Humor

Extremisten sind wie Drag Queens

01.02.2021 - Mohammad Saboor Nadeem

Die Königin von Dänemark, von der ich zu Beginn erzähle, hat auf den ersten Blick wenig mit Drag Queens gemein, außer vielleicht, dass sie ihnen als Vorbild dient. Und noch viel weniger mit der Terrororganisation IS, außer vielleicht, dass sie an veralteten Traditionen und längst vergangenen Epochen festhalten. Aber alle drei können auf uns in ähnlicher Weise wirken.

Die Neujahrsansprache der Königin von Dänemark

Seit einem halben Jahr lebe ich nicht mehr in Dänemark, doch einige Bräuche und Traditionen, die ich während meines Studiums dort gesehen und mitgemacht habe, führe ich aus Sentimentalität in Deutschland fort.
Während Silvester hierzulande normalerweise mit Partys und Feuerwerk im großen Stil gefeiert wird, wird es in Dänemark eher ruhig im Kreise der Familie gefeiert. Man beginnt traditionell mit der “Dronningens nytårstale”: Alle Fernseher werden in Dänemark eingeschaltet, wenn Königin Margrethe II. ihre Ansprache an die dänische Bevölkerung hält. So habe auch ich am 31. Dezember um Punkt 18 Uhr die Neujahrsansprache der dänischen Königin live gesehen.
Vielleicht mag es daran liegen, dass ich mir diesmal das Schauspiel aus der Ferne angeschaut habe, ohne noch ein Teil der gesellschaftlichen Norm in Dänemark zu sein, aber es wirkte auf mich abstrus, aufgesetzt und komisch:
Eine, schon in die Jahre gekommene, recht zierliche Frau lächelt angestrengt in die Kamera. Sie wirkt wie ein kleines Kind in einem zu großen Stuhl, hinter einem viel zu langen Tisch, mit zwei viel zu hohen Tischlampen, rechts und links von ihr, die wie Litfaßsäulen wirken, in einem mit Gold und Brokat verzierten und mit alten Gemälden behangenem Raum, der so wirkt, als würde man in eine Puppenstube hineinschauen. Erst als sie mit leiser Stimme anfängt zu sprechen, fällt mein Blick wieder auf die Hauptfigur dieses Schauspiels, die Königin. Und wahrlich, mehr ist es nicht, denn ihre Worte klingen, als spräche sie aus ihrem Märchenwald zu uns: wie aus der Zeit gefallen. Doch für die Dänen ist ihre Königin eine wichtige und bedeutende, fast schon heilige Person und sie nehmen diese Tradition und das Theater um ihre Majestät sehr ernst.


Camp und Kitsch

Anders verhält es sich, wenn man von der sog. Drag Queen spricht. Dabei stellt ein Mann in humoristischer Absicht durch Aussehen und Verhalten eine Frau dar. Es ist eine From der Unterhaltung, bei der Sehen, Darbieten und Gesehenwerden verbunden werden. Diese Kunstform wird als “Camp” bezeichnet. Camp feiert den Kitsch ausdrücklich und verherrlicht das Abstruse, leicht wuchernd und theatralisch muss es sein, und verkehrt damit guten und schlechten Geschmack. Es ist extrem und normal, laut und leise, dunkel und hell, grob und sensibel zugleich. Ein Hang zur Komik, durch das Mittel der Übertreibung, wie bei einer Karikatur, ist hier ein wesentlicher Bestandteil. Es ist nicht einfach nur albern, sondern eine extravagante Ausdrucksform. Aber niemals natürlich. Damit kann das eigene Anderssein und der gleichzeitige Wunsch dazuzugehören ausgedrückt werden.

