Nachhaltiger Konsum

Eine Welt ohne Energie?

01.10.2022 - Daniela Ribitsch

Obwohl ich das ständige Jammern meiner Landsleute gewohnt bin, war mein letzter Sommer in Österreich doch anders. Er war geprägt von der Angst der Menschen vor einem möglichen Blackout, und diese Angst sprang schließlich auch auf mich über. Kein Tag verging, an dem die Medien nicht über die Energiekrise sprachen oder unsere Energieministerin, Leonore Gewessler, fragten, ob die Leute es im kommenden Winter zu Hause warm haben würden. Und zusammen mit den immer weiter in die Höhe schnellenden Lebenshaltungskosten, ist ein Energieausfall die nach wie vor dominierende Angst in der Bevölkerung.

So besorgniserregend die unmittelbare Zukunft auch ist, so vergessen wir doch gerne auf die Tatsache, dass die Welt schon vor der russischen Invasion in der Ukraine ein ernsthaftes Energieproblem hatte. In unserem Bestreben, unseren Planeten mit selbstfahrenden Autos und Smarthomes zu füllen, vergessen wir ganz auf die Frage, woher denn all die dafür benötigte Energie überhaupt kommen soll.

Europa, das trotz der Dringlichkeit des sich verändernden Klimas immer noch viel zu stark von fossilen Brennstoffen abhängig ist, war schlichtweg unvorbereitet. Dank seiner großen Abhängigkeit von russischem Gas muss Europa nun verzweifelt versuchen, Alternativen zu finden. Diese Alternativen stellen sich jedoch als höchst bedenklich dar: Gas aus Katar, einem autokratischen Staat, extrem umweltschädliches Fracking-Gas aus den USA, die Aufhebung des Fracking-Verbots in Großbritannien, die Wiedereinführung der Kohle, dem schmutzigsten aller fossilen Brennstoffe, sowie Atomkraft, die im Lichte der weltweiten Sorge um eine nukleare Katastrophe in der Ukraine besonders absurd anmutet. Und am 5. August 2022 las ich in der amerikanischen Ausgabe von The Week, einem wöchentlichen englischsprachigen Nachrichtenmagazin, dass die Demokratische Republik Kongo nun Bohrgenehmigungen verkaufen will, und zwar sowohl für sein tropisches Torfmoor als auch für jenes Habitat, in dem vom Aussterben bedrohte Gorillas leben. Dabei versprach das Land erst letztes Jahr, den Regenwald zu schützen. Aber da die Republik Geld braucht, begreift sie die weltweite Energiekrise als Chance, der der Natur- und Gorillaschutz weichen muss.

Natürlich ist die Umstellung von fossilen Brennstoffen auf erneuerbare Energien keineswegs einfach. Dieses Unterfangen ist sogar noch schwieriger, als wir uns wahrscheinlich vorstellen. Sonne und Wind sind freilich nicht ständig verfügbar, weshalb wir ihre Energie speichern müssen. Das allerdings stellt nach wie vor ein riesiges Problem dar. In der im April/Mai 2022 erschienenen Ausgabe des amerikanischen Magazins The New Yorker gibt Wissenschaftsautor Matthew Hutson in seinem Artikel Potential Energy zu bedenken, dass wir einer Schätzung zufolge mindestens einhundertmal mehr Speicher bis spätestens 2040 bräuchten, um großflächig auf erneuerbare Energien umsteigen zu können und damit eine Klimakatastrophe zu verhindern. Zwar gebe es viele Bemühungen, erneuerbare Speicher zu entwickeln und Schwankungen auszugleichen, doch viele dieser Ideen seien schlichtweg zu teuer oder ineffizient. Vielmehr sehe es danach aus, als würde eine Methode alleine nicht reichen. Statt einer einzigen Methode bräuchten wir also viele verschiedene Methoden zur Lösung der vielen unterschiedlichen Probleme und würden dadurch die Erde in „eine Art gigantische Batterie“ verwandeln.

