Ökonom im Interview

Detlev Schlichter: "Es wird böse enden"

15.03.2014 - Eren Güvercin

Ihm zufolge sind alle Papiergeld-Systeme der Vergangenheit gescheitert. Entweder versanken sie im Chaos oder die Gesellschaft kehrte zum Warengeld zurück, bevor dies passieren konnte. DAS MILIEU sprach mit dem Ökonomen Detlev Schlichter über die Instabilität des unsrigen Papiergeld-Systems und die grundsätzliche Unvereinbarkeit einer funktionierenden Marktwirtschaft und freien Gesellschaft mit einem staatlichen Papiergeld-System.

DAS MILIEU: Sie haben lange Jahre bei internationalen Finanzkonzernen gearbeitet, u.a. J.P. Morgan und Merill Lynch Investment Managers. Warum verließen Sie den Finanzsektor? Was führte Sie dazu, Ihr erstes Buch, was zunächst auf Englisch mit dem Titel “Paper Money Collapse” erschien, zu verfassen?

Schlichter: Es war die Erkenntnis, dass unser Finanzsystem fundamental instabil ist und wir notwendigerweise von einer Krise zur nächsten stolpern, wobei jede Krise grösser ist als die jeweils vorhergegangene. Was uns aus der jeweiligen Krise herausführen soll, ist immer wieder eine Politik des leichten Geldes: Zinssenkungen, die die Finanzmärkte stützen und die Banken zu erneuter Kreditvergabe anregen sollen. Diese Politik, die seit 30 Jahren betrieben wird, ist falsch.

Sie ist letztendlich kontraproduktiv, da sie ja nur die gleichen Verwerfungen wieder hervorbringt, die Ursache der vorhergehenden Krise waren. Mit künstlich billigem Geld, neuem Schuldenmachen und kreditfinanzierten Haussen in den Märkten für Aktien, Anleihen und Immobilien wird bestenfalls ein kurzlebiger Scheinaufschwung produziert. Auf das Platzen von Blasen antwortet man mit neuen und nur noch größeren Blasen. Das führt letztendlich das ganze Finanzsystem in die Sackgasse.

Nach der Finanzkrise 2007/2008 hatte ich auf Besinnung und Umkehr gehofft. Das war falsch. Nach dem Zusammenbruch der Investmentbank Lehman war klar, dass die gleiche Politik fortgesetzt wird. Natürlich nur noch extremer. Seit fünf Jahren haben wir nun de facto Nullzinsen rund um den Globus, von den USA bis Japan. Alle Zentralbanken intervenieren in großem Stil in den Finanzmärkten, um eine Bereinigung des Systems, eine Liquidation der Verwerfungen, mit allen Mitteln zu verhindern.

Mit Marktwirtschaft hat das Ganze nicht viel zu tun. Dass diese Politik zu einem sich selbst tragenden Aufschwung führt ist ein ans Lächerliche grenzender Mythos. Dieses System und diese Politik sind dennoch von einem weitreichenden intellektuellen Konsens getragen, von markroökonomischen Grundüberzeugungen, die weitgehend die Diskussion bestimmen, auch in den Finanzmärkten. Die intellektuellen Irrtümer hinter diesen Grundüberzeugungen offenzulegen, das ist das Hauptanliegen meines Buches.

DAS MILIEU: Sie schreiben in Ihrem Buch “Das Ende des Scheins”, dass alle Papiergeldsysteme der Vergangenheit gescheitert seien. Warum ist das Papiergeldsystem instabil und somit aus Ihrer Sicht zum Scheitern verurteilt?

Schlichter: Zunächst eine Vorbemerkung: Geld als universelles Tauschmittel und allgemeine wirtschaftliche Rechnungsgrundlage ist für eine moderne Volkswirtschaft natürlich unentbehrlich. Dennoch werden vom Geldwesen, egal wie es gestaltet ist, mitunter störende Einflüsse auf die übrige Wirtschaft ausgehen. “Neutrales” Geld, das wie ein Schleier über der Realwirtschaft liegt und auf diese nicht zurückwirkt, ist unvorstellbar. Es geht also nie darum, ein perfektes und absolut stabiles Geldsystem zu entwerfen, sondern eines, das eine möglichst ungehindert funktionierende Marktwirtschaft ermöglicht.

In diesem Zusammenhang ist die Frage der Elastizität des Geldangebots entscheidend. Wir können unterscheiden zwischen Systemen mit weitgehend unelastischem Geldangebot und solchen mit elastischem Geldangebot. Erstere sind geschichtlich die Norm. Sie beruhen in der Regel auf Warengeld, wie dies zum Beispiel bei einem echten Gold-Standard der Fall ist.

