HipHop-Experte im Interview

Falk Schacht: "HipHop wird im Mainstream akzeptiert, aber nicht verstanden"

15.03.2018 - Patricia Bartos

Falk Schacht gehört zu den anerkanntesten HipHop Experten und Musikjournalisten in Deutschland. Schon seit seinem neunten Lebensjahr und der Entstehung des HipHop in Deutschland begleitet ihn diese Musikrichtung, die zu seiner Lebenseinstellung wurde. DAS MILIEU hat mit dem Journalisten über die Entstehung des Rap in Deutschland, die Vorurteile gegenüber Straßenrappern und die Frage, warum gerade Rap nicht für die negativen Einflüsse auf die Jugend verantwortlich ist, gesprochen.

DAS MILIEU: Herr Schacht, Sie beschäftigen sich schon seit Ihrer Jugend mit Rap und HipHop. Was kann Rap denn Ihrer Meinung nach was andere Musikrichtungen nicht können? Was hebt ihn von anderen Musikrichtungen ab?

Falk Schacht: Die Frage ist falsch herum gestellt. Es gibt ein großes Spektrum an Auswahlmöglichkeiten und ich glaube, dass das der Hauptgrund ist, warum die HipHop Kultur überhaupt so weit verbreitet ist. Für´s Rappen braucht man theoretisch nicht viel. Da braucht man nur einen Mund und ein paar Ideen, beim Graffiti-Malen braucht man ein paar Dosen. Die Zugangshöhe ist erstmal relativ niedrig. Als Weiteres kommt dann dazu, dass alle Bereiche des HipHop sich in einer stetigen Weiterentwicklung befinden, ohne dass es jemals eine Grenze geben könnte. Rockmusik hat z.B. das Problem, dass es nach rund 70 Jahren natürlich sehr weit ausdifferenziert ist. Die Rock-Formel basiert bis heute auf verzerrten Gitarren, Bass, Schlagzeug und Vocals. Von Hard Rock über Punk zu Death Metal, Crossover und Nu Metal. Es ist schwer, da noch neue und innovative Ausdrucksformen zu entwickeln, die am Ende als Teil des Rocks betrachtet werden können. Die HipHop Kultur ist aber von Anfang an eine chamäleonartige Hybrid-Kultur die sich diverse existierende Elemente nimmt und in etwas Neues transformiert. Diese Mutationsfähigkeit macht HipHop und Rap unsterblich. Gleichzeitig führt dieser Innovationsdruck der Jungen zu Generationskonflikten im Rap und einer Form von Abriss was die Historie der Kultur betrifft. Während im Rock 20-Jährige ohne Probleme Black Sabbath feiern und verstehen können, obwohl mehr als 40 Jahre vergangen sind, ist das im Rap ungleich schwerer. Der Sound und Style von 80er Jahre Rap ist so konträr zu den aktuellen Styles im Rap, dass es vielen schwer fällt Begeisterung zu entwickeln. Das bedeutet aber auch, dass jede Generation ihre eigene Version von HipHop erschaffen kann. HipHop bietet jedem Menschen die Möglichkeit alles zu tun.

MILIEU: Aber man hört beispielsweise gerade bei neuen Rappern oft die Kritik, dass das ja gar kein Rap mehr ist.

Schacht: Genau, dass sind dann die Generationenkonflikte, von denen ich eben gesprochen habe, bei denen ganz klar ist, dass eine Generation eine Definition vorgibt, die aber eben immer nur ihre eigene ist und dementsprechend im Konflikt mit der Nachfolgeneration steht. Deshalb gibt es automatisch Streitigkeiten darüber,  wer den „echten“ und „wahren“ Rap macht.

MILIEU: Sie setzen sich intensiv mit Jugendkultur und dem Einfluss von HipHop auf die Jugend auseinander. Warum ist Ihnen gerade dieses Thema so wichtig?


