Motivationscoach im Interview

Dr. Biyon Kattilathu: "Es ist cool, ein guter Mensch zu sein"

15.12.2018 - Hamed Chaudhry

Er ist ein erfolgreicher Motivationscoach, ein Redner, ein Influencer – mit viel Weisheit und Humor. Ob auf Social Media, in der Schule auf Firmenevents – immer verhilft er Menschen dazu, an sich selbst und ihre Ziele zu glauben. DAS MILIEU sprach mit Dr. Biyon Kattilathu über seine Erfahrungen mit Rassismus, über Faktoren, die Jugendliche unglücklich machen und über die Fähigkeit, die Dinge "abzuhaken".

DAS MILIEU: Sie haben indische Wurzeln und sind in Hagen geboren und aufgewachsen. Ihre Eltern wollten Sie ursprünglich „Björn“ nennen. Warum haben Sie dann doch davon abgesehen?

Dr. Biyon Kattilathu: Meine Mutter wollte mich eigentlich Bianca nennen, weil sie dachte, dass ich ein Mädchen werden würde. Allerdings wurde ich ein Junge und meine Eltern fanden den Namen Björn ganz cool. Dann hat mein Vater seine Mutter in Indien angerufen und ihr erzählt, dass sie einen Jungen bekommen würden, der Björn heißen soll. Doch meine Oma konnte keine Umlaute aussprechen und sagte nur „Biyon“. Dann dachte sich mein Vater, wir nennen den Jungen Biyon und dann ist jeder zufrieden. (lacht)

MILIEU: Sie haben nach der Schule Wirtschaftsingenieurwesen studiert und zum Thema Kunden-Psychologie und Motivation promoviert. Jetzt sind Sie, dem indischen Klischee entsprechend, Ingenieur und dein Bruder Arzt. Hätten deine Eltern auch andere Studienfelder zugelassen?

Dr. Kattilathu: Wenn du einen Indischen Vater hast, dann gibt es für dich nur drei Möglichkeiten: Arzt, Ingenieur oder die Schande der Familie. Ich dachte mir, die Schande der Familie möchte ich nicht sein, Arzt kann ich nicht werden, weil ich kein Blut sehen kann. Also werde ich Ingenieur. (lacht)

Oftmals denken Menschen, dass die Arbeit und das Leben getrennt wären. Doch beides schließt sich ja nicht aus. Ich dachte sogar bis zu meinem 22. Lebensjahr, das was ich mache, dürfe keinen Spaß machen. Studium macht keinen Spaß, dann ist das halt so. Der Spaß beginnt nach der Arbeit, Spaß hat man nur am Wochenende. Dann fing ich auch an so zu leben. Von einem Wochenende zum nächsten, von einem Urlaub zum nächsten. Und die meisten Menschen denken mit 30 schon an die Rente. Aber Arbeit kann auch Spaß machen. Doch das geht nur, wenn du das tust, was du wirklich liebst, weil dann ist die Arbeit keine Arbeit mehr. Ich habe für meine Eltern studiert, aber dann gemerkt, dass ich noch mehr in mir habe, das jetzt raus muss. Wie so ein Löwe, der im Käfig gefangen ist, und dann endlich raus will. 

MILIEU: Welche Personen haben Sie auf Ihrem Lebensweg besonders inspiriert?

Dr. Kattilathu: Ich finde, dass man von jedem Menschen, dem man begegnet etwas lernen kann. Ich war nie der Typ, der gesagt hat, dass ich eine bestimmte Person als Vorbild habe, weil sie viele Bücher geschrieben hat oder weil sie einen Oscar gewonnen hat. Ich bin einfach sehr interessiert an Menschen. Ich habe die Eigenschaft, dass ich einfach Menschen mag. (lacht) 

Das klingt zwar komisch, aber ich mag Menschen, ihre Geschichte und ich kann von jedem irgendetwas lernen. Und wenn ich wirklich ein Vorbild nennen müsste, dann wäre es meine Mutter. Sie kam mit 17 Jahren aus einem indischem Dorf nach Deutschland. Sie hatte alles hinter sich gelassen: ihr Umfeld, die Familie und Freunde. Sie konnte die Sprache nicht sprechen, und anfangs konnte sie das Essen nicht vertragen. Doch hat sie sich dazu entschlossen, hier zu bleiben, weil sie wusste, dass ihre Kinder hier zur Schule gehen können, hier sicherer sind und mehr Freiheiten haben. Das ist schon heftig, das zu sehen, in so einem jungen Alter diese Entscheidung treffen, ihren Kindern so ein schönes Leben zu ermöglichen.

