Rezension

Geht's noch? Impulse für Lebensqualität und Gelassenheit im Alltag und Beruf

01.09.2014 - Dr. Burkhard Luber

Der Titel des Buches könnte das Motto eines Marathonläufers sein. Stattdessen will uns der Autor Dirk Rauh jedoch aus dem Hamsterrad befreien, zu dem das Leben mitunter zu werden droht. Befreiung von Stress in vielfältiger Weise, wie z.B. in Beziehungen, am Arbeitsplatz oder im Alltag, ist das Thema des Buches. Man könnte es auch ein Buch der Demaskierung nennen, was uns helfen möchte, die Vielzahl von Fehlwahrnehmungen, falschen Projektionen und unrealistischen Wunschvorstellungen, in denen wir oft gefangen sind, zu überwinden.

Wie kann das erfolgreich passieren? Als allererstes müssen wir uns von allerhand Müll in unserem Leben befreien: Müll im Kopf, in unseren Beziehungen, im Körper und in unserem Besitz. Gerade für die Verschlankung unserer Besitztümer (der überquellende Kleiderschrank, die vollgestopften Bücherschränke, die nicht mehr zu bändigende CD-Sammlung) schlägt uns Rauh instruktive Tests vor: Welche 20 Dinge brauche ich täglich, welche 5 nur einmal im Monat, welche 5 nur einmal im Jahr? An welchen Dingen hänge ich wirklich? Wer diese Tests ernsthaft durchführt, wird wahrscheinlich merken, auf welch eine kleine Auswahl unser Besitz tatsächlich zusammenschrumpft, wenn wir die Kategorie „wichtig“ wirklich ernst nehmen.


In dieser Weise ernüchtert lässt uns der Autor danach auch Befreiungsblicke auf unsere Person und unseren Lebensalltag werfen. Wovon wir uns hier befreien sollen, ist das, was der Autor den „Fuzzy“ nennt. C.G. Jung würde vielleicht vom Schatten sprechen oder S. Freud vom Über-Ich. Jedenfalls die Instanz in uns, die uns daran hindert, die Realität ohne Wenn und Aber auch als solche wahrzunehmen. Statt einen realistischen Blick zu entwickeln, erliegen wir oft dem Zensor in uns, der immer alles besser weiß, oder dem Oberlehrer, der immer gleich alles mit Noten bewertet.


Neben der Macht des „Fuzzy“ gibt es noch andere Mächte in uns: Da ist das Etikettieren, mithilfe dessen wir sowohl unsere Vorurteile pflegen, aber auch Unerwünschtes überdecken. Und es gibt das Marionettenspiel: Die uns umgebenden Abhängigkeiten, durch die wir gefangen sind oder andere gefangen halten. Letztendlich sind wir oft Opfer von Fehlwahrnehmungen. Wir legen uns die Wirklichkeit so zurecht, wie wir sie gerne hätten, statt uns ihr tatsächlich zu stellen. Und oft meinen wir mehr zu wissen als wir es tatsächlich tun.


Nachdem Rauh den Leser dafür sensibilisiert hat, mit welchen (und mit wie vielen) Fehlperzeptionen er im Leben rechnen muss, geht es in der zweiten Hälfte des Buches um konkrete Wege aus dieser Wahrnehmungsfalle. Diese Wege fasst Rauh unter der Kategorie „EinsichT“ zusammen. „EinsichT“ ist eine Lebensorientierung, für die Selbstbezogenheit und Selbstverantwortung maßgeblich sind. Dementsprechend soll auch die Sprache ausfallen: Gegenwartsform, keine Wertungen, Ich-Bezogenheit.


Die Überschrift des letzten Buchteils ist Programm: „Jetzt“. Hier empfiehlt der Autor, immer wieder die Gegenwart, ja, sogar den Augenblick als die entscheidende Zeitkategorie zu wählen. Wir sollen uns der Gegenwart stellen, anstatt ihr durch immer wieder neue „replays“ der Vergangenheit oder durch, meist unrealistische, Wunschträume von der Zukunft zu entfliehen.
Dirk Rauh schreibt sein Buch mit hoher Einsicht in das, was uns oft das Leben so schwer macht, wie z.B. mangelnde Konzentration, unrealistische Lebensziele, Projektionen, Verzicht auf die eigene Entschlusskraft und Eigenverantwortung oder unangemessene Vergleiche mit anderen Personen. Auch wenn man die „Lebensphilosophie“ des Autors als solche nicht teilt, sind die vielen Experimente, zu denen er einlädt, sehr instruktiv.  Man kann das Buch also auch häppchenweise zur Hand nehmen, indem man von Zeit zu Zeit einen der darin enthaltenen Test ausführt, wie zum Beispiel:

  • Ein Wochenende ohne Uhr und ohne Smartphone verleben
  • Eine Stunde überhaupt nichts tun
  • Einen Monat bewusst eine andere Zeitung als bisher lesen
  • Einer Person Aufmerksamkeit schenken, die man bisher nie beachtet hat


Alles in allem ein Buch, das motiviert, eingefahrene Gleise im Leben zumindest zu überprüfen und gegebenenfalls auch zu verlassen. In flottem Stil geschrieben kann es dazu  beitragen, einen neuen, frischeren Blick auf die Wirklichkeit zu werfen, in manchen Fällen sogar sich der Wirklichkeit überhaupt erst einmal bewusst zu stellen.

 

 


Dirk Rauh: Geht´s noch? Impulse für Lebensqualität und Gelassenheit im Alltag und Beruf. 172 Seiten. 2014. Books on Demand. Norderstedt. Euro 28.90

ISBN: 978-3732297061

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