Auch bei einem Gold-Standard ist die Geldmenge nicht ganz starr. Zum einen wird neues Gold gewonnen, zum anderen gelang es Banken, auch unter Gold-Standard-Bedingungen immer wieder bis zu einem gewissen Grad Geld-Substitute in Umlauf zu bringen, also Banknoten oder Bankguthaben zu emittieren, die nur zum Teil mit Gold unterlegt waren, aber dennoch von der Öffentlichkeit wie echtes Geld (Gold) benutzt wurden. Dennoch: Diese Aktivitäten waren notwendigerweise begrenzt. Die Geldmenge war insgesamt relativ starr. Geld war Gold und keiner konnte es aus dem Nichts zaubern.

Demgegenüber ist in Papiergeldsystemen wie unserem die Geldmenge nicht an einen begrenzt vorhandenen Rohstoff gebunden und im Prinzip völlig flexibel. Geld kann kostenlos und in unbegrenzten Mengen gedruckt oder per Knopfdruck kreiert werden. Natürlich kann nicht jeder Geld drucken. Das Privileg dazu liegt immer beim Staat. Reine Papiergeldsysteme sind nie das Resultat von Marktkräften, sondern immer staatliche Geldsysteme, also politische Veranstaltungen.

Eine raschere Ausdehnung der Geldmenge ist jetzt möglich und diese erfolgt immer unter politischen Vorgaben und gemäß herrschenden ökonomischen Theorien: stabiles Wachstum und mäßige Inflation generieren, Vollbeschäftigung sicherstellen, Banken retten, Staatshaushalte finanzieren, Wirtschaft ankurbeln – was auch immer. Die Vorgaben sind politisch. Das geht gar nicht anders, auch wenn der Geldschöpfungsprozess immer noch über nominell private Banken abgewickelt wird.

Bei jeder Geldschöpfung fließt das neue Geld der Wirtschaft an einem bestimmten Punkt zu, von dem aus es sich durch zahlreiche Transaktionen ausbreitet. Dieser Prozess muss zu Verwerfungen führen. Nicht alle Preise reagieren gleichzeitig und in gleichem Maße auf das neue Geld. Es kommt zu Veränderungen der Preisrelationen, damit zu einer Veränderung der Resourcenverwendung und notwendigerweise zu einer Verschiebung der Einkommens- und Vermögensverteilung. Es gibt immer Gewinner und Verlierer.

Ganz konkret und in unserem System geht das so: Die Geldschöpfung erfolgt über das Bankensystem und das neue Geld geht zunächst durch die Finanzmärkte. Dies führt zu niedrigeren Zinsen und damit üblicherweise zu erhöhter Kreditaufnahme und gesteigerter Investitionstätigkeit. Das klingt zunächst gut. Nun ist es aber so, dass Investitionen reale Ressourcen in Anspruch nehmen und daher letztendlich einer echten Ersparnisbildung bedürfen. Nur durch Sparen werden echte Ressourcen frei, welche zuvor dem Konsum dienten. Ein durch Geldschöpfung angeregter Investitionsboom kann somit nicht zu nachhaltigem Wachstum führen. Der künstliche Aufschwung endet somit nach einiger Zeit unwiderruflich in einer Rezession.

Hätte freiwilliges Sparen zu einem erhöhten Kreditangebot und fallenden Zinsen geführt, wäre das nicht der Fall gewesen. Dass Geldmengenausweitungen destabilisierend sind, wurde unter Ökonomen schon lange diskutiert. In unserem System wird dieses Problem noch dadurch potenziert, dass eine Bereinigung, eine Liquidation der Fehlallokationen durch die Rezession, in der Regel durch erneute Zinssenkungen und Geldinjektionen unterbunden wird. Im Zeitablauf summieren sich die Instabilitäten somit auf.

Gelddrucken ersetzt eben Sparen als Grundlage der Kapitalbildung nicht, und Gelddrucken kann keinen nachhaltigen Wohlstand schaffen. Zinsen sind Marktpreise, denen in der Marktwirtschaft elementare Steuerungsfunktionen zukommen. Die ständigen Geldmengenausweitungen in Papiergeldsystemen verzerren Marktzinsen fortlaufend. Dies führt zu wachsender Instabilität.


DAS MILIEU: Der Glaube an das Papiergeld heute ist aber unerschüttert, trotz heftiger Finanzkrisen. Warum wird in der gegenwärtigen Situation das Papiergeldsystem nicht in Frage gestellt?