Stellen Sie sich das mal vor, liebe Leser*innen: unsere Erde als gigantische Batterie. Wir hätten einige Windgeneratoren hier, eine paar Solaranlagen dort, einige Seen hier drüben, ein paar Wasserstoffreservoirs hier und geothermische Energie unter der Erdoberfläche. Ich bin mir nicht sicher, was ich davon halten soll.

Wenngleich wir zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht wissen, wie eine Welt mit erneuerbaren Energien aussehen soll, so wissen wir aber, dass unser momentaner Lebensstil bereits viel zu viel Energie frisst. Denken Sie nur an die vielen Lichter, Heizungen, Klimaanlagen, Fernseher, Radios und Autos, von denen viele sogar in Betrieb sind, wenn keine einzige Menschenseele anwesend ist. Sie alle brauchen Energie und pumpen CO2 in die Atmosphäre. Und dann ist da noch das rasant wachsende Internet. Jedes Mal, wenn wir mailen, surfen, suchen oder streamen, verbrauchen wir Energie. Schon jetzt pumpt unser Internetverbrauch mehr CO2 in die Atmosphäre als der weltweite Flugverkehr.

2019 sah ich eine Folge der Sendung scobel, die den Titel Highspeed-Internet für alle trug. Die anwesenden Fachleute präsentierten einige erschreckende Zahlen. So beträgt der weltweite CO2-Ausstoß beim Videostreaming alleine, also der Ausstoß beim Streamen von Filmen, Serien etc., 300 Millionen Tonnen pro Jahr, was dem Jahresausstoß von Spanien entspricht. Eine Bitcoin-Transaktion verbraucht so viel Energie wie ein mittlerer Kühlschrank in acht Monaten. Musikstreaming in den USA alleine verursacht 200 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr. Wie es Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler Tilman Santarius ausdrückt: „Wäre das Internet ein Land, dann wäre es weltweit an dritter Stelle nach China und den USA im Stromverbrauch.“ Und die Nutzung von 5G wird unseren bereits hohen Energieverbrauch noch zusätzlich steigern. Obwohl 5G sich wunderbar im Bereich der Forschung und Telemedizin einsetzen lässt, braucht die Allgemeinbevölkerung kein so schnelles Internet. 5G ist etwa vergleichbar mit einem Formel-1-Boliden, mit dem Sie zum Bäcker um die Ecke fahren. Selbstfahrende Autos werden den Energieverbrauch nochmals signifikant steigern, da sie permanent ihre Umgebung scannen müssen. Santarius zufolge würde der 24-Stunden-Einsatz eines einzigen selbstfahrenden Autos ein Datenvolumen von 4000 GB benötigen. Demnach würden nur anderthalb Millionen solcher Autos so viel Datenvolumen schlucken, wie die Weltbevölkerung aktuell verbraucht.

Auch wenn wir es schaffen sollten, auf erneuerbare Energien umzusteigen, frage ich mich dennoch, wie wir all die Energie aufbringen wollen, die wir zur Versorgung einer smarten Gesellschaft benötigen. Jede einzelne Waschmaschine, jeder einzelne Herd, jedes einzelne Backrohr, jede einzelne Heizung, jeder einzelne Fernseher und jede einzelne Tür würde vom Internet abhängig sein und damit von Energiezufuhr. Ich habe keine Ahnung, wie das funktionieren soll. Für mich gibt es nur einen logischen Schritt: Wir müssen unseren Energiekonsum erheblich reduzieren. Wir müssen ihn reduzieren, indem wir DVDs und CDs statt Streaming verwenden, eine niedrigere Auflösung beim Streamen wählen, das Licht und elektrische/elektronische Geräte ausschalten, wenn wir diese nicht mehr verwenden, und auf selbstfahrende Autos und Smarthomes verzichten. Doch irgendwann wird es es diese Wahl nicht mehr geben, weil CDs oder „altmodische“ Autos und Kühlschränke nicht mehr produziert werden. Und das macht mir Angst.

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