Ein Tag bei Scientology
15.02.2019 -Ich bekunde einem Mitarbeiter der Organisation per E-Mail mein Interesse an der Lehre von Scientology. Daraufhin antworten mir nacheinander drei (!) Personen. Sie machen eigenartigerweise unterschiedliche Terminvorschläge und einer fragt: „Wo wohnen Sie denn?“ und ein anderer: „Sind Sie telefonisch erreichbar?“. Beide Informationen gebe ich auf keinen Fall weiter. Eine Mitarbeiterin der Öffentlichkeitsabteilung schickt mir dann einen provisorischen Infozettel, der auf einen „Tag der Offenen Tür“ am kommenden Sonntag hinweist. Es ist eine ausgedruckte DIN-A4-Seite, die abfotografiert wurde und als Anhang einer Mail zugesandt wird. Vermutlich ist das eine ganz exklusive Einladung, denn weder auf der Website noch auf einem anderen öffentlichen Kommunikationskanal findet sich dieselbe Ankündigung.
Am Sonntag begebe ich mich dann zu einem unscheinbaren Wohngebäude zwischen Cafés und Wirtshäusern. Über der Eingangstür steht geschrieben: „Dianetik-Zentrum“. Auf der Website von Scientology las ich, dass Dianetik „eine einfache, praktische, leicht vermittelbare Methode“ sei, mit der man den reaktiven Verstand „überwinden und den Zustand Clear erreichen“ könne. An diesem Tag strömen dutzende Menschen in dieses Zentrum, das von ihren Mitarbeitern als „Kirche“ bezeichnet wird. Doch diese Kirche ist nicht irgendein Gotteshaus von nebenan. Ihre Mitglieder sind nicht Christen, sondern Scientologen. Man wird das Gefühl nicht los, dass sie sich in einer christlich-geprägten Gesellschaft vertraut geben wollen.
Glauben Scientologen an Gott? Auf ihrer Website heißt es: „Ganz bestimmt“, aber sie drücken es lieber als „Streben zum Dasein als Unendlichkeit“ aus. Wenn es keine Christen sind, warum nutzen sie ein Kreuz als ihr Logo? Auf ihrer Website stellen sie dieses Symbol als vorchristliches Kreuz mit acht Spitzen vor, dass „die acht Teilbereiche oder Dynamiken des Lebens darstellen“ soll, durch die „jeder Mensch zu überleben“ versuche.“ Gleichzeitig nutzt die Organisation den Begriff der „Kirche“, obwohl – oder gerade weil - sie in Deutschland nicht als Religionsgemeinschaft anerkannt wird. Weil sie es jedoch in einigen Ländern ist, wird in diversen Videos und Schriften andauernd das ermüdende Mantra angestimmt, dass Scientology eine anerkannte Religion sei.
An den Fenstern wird ein Buch beworben: ein Lava speiender Vulkan zierte das Cover des Grundlagenwerks von Scientology. Für Scientologen gelten die darin enthaltenen psychotherapeutischen Lehren als Weg zur „totalen Freiheit“. Der Verfasser ist der US-amerikanische Autor L. Ron Hubbard, der in den 1950ern das Religionskonzept der Scientology Organisation auf Basis seiner zuvor publizierten Science-Fiction-Fantasien entwarf. Seine Anhänger sehen Hubbard als das größte Genie aller Zeiten an.
„Informieren, umschauen, schnuppern“, so lautet das Versprechen an diesem Tag in der Theorie – praktisch ist das jedoch nicht möglich. Der Gemeinschaftsaal im Erdgeschoss darf betreten werden, die oberen drei Stockwerke nicht. Und mit Material zum Mitnehmen über ihr Engagement wird man zwar regelrecht überschüttet. Doch alles, was mit dem Kern der Lehre von Scientology zu tun hat, muss bezahlt werden. Bei Fragen darüber, was den Kern der Lehre ausmache, wird man auf Bücher verwiesen statt eine konkrete Antwort zu liefern.