Je mehr ich dann Freunden davon erzählt habe, dass die im Grunde sehr ernste Neujahrsansprache der dänischen Königin in Wirklichkeit genauso auf mich gewirkt hat, kamen mir auch immer wieder Bilder aus IS-Propagandavideos in den Sinn, die interessanterweise in dieselbe Kategorie fallen. Wie z.B. die inszenierte allererste Ansprache des selbsternannten IS-Kalifen, bei der er auf einer Treppe hinter einem dilettantisch mit Kabeln behangenem Mikrofon steht. Hinter ihm bläst ein Ventilator mit voller Wucht in seinen Nacken. Zwei Wandlampen sind zu sehen, wovon eine defekt ist, so bekommt die gesamte Szene den Charme einer schäbigen Bahnhofsunterführung. Und er selbst, mit ungepflegtem Bartwuchs, trägt einerseits eine teure Rolex-Uhr am Arm und anderseits einen tiefschwarzen verstaubten Turban und Kaftan. Irgendwie erinnert er an Räuber Hotzenplotz, der gerade aus dem Bett gestiegen ist, als hätte er seinen ersten Auftritt verschlafen. Auch Räuber Hotzenplotz hatte den Anspruch, der ganzen Welt das Fürchten zu lehren. Und auch er ist an Komik nicht zu übertreffen.

Humor: Ein wirkungsvolles Mittel im Kampf gegen Extremismus

Der norwegische Terrorismusforscher Thomas Hegghammer beschreibt in einem Artikel, dass die Lebensweise von Islamisten voll mit solchen abstrusen, theatralischen und lächerlichen Beispielen ist. So gehören z.B. neben verrückten Exorzismen, kindlichen Traumdeutungen, hochgestochener Poesie, auch das exzessive Weinen zur Kultur dazu. So ist in einigen Schriften zu lesen, dass Weinen ein Zeichen von starkem Glauben und Frömmigkeit sei. Wenn es nicht spontan geschehe, sollte man es erzwingen, z.B. mit kleinen Nadelstichen, Zwiebeln schneiden oder anderen Methoden als Übung, die einem Tränen in die Augen treiben.

Extremisten, egal ob Rechtsextremisten oder Islamisten, sind keine Roboter, sondern Menschen, die  ihren inneren Wandel, sei es durch Sprache oder Kleidung, also durch kulturelle Elemente ausdrücken. Ebendiese Elemente wirken, ähnlich wie bei Drag Queens, im Alltag extrem “campy” auf uns. Die Zahlen zeigen, dass ihre Anhängerschaft wächst. Menschen, die sich radikalisieren, verspüren oft den Drang, ihren kognitiven Wandel öffentlich zur Schau zu stellen. Deshalb ist es genauso wichtig, ihre Kultur und was diese ihnen bedeutet zu analysieren, wie wir sonst ihre extremistische Ideologie und Strukturen aufmerksam studieren, um gegen sie vorzugehen.

So gesehen haben wir die Extremisten auch viel zu lange zu ernst genommen. Die extrem brutalen Inszenierungen des IS haben zwar zum Ziel, Angst und Schrecken zu verbreiten und sich damit andere Menschen unterwürfig zu machen. Jedoch ein Beispiel aus Japan zeigt, dass, wenn etwas so dermaßen verrückt ist, man es auch wieder gerade rücken kann.

In einem IS-Propagandavideo werden zwei japanische Bürger von dem britischen IS-Terroristen “Jihadi John” als Geiseln in orangefarbenen Overalls präsentiert. Dabei hält der Geiselnehmer ein Messer hoch und fordert von der japanischen Regierung 200 Mio. US-Dollar als Lösegeld und droht damit, beide Geiseln zu köpfen, wenn sie die Forderung nicht erfülle. Es ist nicht das IS-Video oder die Brutalität, sondern die Reaktionen darauf in Japan, die sehr wirkmächtig sind.

Viele Japaner haben das brutale Narrativ des IS umgewandelt und ins Lächerliche gezogen, indem sie, an jenem Tag, als die beiden Geiseln hingerichtet wurden, das Internet mit unzähligen lustigen Bildmontagen von “Jihadi John” geflutet haben. Damit haben sie dem IS die Möglichkeit genommen, das Video und ihr brutales Narrativ in Japan zu verbreiten. Mit Bildmontagen, in denen der Terrorist sein Messer hält, wird er z.B. in eine Dönerbude hinein platziert, wo es so wirkt, als würde er einen Kebabspieß schneiden. In einer anderen Bildmontage wirkt es, als würde er in einem Kochstudio nun Sushi schneiden. So machten die Japaner dem Affentheater erfolgreich ein Ende. Sie kommentierten diese Bildmontagen damit, dass dieser Tag ein trauriger sei, aber das, was davon bliebe, sei die Botschaft, dass der IS ein Witz ist.

Autoren benötigen Worte.
Worte benötigen Zeit

Unterstützen