Edelholz oder Treibgut
15.07.2016 -Wie ein Treibgut treibe ich, weiß nicht mehr wo ich bin, noch in welche Richtung es mich nimmt. Wie kam‘s dazu? Ich versuche meine Erinnerung.
Es war wohl, dass ich wusste wer ich bin. Ein Stück Holz, Edelholz, denn vom edlen Baum – so sagte man.
Und dann?
Es kam wohl, dass ich meine Herkunft vergaß, in all dem Gehölz; und indem ich mich umgab mit Stöckern und Ästen und Brettern und Balken und sonstigem Gebrett, dessen Herkunft man nicht kannte und nicht zu erkennen vermochte und zum Teil wohl nicht kennen wollte.
So geschah es, dass das Stück Edelholz seine Herkunft wohl vergaß, ja vielleicht sogar verdrängte, war es doch jetzt endlich eines von vielen, zugehörig, einer Masse; ja zugehörig.
Und so vergaß man seine Wurzeln, verbannte seinen Stamm und verdammte seine Krone als lästige Last, als Bürde, die man nicht länger zu tragen bereit war.
Und dann?
Mutig war ich ins eiskalte Wasser gesprungen, denn ich wollte weg aus meinem wohl behüteten Garten, Wertschätzung aufgrund der Unbrechbarkeit, anstelle von Herkunft und Schönheit.
So kämpfte ich mich durch Fluten, wurde von Sturm gepeitscht und Wellen schleuderten mich empor nur um mich im nächsten Augenblick umso stärker in die Tiefe fallen zu lassen. Man drückte mich nach unten, ich glaubte schon zu ersticken; mir war es nicht egal, aber ich hatte keine Angst.
Wovor? Wovor sollte ich Angst haben? Vor Schmerz? Vor Tod? Meinem? Der anderen? Ich hatte keine Angst, denn ich musste meine Seele verraten, um zu überleben; hatte mich selbst verleugnet, um mich zu retten.
Und indem ich Verrat an meinem Wesen betrieb, an mir, meiner Selbst, vergaß ich wer ich bin.
Und dann?
Als der Sturm sich legte, war ich froh und verriet meine Dankbarkeit, indem ich mich fortan treiben ließ, denn die Strömungen flossen in meinem Sinne. So atmete ich auf und schwamm auf einer Woge des Glückes, die mich trug und mir den Anschein gab, man könne sein Ziel auch ohne Mühe erreichen. Doch dem war nicht so. Die Erinnerung bleibt aus, aber es geschah wohl, dass die Ströme ihre Richtung veränderten. Vielleicht merkte ich es nicht. Vielleicht wollte ich es nicht bemerken. Vielleicht geschah es auch so heimlich, dass es tatsächlich nicht wahrnehmbar, wahrscheinlich aber erahnbar, war. Und eh ich mich versah, hatten die Strömungen eine Richtung eingeschlagen, die mir unbekannt war. Es mag sein, dass es beim den 360 Grad genau meine gewünschte Zahl traf, doch die Wahrscheinlichkeit ist sicher als gering zu bezeichnen. So trieb ich nun, wusste nicht wohin, wusste nicht ob ich auf dem richtigen Weg war, erriet aber, dass dem nicht so war. Vor lauter Richtungswechsel der lebhaften Strömung war mir schwindlig geworden; ich vergaß meine Richtung, mein Ziel.
Und indem ich meine Ziele aufgab, vergaß ich meine Ziele; ich vergaß meinen Weg.
So trieb ich nun. Wusste nicht von wo und wusste nicht wohin – Herkunft und Ziel waren also in Vergessenheit geraten oder gedrängt. aber viel schlimmer noch, war die hölzerne Frage, wer ich war.
Er hat nichts als Lumpen, aber ohne die ist er nicht er.
Er hat nichts als Geld, aber ohne das ist er nicht er.
Sie hat alles und eine Krone, aber ohne die ist sie nicht sie.
Bettler, Banker und – Königin.
Nun galt es also die vergessene verlegte zurückgewiesene Krone zu erinnern, zu finden und anzuerkennen.
Noch immer trieb ich ohne Herkunft, Ziel und Wesen und auf meinem Weg sah ich viel: Balken, nützlich verbunden, zu etwas Großem – man nannte es Schiff; brechende Planken, brennende Hölzer, als weißes Blatt verwandelte Gestalten. Und ich sah, wie scharfe Klinge zerteilte und behutsam formte, damit nützliches entstehen konnte oder schönes. Ich sah Arbeiten aus Schwarz und Weiß, und mir erschien, dass es eben dieser Kontrast war, der etwas erschuf; etwas, das weit größer war, als die Summe beider Farben, etwas zusammengesetzt Vollendetes – man nannte es Schachspiel. Und ich sah, Geschaffenes seines Zwecks beraubt: Das nützliches und schönes Wesen wurde schädlich und schändlich: Der Halsschmuck erwürgte seinen Träger, der Pfeil traf in des Menschenbein. Und ich sah wie Taten verwelkten, schlimme und gute, und wie aus ihnen etwas erwuchs, erst zögerlich neugierig, dann aber, so schien es mir, selbstbewusst und stark und bald schon war es richtig mächtig, aber es war gut und es war gut so. Dieses lebende Gehölz wurde Baum genannt.
Und so trieb ich und sah und indem ich sah verstand ich und indem ich verstand fühlte ich das große Ganze. Ich fühlte die Geschichte des Baumes.
Und das war es wohl, was mich erinnern ließ. Ich sah das Ganze, bestehend aus kleinen Stückchen, und ich erkannte die Wichtigkeit jedes Teilchens und ich fragte mich, welcher Part mir zuteil war? Und so erinnerte ich mich, dass auch ich eine Aufgabe hatte und das ich nichts war, aber die Lösung zu einer Aufgabe.
Ich erinnerte mich.
Doch was war meine Aufgabe? Welches Teilchen war ich? – andere Teile betrachten
mich neugierig, abwertend, bewundernd, je nach Wasserstand, sprich Wind und Wellen.
Ich spürte deutlich, dass mein wahres Wesen all diesen forschen Blicken entging. Keiner, aber wirklich keiner, erkannte die Natur, der ich entsprang. Wie konnte ich es ihnen vergelten, da ich scheinbar alles unternahm, um mein wahres Wesen zu verbergen?
Es war an der Zeit, dass ich zu mir Stand. Es war an der Zeit aus dem Holz jenes zu fertigen, für das es bestimmt war. Es war an der Zeit, über Mauern zu springen, leicht und anmutig wie eine Gazelle und den selbst auferlegten status quo nicht länger zu tolerieren, denn von akzeptieren konnte nie die Rede sein.
Und ich begann mich zu formen: Bei Wellengang ließ ich mich an die Felsen schlagen, vom Küstensand schmirgeln, von der salzigen See konservieren. Noch wusste ich nicht genau, wohin mich der Weg führte. Dennoch spürte ich, dass ich eine Welle nach der anderen nehmen musste. Und auch wenn der Horizont im Wellental verblasste, so leuchtete er stellenweise an der Spitze des Gipfels wieder auf. Und wenn es finster Nacht war, konnte ich darauf vertrauen, dass irgendwo ein Stern leuchten würde. Manchmal war er leuchtend hell, ab und an waren es mehrere, öfters war es nur ein Ahnung von Licht, doch auch diese reichte aus, um mich des Weges zu weisen.