Schacht: Das eigentlich interessante ist, dass HipHop und Rap mal eine Jugendkultur war. Ursprünglich ist es eine Kultur, die von Kindern und Jugendlichen in den Parks von New York erschaffen wurde. Dieses Jahr wird HipHop aber 45 Jahre alt und dementsprechend ist wiederum klar, dass es inzwischen Rapper und HipHopper gibt die über 50 sind. Es kann also nicht nur eine Jugendkultur sein. Natürlich tun viele Menschen HipHop und Rap als eine lächerliche Jugendkultur ab und der bereits beschriebene Generationenkonflikt tut innerhalb der Kultur sein Übriges. Viele ältere ziehen sich dann enttäuscht zurück, auch Künstler. Dementsprechend nimmt man sehr stark die Jungen wahr, dominieren sie doch auch die Charts. In den USA gibt es dazu eine interessante Beobachtung. Die „Oldie“ Sender dort funktionierten Jahrzehntelang sehr erfolgreich. Die so genannte „Baby Boomer“ Generation wurde dort mit Rock Musik aus den 60s, 70s und 80s versorgt. Diese Sender haben aber extreme Quoten Probleme bekommen, weil diese Baby Boomer Generation inzwischen ein sehr hohes Durchschnittsalter erreicht hat. Irgendwann kam man auf die Idee es mal mit Rap der späten 80s und frühen 90s zu probieren. Und diese neuen „Oldie“ Sender sind instant explodiert was die Quoten betrifft. Mir persönlich ist das allerdings zu sehr limitiert. Ich liebe die aufregende Innovationskraft von HipHop und beschäftige mich mit allen Phasen der HipHop Kultur und feiere tatsächlich alle Styles ab. Ob nun die Rapper aus den 70s oder von heute, sie alle haben mir etwas zu geben.

MILIEU: Sie haben neben Ihrer eigenen Sendung „Die Falk Schacht Show“ auch zusammen mit Jule Wasabi einen Deutschrap Podcast. Wie und mit welcher Absicht kam es zu dieser Zusammenarbeit?

Schacht: Es gab von PULS einen Aufruf für einen Deutschrap Podcast. Ich habe mich dann mit dem Sender unterhalten welches Konzept ihnen vorschwebt. Dann wurden diverse Castings gemacht und am Ende hat sich der Sender für diese Konstellation entschieden.

MILIEU: Dadurch, dass sie vorwiegend als Journalist in der Szene tätig sind, sind Sie auch das ein oder andere Mal mit Disstracks konfrontiert. (Anm.: Audio88 & Yassin – Köfte und Schnitzel). Viele Rapper sind nicht gut auf Journalisten zu sprechen. Wie reagieren Sie denn auf sowas? Nimmt man das persönlich?

Schacht: Bei „Köfte und Schnitzel“ handelt es sich ausnahmsweise um einen Scherz von Audio88 & Yassin - das ist eigentlich nur Liebe. Aber natürlich bleibt es nach 25 Jahren Journalismus nicht aus, dass man in Songs gedisst wird. Nun weiß ich aber auch, dass der Diss viel mehr über die Person aussagt, die mich disst, als es über meine Person aussagt. Es gibt Personen, wo ich es eher schade finde, dass man dann ein gestörtes Verhältnis hat. Und dann gibt es Personen, wo ich es gut finde, dass die mich dissen.

MILIEU: Die deutsche HipHop Szene entstand Anfang der 80er Jahre mit Gruppen wie Advanced Chemistry und später dann Fanta4. Als Antwort auf den „spaßbürgerlichen Rap“ kam dann, grob zusammengefasst, der Straßen - und Gangstarap. Wie haben Sie denn diese Phase in der deutschen HipHop Historie wahrgenommen?