Schlichter: Zunächst besteht heute ein weiterverbreiteter Irrglaube, dass eine ständige Ausweitung der Geldmenge erforderlich sei, damit die Wirtschaft wachsen kann. Das ist falsch, wie ich in meinem Buch anhand der Theorie nachweise, aber wie es auch ein rascher Blick auf die Wirtschaftsgeschichte bestätigen könnte. Zudem glauben viele Menschen, dass der Gold-Standard gescheitert sei, dass er an der grossen Wirtschaftskrise der 1930er Jahre Schuld war, und dass Gold-Standards einfach überholt seien. All dies ist falsch und eigentlich schnell widerlegt.

Dann ist heute die Bereitschaft deutlich größer, dem Staat eine einflussreiche Rolle im Wirtschaftsgeschehen, und vor allem im Geldwesen, zuzusprechen. Dies führt zu dem kuriosen Umstand, dass die meisten Menschen es heute merkwürdig fänden, wenn der Staat die Preise für Bananen oder Autos festsetzte, aber offensichtlich nichts daran auszusetzen finden, dass die staatliche Zentralbank die wichtigsten Zinsen festlegt und die Geldmengen zentral zu steuern versucht.

Auch die moderne Volkswirtschaftslehre hat hier nicht gerade geholfen. Seit 80 Jahren haben Makroökonomie und die mathematischen und statistischen Verfahren der Ökonometrik (econometrics) Forschung und wissenschaftliche Debatte beherrscht. Diese Methoden legen aber ungebührliches Gewicht auf statistische Gesamtgrößen, wie das Bruttoinlandsprodukt und das Preisniveau.

Um die verzerrenden Wirkungen der Geldschöpfung zu verstehen, ist es aber wichtig, die Aufmerksamkeit auf Veränderungen der Preisrelationen und auf Verschiebungen in der Ressourcenallokation zu lenken. Das ist heute unmodern geworden. Dann gibt es auch noch politische Gründe: Weder die Staaten noch die Finanzindustrie haben ein Interesse daran, das Papiergeldsystem in Frage zu stellen.

DAS MILIEU: Was sind, kurz zusammengefasst, die Folgen des heutigen Papiergeldes und, dass Geld in Form von Kredit aus dem Nichts entsteht?

Schlichter: In einer funktionierenden Marktwirtschaft entsteht realer Wohlstand dadurch, dass aus dem realen Einkommen reale Ersparnis gebildet wird (eben durch Konsumverzicht). Diese erlaubt dann reale Kapitalbildung, welche die Produktivität der Wirtschaft hebt und somit zu höheren Realeinkommen führt. Aus denen kann wiederum leichter mehr gespart werden. Und so weiter. Papiergeldausweitung stört diesen Prozess.

Es wird ein Scheinwohlstand kreiert. Vorübergehend erscheint zusätzliches Investieren möglich auch ohne zusätzliches Sparen und Konsumieren ohne zusätzliche Einkommenserzielung. Es kommt zu Fehlallokationen von Kapital und einer Fehlleitung wirtschaftlicher Aktivität. Die eklatantesten Folgen jahrzehntelanger Geldproduktion und künstlich gesenkter Zinsen sehen wir jetzt weltweit: aufgeblähte Bankbilanzen und ein überproportional gewachsener Finanzsektor, der inhärent instabil ist; Blasenbildung in den Märkten für Vermögensgüter (Aktien, Anleihen, Immobilien); waschende Verschuldung von Unternehmen, Haushalten und zunehmend der öffentlichen Hand; steigende Abhängigkeit des gesamten Finanzsystems von niedrigen Zinsen, letztlich von Nullzinsen für immer.

Entweder wird das Gelddrucken irgendwann freiwillig eingestellt und dem Markt die Liquidierung der angehäuften Ungleichgewichte erlaubt - das wäre schmerzlich aber dennoch die bessere Lösung - oder Gelddrucken und Marktmanipulation nehmen immer groteskere Ausmaße an, bis letztendlich das Vertrauen ins Geld selbst schwindet und es zu einem hyperinfaltionären Zusammenbruch kommt. Letzteres bleibt das wahrscheinlichere Szenario und ist in der Geschichte der Papiergeldsysteme nach wie vor das auch das häufigste Endszenario.

DAS MILIEU: Wir reden ja oft von einer “freien Marktwirtschaft”, aber in Währungsfragen gibt es keine Alternativangebote für den Bürger. In den Vereinigten Staaten gibt es in einigen Bundesländern Bestrebungen, Alternativwährungen wie etwa Gold oder Silber einzuführen. Warum ist es so schwer in der derzeitigen Lage dem Bürger die Entscheidung einzuräumen, sich zwischen konkurierenden Zahlungsmitteln zu entscheiden?

