Syrien-Helfer im Interview

Dr. Bülent Kiliç: "Das Leid der Syrer wird ignoriert"

01.07.2014 - Nasreen Ahmadi

Syrien verliert immer mehr an medialer Aufmerksamkeit, obwohl das Blutvergießen größer ist als jemals zuvor. Klar ist, es braucht keine Bomben, sondern verstärkt humanitäre Hilfe. DAS MILIEU sprach mit Dr. med. Bülent Kiliç, der Facharzt für Unfallchirurgie und Orthopädie ist. Im Namen der Hilfsorganisation “Help Sans Frontières e.V.” reist er in ein Krankenhaus nahe der syrischen Grenze fahren, um dort zusammen mit anderen Ärzten verletzte syrische Patienten zu behandeln.

DAS MILIEU: In wenigen Tagen werden Sie für eine Woche in die Türkei nach Hatay/ Reyhanli in das Emel Krankenhaus nahe der syrischen Grenze fahren, um dort zusammen mit anderen Ärzten, verletzte syrische Patienten zu behandeln. Wird das Leid in Syrien und den Nachbarländern hier in Deutschland ausreichend wahrgenommen?

Dr. Kilic: In meinen Augen leider nicht. Die Situation der Menschen in Syrien und der Flüchtlinge in den Nachbarländern findet in den Medien aktuell kaum Beachtung. Aktuell sind die WM in Brasilien und der Konflikt in der Ukraine die führenden Themen in den Nachrichten. Dies ist sehr traurig, da das Leid der Menschen in Syrien unverändert andauert.

DAS MILIEU: Mit welchen Projekten und Leistungen haben Sie bisher versucht zu helfen und wie finanzieren sich Ihre Projekte?

Dr. Kilic: Wir – “Help Sans Frontières e.V.” – sind ein gemeinnütziger Verein und versuchen uns weltweit in Krisengebieten zu engagieren. Zuletzt haben wir ein Projekt in Syrien gestartet, das wir „Mobile Praxis“ nennen. Wir kaufen mit Spendengeldern ausgemusterte Rettungswagen aus Deutschland und schicken diese vollbeladen mit gespendeter medizinischer Ausstattung in die betroffenen Gebiete direkt in Syrien. Zuletzt haben wir im April dieses Jahres drei Rettungswagen Richtung Syrien losschicken können.

Aktuell läuft unsere Aktion „VAC-Pumpen“ und „Arthroskopie“. Ein großzügiger Orthopäde aus Braunschweig hat uns eine komplett ausgestattete Operationseinheit gespendet, mit dem wir in der Lage sind, Operationen an Gelenken durch eine Schlüssellochtechnik mit Kamera durchzuführen. Und für die Behandlung von chronischen Wunden, d.h. Wunden, die aufgrund von tiefen Infektionen nicht heilen können, haben wir mit Hilfe von Spendengeldern von der Firma KCI aus Deutschland sehr günstig Vakuumpumpen und Zubehör kaufen können, die für die langwierige Behandlung solcher Wunden von Nöten sind. Dafür sind wir sehr dankbar. Diese Pumpen und die Operationseinheit werden nächste Woche mit einem Rettungswagen in das Krankenhaus in Hatay/ Reyhanli nahe der syrischen Grenze gebracht, damit sie dort zum Einsatz kommen können.

DAS MILIEU: Was hat Sie dazu bewegt den Entschluss zu fassen selbst aktiv zu werden und in ein Krankenhaus nahe der syrischen Grenze zu fahren? Das persönliche Risiko ist doch enorm…

Dr. Kilic: Durch die Bekanntschaft mit Herrn Dr. Abu Obead, einem Facharzt für Unfallchirurgie und Orthopädie, und dessen Berichte über seine Einsätze sowohl direkt in Syrien als auch in dem Emel Krankenhaus in der Türkei waren für mich ausschlaggebend, vor Ort aktiv mitzuhelfen. Gerade die Bilder von Schwerstverletzten, mitunter von unschuldigen Kindern, haben mich - selber Vater von vier Kindern – dazu bewegt, noch aktiver als bisher zu werden und meine Fähigkeiten als Unfallchirurg den Menschen vor Ort zu Gute kommen zu lassen.

DAS MILIEU: Wie erklären Sie sich, dass die humanitäre Katastrophe in Syrien mittlerweile so wenig öffentliche Aufmerksamkeit erfährt?

Dr. Kilic: Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit wird bestimmt durch die Berichterstattung der Medien. Der Bürgerkrieg in Syrien wird in den Medien leider nicht mehr thematisiert. Wenn mal über Syrien berichtet wird, dann beinhalten diese Nachrichten in erster Linie nur politische Themen. Das Leiden der Menschen in den umkämpften Gebieten und die Tatsache, dass ein großer Teil auf der Flucht ist und unter katastrophalen Bedingungen leben muss, genau diese Fakten werden nicht mehr thematisiert. Die Aufmerksamkeit der Bürger richtet sich in erster Linie auf die Themen, die ihnen von den Medien präsentiert werden - die humanitäre Katastrophe in Syrien gehört leider nicht dazu.

DAS MILIEU: Welche Erfahrung haben Sie bisher mit der Türkei gemacht hinsichtlich der Entwicklungszusammenarbeit?