Schacht: Das war tatsächlich eine krisenartige Stimmung, da die in den 90ern erzielten Erfolge plötzlich ausblieben. Es hat sich so angefühlt wie das Platzen einer Blase. Da haben verschiedene Sachen mitgespielt: künstlerisch gab es eine starke Limitierung. Es gab gerade mal eine handvoll interessante Rapper und Gruppen und dahinter aber hunderte von mittelmäßigen Kopien dieser Rapper. Und die Plattenfirmen haben zu schnell,  zu viele,  zu uninteressante Künstler unter Vertrag genommen. Was damit Zusammenhang, dass es bei den Plattenfirmen damals einfach keine Rap Expertise gab. Man hat nur gesehen, dass da was geht im Deutschrap und hat schnell Geld hingeworfen, mit der Hoffnung, dass man da ein paar Euros ausquetschen kann. Dies erklärt den wirtschaftlichen Zusammenbruch der Rap Szene zwischen 2000-2004. Aus dieser Krisenstimmung heraus hat sich plötzlich eine Trotzreaktion entwickelt und wie ein schmutziger Phoenix aus der Asche ist Aggro Berlin entstanden, die nicht nur innerhalb des Mainstreams polarisiert haben, sondern auch in der HipHop Szene selbst. Die wohl behütetet HipHop Szene der 90er hat sich wie vor's Schienbein getreten gefühlt und es wurde auch klar von der Aggro-Seite gesagt: Wir sind nicht so wie ihr. Hier haben wir einen Generationenkonflikt, der sich innerhalb einer Generation abspielt. Letztendlich war das aber der notwendige Emanzipationsprozess um von alten Dogmen weg zu kommen und der Startschuss für die Entwicklungen, deren Auswirkungen wir heute sehen. Da können wir eine riesige Bandbreite unterschiedlicher Stilrichtungen des Raps erkennen, aus denen sich jeder etwas picken kann. Auch wenn man gar kein Fan von Rap ist, man wird eine Gruppe finden, die einem Spaß bereitet. Das ist auch der Grund, warum Deutschrap heute so erfolgreich sein kann und vor fast 20 Jahren zusammengeklappt ist. Es gab einfach nur Erbsensuppe, und nach ein paar Jahren Erbsensuppe, hat man keine Lust mehr auf Erbsensuppe.

MILIEU: Maxim von Kiz meinte mal, dass ihn diese „Ich will nur spielen“ – Attitüde von Fanta4 im Rap schon immer genervt hat. Ist Rap besser, wenn er böse ist?

Schacht: Das ist natürlich eine individuelle Ansichtssache. Für meinen persönlichen Geschmack ist braver und poppiger Rap auch zu langweilig. Aber das kann man halt nicht generell für Rap sagen. Jede Rapform hat offensichtlich ihre Daseinsberechtigung, solange sie Fans findet. Wer bin ich, dass zu kritisieren? Ich persönliche brauche die Musik der Fanta 4 nicht, aber irgendwer braucht sie.

MILIEU: Sie sehen da also qualitativ sozusagen keinen Unterschied?


Schacht: Man muss ehrlich sein, wahrscheinlich hätten die Fanta 4 mit modernen Produktionen und Flows Probleme. Dafür konnten sie bereits zu einer Zeit recht sauber flowen, als es bei vielen anderen noch radbrechend klang. Es wäre aber lächerlich von Maradona zu verlangen, so gut zu spielen wie Ronaldo. Ich denke auch, dass das Maxim der Freundlichkeit sich auf das Unkritische bezogen hat, es ist eben harmlos und tut niemandem weh. Rap sollte jedoch wehtun, sonst wird's ein bisschen langweilig und unbedeutend, da stimme ich ihm zu.

MILIEU: Gewalt, Kriminalität, Drogen, die Erfahrungen in Problembezirken sind Themen, die im Straßen – und Gangstarap immer wieder vorkommen. Sei das jetzt Haftbefehl, Blokkmonsta oder Sadiq. Teilen Sie da die oft vertretene Meinung, dass Rapper solche Probleme verklären, idealisieren oder verherrlichen?

