Dankbarkeit

Eine kleine Übung, um zufriedener zu werden

01.02.2020 - Roland Kopp-Wichmann

Als meine Tochter klein war, las ich ihr manchmal aus diesem Buch vor. Darin ging es um Oma Agathe, die mit den Ausmaßen ihres Hauses unzufrieden war. Sie seufzt und klagt tagein und tagaus, denn in ihr Haus passt nichts hinein, es ist zu eng und zu klein. Ein weiser Mann hat die rettende Idee: „Dein Huhn muss ins Haus!“ Zum Huhn nimmt sie auch noch die Ziege, das Schwein und die Kuh bei sich auf. Und jetzt kann Oma Agathe sich in ihrem Haus wirklich nicht mehr rühren.

Wieder hat der weise Mann eine Idee: „Schmeiß alle Tiere hinaus!“ Oma Agathe ist völlig verwundert und überglücklich: „Hurra! Mein Haus ist gar nicht mehr zu eng und zu klein.“

Das Kinderbuch geht auf eine alte jüdische Lehrgeschichte ähnlichen Inhalts zurück und zeigt uns – etwas sachlicher ausgedrückt – dass fast alles relativ ist:

- Ob wir einen Preis als teuer oder günstig empfinden, hängt von unseren finanziellen Möglichkeiten und dem Wert ab, den das Gewünschte für uns hat.
- Wann jemand sich so krank fühlt, dass er zum Arzt geht, hängt von vielen Faktoren ab. Wie eine Statistik zeigt, sucht der Deutsche durchschnittlich 18 Mal pro Jahr medizinischen Beistand. Schweden und Amerikaner nur vier Mal.
- Was ist Ihnen lieber? 500 Euro bar auf die Hand oder ein Los, mit dem  Sie mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit 1.000 Euro gewinnen können oder leer ausgehen? Die Wahrscheinlichkeit ist in beiden fällen gleich aber die meisten Menschen wählen die erste Möglichkeit.

Aber zurück zur Zufriedenheit.

Viele Zitate und Glücksratgeber geben den Rat, sich nicht auf das zu konzentrieren, was man nicht hat, sondern auf das, was man hat. Was nicht heißen soll, dass das Wünschen und Erstreben nicht gut sein kann. Nämlich dann, wenn es Energien in Ihnen freisetzt, Sie Ihre Kräfte bündeln und Ihr Ziel zu erreichen suchen. Doch viele Menschen haben viel erreicht in ihrem Leben – und sind dennoch unzufrieden. Für sie ist diese kleine Übung:

- Denken Sie an etwas, dass Sie mit Sicherheit unglücklich machen würde. Also zum Beispiel, wenn Sie Ihre Arbeit verlieren würden, schwer krank würden, Ihnen oder Ihrer Familie etwas zustoßen würde oder Ihre  Wohnung abbrennen würde.

- Schließen Sie einen Moment die Augen und stellen Sie sich das möglichst plastisch vor und erleben Sie die Gefühle, die Sie dabei haben würden.

- Und dann schauen Sie wieder auf das, was Sie aktuell haben. Dass Sie immer noch Ihre Arbeit haben, dass Sie einigermaßen gesund sind, Ihre Familie gesund  und Ihre Wohnung noch heil ist, zum Beispiel.

Oft sind wir so sehr beschäftigt, etwas nachzujagen und hoffen, dass uns dies glücklich machen würde. Doch auch wenn wir das Erstrebte erlangen, verliert es mit der Zeit seine Faszination. Erinnern Sie sich an das Gefühl, als Sie das erste Mal Ihr neues Notebook oder iPhone in den Händen hielten? Oder das sündhaft teure Paar Schuhe?

Und heute? Sie freuen sich vielleicht noch ein bisschen, aber die Glücksverheißung ist dahin. Das ist natürlich und kann, wenn man dieses Muster nicht durchschaut, zu einer ständigen Quelle der Unzufriedenheit werden, der man mit neuen „Zielen“ zu entkommen sucht.

Sich den Verlust von dem vorzustellen, was einem wirklich wichtig ist und am Herzen liegt – und dann zu sehen, dass es ja noch da ist, hilft oft, sich mit dem Gegenwärtigen, so unvollkommen es sein mag, zu versöhnen.

Und vielleicht dankbarer zu sein für das, was ist.

 

 

 

 

 

 

Der Artikel ist entnommen aus dem Blog des Autors

Autoren benötigen Worte.
Worte benötigen Zeit

Unterstützen