Dr. Kilic: Für den Transport der medizinischen Hilfsmittel über die Grenzen stehen wir in engem Kontakt mit der türkischen Botschaft. Bisher haben wir keine Probleme bei der Zusammenarbeit gehabt.

DAS MILIEU: Wie sieht die humanitäre Lage in der Türkei aus - und was erwartet die syrischen Flüchtlinge dort?

Dr. Kilic: Laut meinen Informationen befinden sich mittlerweile mehr als 1 Million Flüchtlinge in der Türkei und es werden immer mehr. Das ist eine sehr große Zahl, wenn man bedenkt, dass Deutschland bisher 10000 Flüchtlinge aufgenommen hat bzw. aufnehmen will. Zu den Bedingungen in den Flüchtlingslagern kann ich Ihnen nichts sagen. Was die medizinische Versorgung angeht weiß ich, dass syrische Flüchtlinge, die registriert sind, in türkischen Krankenhäusern kostenlos behandelt werden. Ich kann mir vorstellen, dass durch den unerwartet hohen Ansturm von Flüchtlingen in kurzer Zeit und durch die begrenzten Kapazitäten in den Krankenhäusern vor Ort nur eine notdürftige medizinische Versorgung erfolgt.

DAS MILIEU: Der Kontrast zwischen den Krankenhäusern hier und dort ist sehr stark. Wie gehen die Ärzte mit diesen Unterschieden um und wie versuchen sie diese zu lösen?

Dr. Kilic: Wir versuchen mit den begrenzten Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, für die Patienten das beste Ergebnis zu erreichen. Durch unseren Einsatz vor Ort wissen wir, was für die Versorgung dringend gebraucht wird. Wir erklären und schildern den Menschen in Deutschland die Situation der Betroffenen vor Ort. Mit Bildern zeigen wir, was für schlimme Verletzungen die Menschen durch den Krieg erlitten haben und wie wir versuchen, diesen zu helfen. Damit wollen wir die Menschen bewegen, uns aktiv durch Geld- und Sachspenden zu unterstützen.

DAS MILIEU: Angesichts der Dimension ist jede Art von Hilfe nötig. Wissen Sie vielleicht, was  momentan das Dringendste ist, was in den Krankenhäusern benötigt wird?

Dr. Kilic: Viele Menschen haben chronische Wunden. Wunden, die einmal versorgt wurden, sich aber infiziert haben, und den Menschen großes Leid zufügen, weil sie sich nicht verschließen. Unbehandelt können sie zum Tode führen. Diese Wunden bedürfen einer speziellen Therapie, nämlich einer Vakuumtherapie. Diese Vakuumpumpen sind sehr teuer in der Anschaffung. Durch einen Spendenaufruf konnten wir genügend Geld sammeln, um einige solcher Pumpen zu kaufen.


Zudem gibt es viele Menschen, vor allem junge Menschen, die nach Verletzungen eine eingeschränkte Beweglichkeit in den Gelenken haben. Mit der großzügigen Spende eines Arztes können wir nun auch solche Patienten im Emel Krankenhaus behandeln.

DAS MILIEU: Humanitäre Hilfe erfordert einen langen Atem und bedeutet Verantwortung auf Dauer zu übernehmen. Was planen Sie für die Zukunft?

Dr. Kilic: Wir möchten weiterhin aktiv sein und den Menschen helfen. Wir achten dabei nicht auf Ethnien, Religionszugehörigkeiten oder dergleichen. Jeder Verletzte soll gleich behandelt werden. Wir planen für die Zukunft unser Projekt auszuweiten, so dass sich noch mehr Ärzte bereit erklären, vor Ort den Menschen zu helfen. Dafür will ich mir zuerst selber einen Eindruck vor Ort machen, um noch mehr dafür werben zu können.

DAS MILIEU: Im Augenblick erscheint eine politische Lösung aussichtslos und die Konflikte werden sehr wahrscheinlich noch anhalten. Die eigentliche Katastrophe kommt immer nach der Katastrophe. Brauchen wir da nicht ein stärkeres europäisch und international abgestimmtes Konzept zur Hilfe?   

Dr. Kilic: Sie haben vollkommen Recht. Man hat das Gefühl, dass verschiedene Interessengruppen ihren Disput auf dem Rücken des syrischen Volkes austragen. Ohne ein international abgestimmtes Konzept werden der Konflikt und die damit verbundene humanitäre Katastrophe weiter anhalten. Das Leid der Bevölkerung muss endlich ein Ende finden. Auch Europa muss sich mehr einbinden und den Ländern, die die syrischen Flüchtlinge aufnehmen, finanziell und logistisch, u.a. durch Aufnahme von mehr Flüchtlingen, unterstützen. Das andauernde Leid der Menschen durch Krieg und Gewalt in Syrien, aber auch in anderen Teilen der Welt, ist durch nichts zu rechtfertigen. Die Menschen müssen aufwachen und erkennen, dass mit Krieg keine Probleme gelöst werden können.

 

 

E-Mail an Dr. Bülent Kiliç: bkilic77@gmail.com

 

Spenden bitte an:

HSF Help sans Frontieres e.V
IBAN: DE97 100500000190157399
BIC: BELADEBEXXX
Landesbank Berlin - Berliner Sparkasse
Betreff: VAC-Pumpen

 

 

 

Das Interview führte Nasreen Ahmadi am 27. Juni 2014.

Autoren benötigen Worte.
Worte benötigen Zeit

Unterstützen