Schacht: Nein. Menschen, die das so pauschal behaupten, haben lustigerweise klischeehafte Vorurteile diesen Personen gegenüber, weil sie sich nicht die Frage stellen: warum ein Gangsta – oder ein Straßenrapper die Situation seines Lebens verherrlicht? Vielleicht kommt man dann auf die Antwort, dass sein Straßenleben eigentlich gar nicht so toll ist, aber wer mag so etwas schon zugeben? Natürlich gibt es Künstler die erzählen, dass ihr ganzes Leben schlecht ist und sie total unglücklich sind. Das gibt es in genügend Musikgenres. Es gibt aber eben auch Menschen, die diese Schwäche öffentlich nicht zugeben können und die sich selber und ihren Lifestyle in ihrer Kunst überhöhen. Wenn man diese Leute aber ernsthaft fragt, und das habe ich in rund 25 Jahren Journalismus oft gemacht, dann sagen sie auch ganz ehrlich, dass sie aus diesen Verhältnissen raus wollen und es ihr Ziel ist legal Geld zu verdienen. Jemand der Musik macht, der Texte schreibt, ist doch bereits aktiv dabei, an seinem Weg heraus aus den Verhältnissen zu arbeiten. Ich würde mir da sehr viel mehr Verständnis auf der Kritiker Seite wünschen. Gangsta Rapper schaffen Arbeitsplätze, erst mal sich selber, und dann anderen. Manager, Booker, Ton Studio Betreibern, Videoproduzenten, Anwälten, Steuerberater usw. Die Kinder der Kritiker gehen auf Schulen, die auch von Steuergeldern betrieben werden, die Gangsta Rapper zahlen.

DAS MILIEU: Das ist dann also schon eine sehr elitäre und herrschaftliche Haltung, oder?


Schacht: Ja. Ich kann es auch nachvollziehen, dass man diese Welt und diese Geschichten suspekt findet, wenn ich mich nicht näher damit auseinandersetze, dann wirkt erstmal alles asozial. So einfach ist es jedoch nicht und vorschnelle Urteile helfen überhaupt gar keinem weiter. So sule ich mich nur in meinem elitären und arroganten Gehabe.


MILIEU: Gerade die Jugend konsumiert viel HipHop und Deutschrap. Kann das unter Umständen dazu führen, dass Jugendliche durch die angesprochenen Themen desensibilisiert werden, Hemmschwellen verlieren? Davor warnen Lehrer oder Psychologen immer wieder.

Schacht: Auch das kann ich nachvollziehen. Aber mir soll bitte jemand folgendes beantworten: Die Nachrichten sind voll von Kriegen, Attentaten und Katastrophen. Kinderarbeit ermöglicht uns billige Statussymbole bis die Fabrik einstürzt und andere Kinder die Arbeit übernehmen müssen. Ungerechtigkeiten gibt es nicht nur außerhalb Deutschlands, sondern zu Genüge auch hier zu beobachten. Obdachlose die durch Hartz IV Sanktionen produziert werden, Kinder und Altersarmut, Pflegeheim und Krankenhaus Notstand, Zweiklassen Medizin durch gesetzliche und private Versicherung, Rassismus im Alltag und bei Bewerbungsgesprächen, Frauen verdienen weniger als Männer für dieselbe Arbeit, Gentrifizierung auf Kosten Armer, brennende Flüchtlingsunterkünfte, die #MeToo Debatte, Kirchenpfaffen die sich 30 Millionen Residenzen bauen, während nebenan die Leute bei der Tafel anstehen usw. Wieso sollte gerade Musik daran schuld sein, dass es Kinder gibt die sich wie Arschlöcher verhalten? Das ist mir zu einfach gedacht. Wenn es so wäre, müssten wir ja nur Gangsta Rap verbieten und eine Pflicht ins Grundgesetz einführen, dass Babys schon im Mutterleib nur Helene Fischer und Andreas Gabalier hören dürfen und wir hätten Weltfrieden!