Als ich klein war, hat mich vieles inspiriert, vor allem Wrestler, allem voran Bruce Lee. (lacht) 

Bruce Lee hat mich dazu gebracht, mich für Kampfsport zu interessieren. Denn früher habe viele Bruce Lee Filme angeschaut und vor dem Fernseher habe ich dann angefangen zu boxen bis mich mein Vater in einem Taekwondo-Verein angemeldet hat. Für mich war das ein Schlüsselereignis, das mich dorthin gebracht hat, wo ich jetzt bin. Denn dort habe ich sehr viel gelernt: über meinen Geist, über Beweglichkeit, darüber das man wieder aufsteht, wenn man auf die Mütze bekommt, über Konzentration und Fokus. Danach habe ich auch professionell Taekwondo gemacht. Ich wurde deutscher Meister. Das war die Inspiration durch Bruce Lee und mein Vater hat mich daraufhin auf diesen Weg gebracht. 

MILIEU: Was sind die wichtigsten Werte, die Ihre Eltern Ihnen mit auf den Weg gegeben haben?

Dr. Kattilathu: Ich muss sagen, dass meine Eltern teilweise andere Werte vertreten als ich. Für sie war die Sicherheit an erster Stelle und für mich die Freiheit. Aber es ist verständlich. Sie kamen aus Indien, aus einem Dorf, wo es nicht so viel Sicherheit gibt. Du weißt nicht, wie die Ernte ausfallen wird oder ob das Wetter weiterhin gut bleibt. Wir haben es hier gut. Wir haben hier so ein geiles Leben. Wir stehen auf und können an unseren Träumen arbeiten, kreativ sein. Meine Eltern haben in ihrer Erziehung sehr großen Wert auf Respekt gelegt, auf Demut und dass man immer bodenständig bleiben soll, immer dankbar sein soll, tolerant sein soll und Respekt vor anderen Menschen haben soll.

MILIEU: In der Kindheit hat man allerdings nicht immer Respekt vor Ihnen gehabt. Wie sind Sie damit umgegangen?

Dr. Kattilathu: Ich komme zwar aus einer Stadt, die multikulturell ist, doch in der Schule können Kinder sehr gemein sein. Besonders wenn sie sehen, dass jemand einen „Schwachpunkt“ hat, der ja eigentlich kein Schwachpunkt ist, sondern etwas, was einen besonders macht. Wenn sie dann noch merken, dass jemand damit nicht umgehen kann, dann wird immer wieder in die Wunde gestochen. Auch mein damaliger Grundschullehrer, ich würde nicht sagen das er rassistisch war. Aber er hat schon viele Dinge gesagt, die mir erst im Nachhinein klargeworden sind, dass man diese zu keinem Grundschüler sagen sollte. Zu der Zeit wurde ich tagtäglich als „Nigga“ bezeichnet und es wurde sehr viel auf die Hautfarbe geschoben. Das war so heftig, dass ich anfing, an mir selbst zu zweifeln. Ich fragte mich, warum ich überhaupt dunkel bin? Ich dachte mir, wenn ich hell gewesen wäre, dann hätte ich all diese Probleme nicht. Als Kind hast du ja nicht den Weitblick, all das zu verstehen, worum es eigentlich im Kern geht. 

Damals hat der Sport mir sehr geholfen, weil es im Taekwondo darum ging, sich mit sich selbst zu beschäftigen und sich zu entwickeln. In dieser Zeit kam ich auch mit Meditation in Berührung. Mein Problem mit dem Rassismus habe ich allerdings dadurch bewältigt, dass ich aggressiv, wütend und traurig wurde, weil ich nicht wusste, wohin mit der ganzen Energie. Du kannst ja nicht wie ein Erwachsener, darüber nachdenken und abwägen. Als Kind wirst du ganz schnell sauer und du versuchst dann die Aggressivität weiterzugeben, an Schwächere. Damit bist du schnell in einem Teufelskreis. Das ist natürlich der falsche Umgang damit. 

MILIEU: Sie sind also auf die falsche Bahn geraten, waren in Prügeleien verwickelt, woran lag das?

Dr. Kattilathu: Die Antwort auf diese Frage ist gleichzeitig einer meiner größten Antriebe, ein Vorbild zu sein. Ich möchte nicht von mir sagen, dass ich unbedingt ein Opfer meines Umfeldes war, aber ich war damals in Schlägereien verwickelt. Man sagt ja auch, man ist der Durchschnitt von den fünf Personen, von denen man umgeben ist. Wenn diese fünf Menschen negativ sind, dann fängst du auch an, negativ zu denken. Wenn die fünf Menschen aggressiv sind, dann fängst du auch an aggressiv zu werden. Und meine fünf Leute waren solche Menschen, die immer irgendwie Stress gesucht haben. In diesem Umfeld war ich gefangen. Was ich mir gewünscht hätte, wäre ein Vorbild. Aber nicht ein Vorbild in Form von Eltern, weil du bist ja die ganze Zeit über unterwegs mit Freunden auf der Straße, im Sportverein, in der Schule, im Studium und da hätte ich jemanden gebraucht, zu dem ich hätte aufschauen können und zu dem ich hätte sagen können, dass die Person ein cooler Typ ist. Und das ist auch das Prinzip, das ich vermitteln möchte. Ich möchte sagen: es ist cool, ein guter Mensch zu sein. Und es macht Spaß zu helfen. Es macht Spaß jemanden aufzuhelfen, jemanden zu inspirieren.  