Schlichter: Es wäre gar nicht schwierig. Man könnte das schnell zulassen, und als Befürworter der freien Marktwirtschaft wäre ich sofort dafür. Allerdings verspreche ich mir von solchen Initiativen momentan nicht sehr viel. Geld ist ein Gut mit unglaublich starken Netzwerkeffekten. Es ist für jeden Geldbenutzer derart einfach und daher vorteilhaft, für Transaktionszwecke das derzeit am weitesten verbreitete Geldgut zu benutzen – und das ist eben das jeweilige etablierte Staatsgeld -, dass es Alternativwährungen extrem schwer haben.

Die von mir soeben aufgezählten fatalen Nachteile des Papiergeldes schränken seine unmittelbare Nützlichkeit im Verkehr ja keineswegs ein, solange es weiterhin akzeptiert wird. Und die Erfahrung zeigt uns, dass das auch bei steigender Inflation überraschend lange der Fall ist. Auf neues Geld umzusteigen, ist immer mit Kosten und Unsicherheit verbunden. Die krassen Verwerfungen, die das Papiergeld in der Wirtschaft verursacht, berühren den einzelnen Geldbenutzer in dem Moment, in dem er Transaktionen tätigt, ja gar nicht.

Zum Zwecke der Wertaufbewahrung wird ohnehin schon vermehrt auf Gold statt auf Papiergeld zurückgegriffen. Das ist verständlich und es erklärt den Goldboom der letzten Jahre. Zu Transaktionszwecken wird aber weiterhin das etablierte Papiergeld benutzt. Auch mir wäre mein Gold zum Ausgeben ja viel zu schade.

Eine Katastrophe kann nur verhindert werden, indem das absurde Gelddrucken und die Niedrigzinspolitik eingestellt werden, und sich der Staat aus dem Geldwesen ganz zurückzieht. Zentralbanken und Geldpolitik passen zur Marktwirtschaft genauso wenig wie Behörden zur Preisfestlegung für Seife und Backwaren, oder eine Behörde für Investitionspolitik oder Arbeitszeitpolitik. Das Ganze ist absurd.

DAS MILIEU: Freiheit ist ein Begriff, der heute mehr denn je inflationär gebraucht wird. Kann eine Gesellschaft wirklich frei sein, wenn das Geld unter staatlicher Kontrolle steht und es keine Wahlfreiheit in diesem Bereich für den Bürger gibt?

Schlichter: Nein, eine funktionierende Marktwirtschaft und eine freie Gesellschaft sind mit einem staatlichen Papiergeldsystem unvereinbar. Es gilt hier das eiserne Gesetz der Interventionen in den Markt: Wenn erst einmal an einer Stelle interveniert wird, so entstehen immer unbeabsichtigte Nebenwirkungen, die durch erneute Interventionen korrigiert werden müssen, soll die ursprüngliche Intervention nicht rückgängig gemacht werden. Das bedingt aber erneute Verzerrungen und weitere unvorhergesehene Nebenwirkungen. Letztendlich steuert das staatliche Papiergeldsystem auf die vollständige Verstaatlichung von Bank- und Finanzwesen zu.

Die Banken sind zunächst Nutznießer des Papiergeldsystems, da es essentielle Bankrisiken sozialisiert und eine ungehemmtere Geldschöpfung erlaubt. Gleichzeitig kommt es zu einer Kartellierung der Banken um die Zentralbank; der Wettbewerb unter den Banken wird deutlich eingeschränkt. Gleichzeitig werden die Banken zu Transmissionsriemen für die Geldpolitik.

Einerseits werden sie jetzt vor dem selbstverursachten Scheitern gerettet; man kann sie nicht mehr untergehen lassen. Andererseits haben sie aufgehört, private, marktwirtschaftliche Unternehmen zu sein. Sollten sie aufgrund ihrer aufgeblähten Bilanzen nicht mehr in der Lage sein, geldpolitische Impulse weiterzureichen, wie jetzt geschehen, so greifen die Zentralbanken direkt in die Finanzmärkte ein. Siehe hier die momentane Diskussion um Aufkäufe von Privatkrediten in den europäischen Problemländern durch die EZB.

Das Ganze läuft auf zentrale Kreditzuweisung und Zinsfestlegung hinaus. Ohne einen freien Kapital- und Kreditmarkt ist aber eine freie Wirtschaft nicht möglich. Die Marktwirtschaft ist hier schon weitgehend ausgehebelt. Letztendlich werden wir auch Kapitalverkehrskontrollen sehen. Es wird böse enden.

DAS MILIEU: Herr Schlichter, vielen Dank für das Gespräch!

 

 

 

 

 

Foto: © Brian Micklethwait

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