MILIEU: Zensur, BPJM und Indizierung von Alben ist etwas mit dem sich Rapper immer wieder auseinandersetzen müssen. Gerechtfertigt wird dann Zensur/Indizierung immer mit dem Argument, die Jugend zu schützen. Sind solche Maßnahmen denn überhaupt effektiv?

Schacht: Im heutigen Zeitalter, wo alles nur einen Klick entfernt ist, ist das unsinnig. Es übt nur einen wirtschaftlichen Druck auf Musiker und Filmemacher aus, weil diese nach der Indizierung ihre Werke nicht mehr wirtschaftlich auswerten können und somit dementsprechend kein Geld damit verdienen. Es funktioniert also auf eine indirekte Art und Weise. Die Kids konsumieren das trotzdem, aber der Künstler kann damit kein Geld verdienen. Ich weiß nicht, ob das die beste Lösung ist. Der Gesetzgeber könnte sich da sicherlich etwas Neues ausdenken.

MILIEU: Ist das nicht ein Eingriff in die Meinungsfreiheit?


Schacht: Ich finde das schon in Ordnung, es muss einen gesellschaftlichen Diskurs darüber geben, was wir denken das Kinder konsumieren dürfen. Wenn man dann Inhalte festlegt, die nur über 18 konsumiert werden dürfen, dann finde ich das vollkommen legitim. Wenn es aber durch die Technologie pervertiert wird und das Konstrukt, wie es jetzt herrscht dabei rauskommt, dann ist es natürlich sinnlos. Ich habe da auch keine Lösung, aber Fakt ist, dass es so rum Unsinn ist.

MILIEU: Sie meinten mal, dass Rap nichts machen kann was sowieso nicht politisch ist. Wie haben Sie das gemeint?

Schacht: Alles was wir tun ist am Ende des Tages politisch. Im Speziellen auf Rap bezogen meine ich damit, dass oft gerne gefordert wird, dass Rap politischer sein soll. Er soll das vorherrschende System aktiv kritisieren. Das kann ich auf der einen Seite nachvollziehen, aber Gesellschaftskritik ist nicht nur vorhanden wenn jemand sagt „Ich finde die Gesellschaft scheiße weil…“ Wenn der Gangsta-Rapper Haftbefehl in seinen Liedern aus seinem Alltag auf der Straße erzählt, was dort mit Drogen und Gewalt passiert und er das auch glorifiziert, dann ist das auch eine politische Aussage. Es wirft nämlich die Frage auf, wie es zu den Verhältnissen kommen konnte, dass solche Geschichten überhaupt auf der Straße passieren. Statt die Verantwortung wahrzunehmen, darüber zu sprechen wer die Verantwortung dafür trägt, dass es zu solchen Verhältnissen kommen konnte, ist die einzige Lösung die allen sofort einfällt Vorwürfe zu machen und das ganze verbieten zu wollen. Wir müssen darüber sprechen warum es solche Viertel gibt, in denen ein Haftbefehl groß geworden ist. Er ist sicherlich nicht schuld daran, dass es solche Viertel gibt. Warum behandeln wir ihn dann so?

MILIEU: Deutschrap ist nun trotzdem schon seit einiger Zeit im Feuilleton angekommen. Wie können Sie es sich denn erklären, dass Menschen, die früher Rap als asozial abgestempelt und kritisiert haben, die Musikrichtung nun feiern und etwa Haftbefehl als den „Dichter der Stunde“ betiteln? (zeit.de)