Bei Nachfragen betont man gern die humanitäre Seite. Auf kleinen Info-Tischen, die über den Saal verteilt stehen, liegen kostenlose Broschüren aus. Es geht um karitative Projekte weltweit. In erster Linie berichtet man jedoch voller Stolz von den sozialen Projekten in Deutschland, die sich an Drogenabhängige, psychisch Kranke, Straftäter und lernschwache Schüler richten. Regelmäßig stellen sie in Einkaufsstraßen Informationsstände auf, mehr oder weniger getarnt als Aufklärungskampagnen wie „Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte“, „Kenne Deine Menschenrechte“ oder „Der Weg zum Glücklichsein“, deren Verbindung zu Scientology auf dem ersten Blick nicht erkennbar ist.
Der Saal wird langsam von Menschen gefüllt, die zur Sonntagsandacht oder für Seminare gekommen sind. Wohin man schaut, breit lächelnde Menschen, lebhaft diskutierende Gläubige und spielende Kinder, darunter viele Gesichter, die man aus den Werbebroschüren kennt. Ist das alles Show oder glauben die das wirklich?
Vorab informiere ich mich über mehrere Bücher zum Thema und spreche u.a. mit der „Elterninitiative zur Hilfe gegen seelische Abhängigkeit und religiösen Extremismus“. Mir wird daraufhin mitgeteilt: Scientology sei ein international tätiger Wirtschaftskonzern, den es nur darum gehe „Kurse zu verkaufen und damit viel Geld zu scheffeln“. Über Sektenwatch, die Website der Initiative, melden sich Betroffene und erzählen häufig von derselben Herangehensweise: „Man wird zunächst mit einem kostenlosen Persönlichkeitstest geködert. Die Auswertung zeigt Defizite, die dann in Kursen abgebaut werden sollen, die horrendes Geld verschlingen“. Es kann vorkommen, dass sich Anhänger, um Clear Clear und ein „Operierender Thetan“ (OT) zu werden, hoch verschulden. Für mich steht fest: bloß keinen Kurs machen!
„Die Fähigkeiten, die man einst in früheren Leben gehabt hat, die kann man alle in diesen Kursen wiederentdecken“, sagt die Sprecherin, die sich nach einer Weile bei mir vorstellt. Sie kenne Leute, die aus dem Auditing herauskamen und dann plötzlich eine weitere Sprache sprachen, ein Musikinstrument spielten oder über einen höheren Intelligenzquotienten verfügten. Verlockend, nicht wahr? Laut Aussteigern sind das nur Geschichten, über die man spricht, aber nie erlebt.
Die Sprecherin wirkt sehr nett auf mich. Sie ist immer freundlich, wirkt gelassen, scherzt und lacht ab und zu lauthals. Vor allem hat sie diesen starren Blick, als ob sie durch Materie hindurchschauen könnte. Erst später stellt sich heraus: es ist eine Sprecherin von Scientology in Deutschland. In mehr als 20 Jahren bei Scientology habe sie „die Philosophie und das System der Organisation verinnerlicht“, sodass es mittlerweile für eine höhere Funktion in der Kirche reicht, erzählt die Sprecherin voller Stolz.
Vor dem Treffen mahnen mehrere Ex-Scientologen: „Sich als Journalist direkt an Scientology zu wenden, macht keinen Sinn. Sie werden nämlich als ’Händler des Chaos’ angesehen, mit denen man ungern oder zumindest nicht offen spricht“. Aus diesem Grund halte ich mich lieber bedeckt. Die Sprecherin ist von den deutschen Medien „nicht beeindruckt“. Über Scientology habe man meist eine feste Meinung – einige glauben sogar: „Wir essen kleine Kinder, wir müssen jeden Morgen Steine fressen“. Dass Scientology mit der Zeit auf das Portemonnaie schlägt gibt die Sprecherin sofort zu. Es kursieren viele Schätzungen darüber, wie teuer der Weg zum höchsten „Clear“-Zustand ist. Meistens sind es sechsstellige Summen.
Mehrere Landesämter für Verfassungsschutz beobachten die Scientology in Deutschland seit 1997. Laut dem Bayerischen Verfassungsschutzbericht von 2015 ist Scientology „eine internationale Organisation, die zum einen auf finanzielles Gewinnstreben ausgerichtet ist und zum anderen ein weltweites, unumschränktes Herrschaftssystem nach eigenen Vorstellungen errichten möchte“.