MILIEU: Um aufzustehen und nach vorn zu schauen, müssen Dinge aus der Vergangenheit „abgehakt“ werden. Warum ist das so wichtig?

Dr. Kattilathu: Leider lernen wir das nicht, auch nicht in der Schule, sodass wir in der Lage sind, im Hier und Jetzt glücklicher zu sein. Wenn man Geschehnisse „abhakt“, heißt das nicht, dass man sie verdrängt oder nicht mehr an sie denkt. Abhaken heißt: ehrliches annehmen. Also, dass wenn mir etwas runterfällt, ich akzeptiere, dass es mir heruntergefallen ist, oder wenn ich enttäuscht worden bin, dass ich diese Enttäuschung akzeptiere. Abhaken heißt wirklich nur: es ist wie es ist und es nicht zu falsch interpretieren. Wenn uns jemand doof anschaut, ist es Tatsache, dass diese Person uns ansieht. Doch von da an fangen unsere Gedanken an. Wir fragen uns, wieso diese Person uns anguckt und denken uns eine Geschichte dazu. Und nur diese Geschichte, die wir erfinden, die macht uns unglücklich, weil wir anfangen, alles zu interpretieren. Kein Gedanke ist schlimm, doch die Story dahinter verändert alles.

MILIEU: Welcher Faktor erschwert Ihrer Meinung nach besonders heutzutage Jugendlichen den Weg zu einem guten und glücklichen Leben?

Dr. Kattilathu: Zwei Dinge, die auf jeden Fall unglücklich machen, sind Vergleiche und Erwartungen. Wenn du dich vergleichst oder Erwartungen hast, dann musst du unglücklich werden, das ist im Prinzip die Garantie zum Unglücklichsein. Der zweite Punkt sind die Erwartungen. Wenn ich dir einen Gefallen tue, dann erwarte ich auch von dir, dass du mir einen Gefallen erfüllst. Und wenn du das dann nicht machst, frage ich mich, wieso du das nicht machst. Wenn du Erwartungen hast oder Vergleiche anstellst, dann wirst du unglücklich.

Wir müssen lernen, auf uns selbst zu schauen und nicht so sehr auf andere zu achten. Die meisten Menschen, egal in welchem Alter, fangen an sich zu vergleichen. Und dann wirst du getrieben, immer weiter zu machen. Und dann fangen wir an das Glück außerhalb zu suchen. Wir denken dann, dass wenn wir ein bestimmtes Auto fahren, wir dadurch Anerkennung bekommen, oder wenn wir einen bestimmten Job haben, dass dann alle stolz auf uns sein werden, und somit verlieren wir die Fähigkeit nach innen zu schauen. Weil alles, was wir haben, das ist ja schon in uns drin. Du kannst jetzt glücklich sein, oder jetzt dankbar sein. Du kannst jetzt alles haben, du musst nicht außerhalb suchen. Aber wer bringt dir bei, nach innen zu schauen? Das lernst du ja nicht.

Ich möchte Menschen dazu inspirieren und animieren auch mal in ihr Inneres zu gehen. Ich kann auch nicht alles, aber wichtig ist, auf die Dinge zu schauen, die man kann, und sie dann zu stärken. 

Das ist vielleicht etwas, was man im Schulsystem ändern müsste. Da kriegst du deine Klassenarbeit wieder, und siehst da nur deine Fehler, alles rot. Das heißt, dir werden nur deine Fehler vorgehalten und du sieht nur alles, was du falsch gemacht hast. Richtiger wäre es doch, dass das Richtige angekreuzt wird, mit einem grünen Stift markiert wird, und dann die Note da drunter stehen hast. Damit man sieht, was alles richtig gemacht wurde. So wird der Fokus auf etwas Anderes gelegt. Du siehst dadurch, was du kannst. 

Nicht jeder kann Tänzer werden, nicht jeder ist ein Sportler, nicht jeder kann Interviews führen, nicht jeder kann alles machen, aber jeder hat eine Aufgabe im Leben, woran ich glaube, die er erfüllen kann. Aber dafür müssen wir das erst akzeptieren und erkennen können. 

MILIEU: Sie schaffen es mit Ihren Büchern, mit deinen Videos auf sozialen Netzwerken und in Vorträgen an Schulen, Universitäten und Unternehmen, Millionen von Menschen zu erreichen. Was ist das wichtigste, was Sie all diesen Menschen mitgeben wollen?

Dr. Kattilathu: Mir ist es wichtig, den Leuten mitzugeben, dass es nicht um mich geht, es geht immer um den Menschen. Die sehen zwar mich und meine Videos, aber: Fang an nachzudenken! Ich möchte ermutigen, nach innen zu blicken. Ich möchte, dass die Menschen von sich aus sagen, dass sie gut sind, wie sie sind und dass sie nur im Hier und Jetzt leben. Und wenn ich das schaffe, dann haben wir alle was gewonnen. Weil diese Menschen dann anfangen zu lächeln. 

MILIEU: Vielen Dank, Herr Dr. Kattilathu!

 

Transkribiert von Tayyeba Raja.

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