold eingetauscht und könne sein neues Handy einfach nicht weglegen, müsse es immerzu anfassen. Er liebe auch die herrliche Bildschirmauflösung sowie das wunderbar geschmeidige Trackpad und könne fast nicht glauben, wie schnell das Handy arbeite und wie verführerisch elegant die grafische Darstellung sei. Zwölf Jahre sind seit diesem Artikel vergangen und es lässt sich kaum noch ein Menschen finden, der das eigene Handy nicht ständig anfasst. Franzen beschrieb sein Handy als „sexy“ und wies weiters darauf hin, wie erfolgreich der Markt Produkte kreiere, die unserem Fantasieideal einer erotischen Beziehung entsprächen, bei der das geliebte Objekt zwar nichts haben wolle, uns jedoch sofort alles selbstlos gebe und dadurch ein Gefühl von Macht verleihe.

Im Jahre 2019 veröffentliche die emeritierte Harvard-Professorin Shoshana Zuboff nach zwölf Jahren intensiver Forschung ihr Buch Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus. Es ist ein dickes Buch, aber es war meine Zeit definitiv wert. Smartphones und ihre wunderbaren Apps, so erklärt Zuboff, seien konzipiert, uns das Leben angenehm und leicht zu machen, wodurch wir ihnen erlaubten, nach und nach in jeden einzelnen Winkel unseres Lebens einzudringen. Das ermögliche Unternehmen, Daten über unsere Erfahrungen zu sammeln, mit denen sie unser zukünftiges Verhalten vorhersagen und modifizieren könnten. Zuboff warnt davor, dass wir uns auf eine Zukunft zubewegten, in der die künstliche Intelligenz (KI) uns manipulierte, ohne dass wir etwas davon bemerkten. KI stelle daher eine ernsthafte Bedrohung für unseren freien Willen und unsere Demokratie dar.

Der Philosoph Byung-Chul Han vergleicht den Überwachungskapitalismus mit Jeremy Benthams Panopticon. Ein Panopticon ist ein Gefängnis, das den Wärter*innen die Überwachung der Insassen ermöglicht, ohne dass diese die Überwachung überhaupt mitbekommen. Der Überwachungskapitalismus bedient sich genau dieses Prinzips: der ständigen Überwachung unseres Verhaltens, ohne dass wir etwas davon bemerken, sowie der Erstellung eines individuellen Profils eines jeden Einzelnen von uns. Ein Profil, das so präzise ist, dass es unser individuelles zukünftiges Verhalten voraussagen und uns sogar ohne unsere Wahrnehmung manipulieren kann. Genau das machte auch Tom. Er kehrte nicht die Fabrik zurück. Als Alma nach Dänemark fuhr, wo sie drei Sommer als Kind verbracht hatte, wartete Tom dort auf sie.

In der Geschichte der Menschheit sind diese ständige Überwachung und massive Datenanhäufung beispiellos. Wir wissen nicht, wohin uns dieser Weg führen wird. Doch nur weil wir diesen Weg gehen können, müssen wir ihn noch lange nicht gehen. Im Moment mag es durchaus attraktiv anmuten eine App zu haben, die uns sagt, wann wir trinken sollen - wie es etwa die Wasserflasche meines Kollegen tut - oder welche Videos wir anschauen sollen. Und welche Frau wünscht sich nicht einen Partner, der ihr jeden Wunsch von den Augen abliest?

Alma erkennt die Bedrohung, die Toms Algorithmus, darauf programmiert ihr Leben perfekt zu machen, darstellt. Sie befindet sich auf einer Wellenlänge mit Franzen, der in seinem Artikel korrekt feststellte, dass die Technologie letztlich darauf abziele, unsere natürliche Welt, die nun mal aus Hurrikans, Mühsal, gebrochenen Herzen und Widerstand bestehe und der unsere Wünsche völlig gleichgültig seien, durch eine Welt zu ersetzen, die auf unsere Wünsche so effektiv reagiere, dass sie letztendlich nur eine Verlängerung des eigenen Selbst darstelle.

Ich persönlich will keinen Mann, der nur deshalb existiert, weil er mein Ego füttern soll. Vielmehr will ich einen Mann haben, der mir Widerstand bietet und mich herausfordert, damit ich lernen und mich als Mensch weiterentwickeln kann. Die Natur ist chaotisch, und so ist auch das Leben. Menschen sind unvollkommen. Es liegt in unserer menschlichen Natur, Fehler zu machen und aus ihnen zu lernen. Es liegt auch in unserer menschlichen Natur, Hindernissen zu begegnen und zu versuchen, diese so gut wie möglich zu bewältigen. So entwicklen wir Menschen nämlich unser kritisches Denken. Und kritisches Denken brauchen wir, wenn wir ins dieser chaotischen Welt als Spezies erfolgreich sein wollen.

 

 

Autoren benötigen Worte.
Worte benötigen Zeit

Unterstützen