Scientology ist seit einigen Jahren weitgehend aus den Schlagzeilen verschwunden. Das hat zum einen mit dem kontinuierlichen Mitgliederschwund und zum anderen mit den geringen Missionierungserfolgen zu tun. Der Verfassungsschutz gibt ein Personenpotenzial von 4 000 für Deutschland an. Scientologen nennen oftmals viel höhere Mitgliederzahlen. Unklar bleibt, ob sie noch aktiv sind oder irgendwann in den 90ern, wo Scientology noch eine junge Trendreligion aus den USA war, einen Kurs absolvierten und später verschwanden.
Wie sieht die ultimativen Vision einer besseren Welt aus Sicht von Scientology aus? Um diese Frage zu beantworten, nimmt sich die Sprecherin ein übergroßes Buch zur Hilfe. Es soll wahrscheinlich wie ein Märchenbuch wirken und den geheimnisvollen Charakter der Lehre unterstreichen. Halte man einen gewissen Ehrenkodex und die zehn Glaubensgrundsätze Hubbards ein, sagt sie, sei das ein Garant für den Weltfrieden. Ein Grundsatz lautet: „Und wir von der Kirche glauben, dass die Gesetze Gottes dem Menschen verbieten: Die Seele eines anderen zu zerstören oder zu versklaven“. Methoden, die aber genau das bezwecken sollen, gehören vielen Aussteigern zufolge, zur festen Strategie von Scientology.
Bei Recherchen zu Scientology stößt man gewöhnlich auf eine Mauer des Schweigens. Sie wollen nicht, weil sie damit abschließen wollen oder sie würden gern, aber können nicht. Im Scientology-Jargon werden Kritiker „Unterdrücker“ genannt. Sobald sie ihre Erfahrungen mit Nicht-Scientologen teilen, müssen sie sich vor Vergeltung fürchten, in Form von Verfolgung. Aussteiger haben Angst davor, ihre Familie zu verlieren, wenn sich diese in Scientology befindet.
„Die Hunde bellen, die Karawane zieht weiter“, sagt die Sprecherin und versichert, dass man mit Aussteigern trotz allem gerecht umgeht. Es gebe einige, so glaubt sie, die die Grenzen des Gesetzes überschreiten. Auch gebe es einige, die sich mit ihrer Geschichte in der Presse eine goldene Nase verdienen. „Wir reagieren nicht auf alles, aber wenn bestimmte Grenzen überschritten werden, dann wissen wir ganz gut, wie man einen Anwalt anruft, wie man eine Strafanzeige erstattet“, sagt die Sprecherin und gesteht zugleich: „leider manchmal auch etwas zu gut“.
Als die Sprecherin das Gespräch zum wiederholten Male auf die Namen von prominenten Menschen lenkt und wie fasziniert Figuren wie Tom Cruise oder John Travolta, die begeisterte Scientologen seien, geht fünf Meter hinter dem Sessel, auf dem sie sitzt, langsam eine Tür auf. Ein Mann starrt mit Handy am Ohr durch den Spalt. Er mustert mich lange und flüstert dabei. Was will er? Als ich gehen will, bittet mich die Sprecherin darum, Informationsmaterial mitzunehmen. Es sind fünf Broschüren – keine davon behandelt die Lehre von L. Ron Hubbard, eher die humanitären Projekte der Organisation. Sie bittet mich darum, neben der Bestellung von Büchern meinen Namen und Kontaktdaten dazulassen. Als ich ablehne, sagt sie: „Na gut, kein Problem. Dann kaufen Sie die Bücher eben im Online-Shop. Ist ja auch viel anonymer“.
Es ist Zeit zu gehen. Ich verlasse das Dianetik-Zentrum. Auf dem Heimweg fühle ich mich verfolgt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich beschattet werde und versuche die Männer in schwarzen Jacken abzuhängen. Wenige Tage später erfahre ich dann in einem Hintergrundgespräch mit Verfassungsschützern, dass dies eine gängige Methode sei, um die Wohnadresse zu ermitteln und gezielter für Scientology werben zu können. Die Männer, die mich verfolgt hätten, seien keine Mitarbeiter der „Kirche“, sondern Privatdetektive. Da bin ich aber beruhigt…
Foto: © Andreas Praefcke