Schacht: Ich habe mir diese Frage ebenso oft gestellt und für mich zwei Antworten gefunden. Die erste ist, dass im Feuilleton inzwischen auch Leute arbeiten, die mit Rap in den 90ern aufgewachsen sind und die diese Zugangsproblematik nicht mehr haben. Damals war es so, dass man nicht nur ein Problem mit Gangstarap hatte, sondern mit Rap generell. Eine zweite Antwort, die ich gefunden habe, ist wiederum die Frage, wo denn eigentlich die Klaus Kinskis, Peter Zadeks und Schlingensiefs von heute sind? Die Personen, die in öffentlichen Foren die herrschenden Verhältnisse in Frage stellen, mit einer Axt den Tisch zerschlagen und Mikrofone aus einer Livesendung klauen? Diese Personen finde ich im angepassten Kunstbetrieb, wo jeder darauf bedacht ist bloß nicht anzuecken, nicht mehr. Ich war bei der 50 Jahr Feier der ZDF Aspekte Sendung und da gab es eine Doku zur Sendung, in der alles was ich gesehen habe enfants terribles waren, die die miesesten Schimpfworte benutzt haben. Da war dann Zadek der explizit von „F***en“ und „F***ern“ sprach! Da habe ich gedacht, ok der macht Gangsta-Theater. Diese Aufregung und das Kratzen an bestehenden Verhältnissen wurde von Rap übernommen. Deswegen gibt es auch Leute, die das aufregend finden und darüber berichten. Es gibt jedoch genauso Menschen, die das als ganz schlimm und primitiv empfinden und da ist der Unterschied: während Peter Zadek vom „F***en“ reden kann und trotzdem als Intellektueller galt, gelten Rapper die vom „F***en“ reden als primitiv und dumm. Ich warte noch darauf das mir einer erklärt warum ein „F***en“ bei Zadek Hochkultur ist, und ein „F****n“ von Haftbefehl primitiv ist.

MILIEU: Möchten Journalisten nicht gerne die harte Gesellschaftskritik oder den politischen Subtext in Texten sehen, obwohl er vielleicht manchmal gar nicht da ist?


Schacht: Das ist gut möglich. Ich würde auch behaupten, dass das Politische im Gangstarap manchmal keine bewusste politische Äußerung ist, dementsprechend ist es den Protagonisten selber nicht so klar wie politisch sie eigentlich sind und wahrscheinlich sind gewisse Teile überinterpretiert. Im Endeffekt ist das aber auch wieder vollkommen egal, denn solange der Diskurs angetreten wird ist alles in Ordnung. Solange über Rap geredet wird, geht's ihm gut.

MILIEU: Ein Dauerbrenner ist auch das Thema Sexismus im Deutschrap. Die Hauptkritik von vielen bezieht sich darauf, dass ein stark sexualisiertes Bild mit Beschimpfungen verwendet wird. Wenn aber Robin Thickes Blurred Lines im Radio auf und ab gespielt wird scheint das kein Problem zu sein. Warum ist das so?

Schacht: Englisch ist sozusagen egal, da hört eh keiner hin. Wenn man Deutschrap im Radio spielt, dann steht man immer wieder vor der Problematik, dass man mit Beschwerden konfrontiert wird. Ich glaube allerdings, dass wenn man „Blurred Lines“ auf Deutsch übersetzen würde, es auch keinen Aufschrei gibt. Es ist keine explizite Sprache in dem Song drin. Im Rap hingegen werden oft sehr explizite Worte verwendet und diese Worte alleine sind schon Trigger. Ich weiß, dass sich mal ein Radiomacher vor seinem Chef verantworten musste, weil es eine Beschwerde gab, dass man einen Song hatte laufen lassen in dem der Holocaust relativiert wird. Der Song hatte eine Line in dem der Holocaust verurteilt wurde. Aber es hat einfach nur das Wort „Holocaust“ gereicht, dass jemand zu Hörer griff und meinte sich beschweren zu müssen. Radiosender reagieren deshalb extrem sensibel auf Rap. Sie sehen durch die Streaming Dienste wie stark das Thema nachgefragt wird. Haben aber Angst sich rechtfertigen zu müssen.

MILIEU: Aber liegt das wirklich nur an den Worten? Wenn jetzt im Schlager „Nein heißt Ja, wenn man lächelt so wie du“ (G.G. Anderson) gesungen wird, dann ist das offensichtlich sexistisch.

Schacht: Natürlich, das Problem ist nur, dass ganz viele Leute diesen Sexismus nicht bemerken. Es bemerken eher jüngere Menschen, die dafür sensibilisiert sind, während die älteren Generationen schon so daran gewöhnt sind, dass es doch ganz harmlos ist. Es stimmt ja auch in dem Sinne, dass kein Schimpfwort verwendet wird. Diese ältere Generation würde aber durchdrehen, wenn GG Anderson singen würde „Ich f*** dich und halt dir dabei den Mund zu, denn nein heißt ja, wenn man lächelt so wie du“.

MILIEU: Das Thema Sexismus und Rap ein bisschen auf die Spitze getrieben haben SXTN mit ihrem Track „Hass Frau“, es geht dann weiter mit der Line „Du nichts, ich Mann“, in dem sie Alice Schwarzer mit ihrer Auseinandersetzung mit King Orgasmus One persiflieren. Kann man das jetzt schon als feministischen Rap bezeichnen?

Schacht: Es ist auf jeden Fall ein feministischer Akt. Wir unterhalten uns über die Verhältnisse und was da richtig oder falsch sein könnte und vor allen Dingen was die Grundlage ist, dass SXTN solche Texte überhaupt schreiben. Das basiert eben genau darauf, dass das Verhältnis andersrum gestört ist. Männer transportieren ihre sexistischen Bilder und, jetzt kommt der Punkt, theoretisch verbieten sie Frauen ihre eigenen sexistischen Bilder zu transportieren. Dann gibt es die eine Fraktion, die sagt, dass SXTN das gleiche wie Männer machen und das ist dann nicht feministisch, dem stimme ich jedoch nicht zu. Es ist eine Form von Feminismus, die man nicht gut finden muss, aber dass sie existiert finde ich gut, weil es dem männlichen Chauvinismus Paroli bietet. Es zeigt: wenn ihr Scheiße machen dürft, dann dürfen wir das jetzt auch. Es geht darum, dass die gleichen Rechte für alle herrschen und dazu gehört eben auch Dummheiten zu machen, die vom Gesetz her erlaubt sind. Zu verlangen, dass Frauen sich besser verhalten als Männer ist doch paradox. Wenn, dann müssen wir alle besser und moralischer werden und nicht nur die Frauen.

MILIEU: Was wünschen Sie sich denn für die Zukunft des Deutschrap?

Schacht: Das ist eine sehr schwierige Frage mit einer noch komplizierteren Antwort. Seit meinem 9. Lebensjahr bin ich für diese Kultur eingetreten und habe immer um Verständnis in der Gesellschaft gerungen. Ich wollte, dass die anderen die Schönheit dieser Kultur sehen. Und jetzt wo ich erlebe, dass Rap und HipHop in die Gesellschaft hineinwächst, stelle ich fest, dass Rap trotzdem nicht wirklich verstanden wird. Nicht mal innerhalb der Kultur mit den ganzen Generationenkonflikten. Im Mainstream wird HipHop akzeptiert und konsumiert, aber die positiven Dinge die ich erwartet hatte, dass sie mit einem größeren Verständnis von HipHop einhergehen würden, sind wesentlich kleiner als ich mir vorgestellt hatte. Ich denke an dem Tag, an dem sich kein Mensch mehr über Rap aufregt, ist er tot. Das könnte ich gerne in Kauf nehmen, wenn es bedeuten würde das alle Menschen plötzlich gut sind und wir tatsächlich Weltfrieden haben, aber das ist sehr unrealistisch. Mein Wunsch für die Zukunft wäre, dass HipHop weiterhin für Aufregung sorgt, dann ist alles in Ordnung - oder eben auch nicht, aber ich habe ja gesagt, dass die Antwort kompliziert ist.

MILIEU: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Schacht! 

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