Grünen-Politiker im Interview

Hans-Christian Ströbele: "Snowden ist enttäuscht"

01.05.2014 - Rizwan F. Mian

Nach Bekanntwerden des NSA-Skandals besuchte er Edward Snowden in Moskau und setzt sich seit dem für seine Zeugenaussage vor dem Untersuchungsausschuss und für ein Asyl in Deutschland ein. DAS MILIEU sprach mit Hans-Christian Ströbele, dem Bundestagsabgeordneten der Grünen über fehlende Anerkennung für Snowden, die Fehler der Bundesregierung und illegale Machenschaften der Geheimdienste.

DAS MILIEU: Ende 2013 waren viele verblüfft, als Sie nach Moskau reisten und mit Edward Snowden sprachen. Trotz vieler Stimmen aus dem Volk, Snowden Asyl in Deutschland zu gewähren, stellte sich die Bundesregierung dagegen. Wie reagierte Snowden über diese Reaktion des ansonsten so nach Transparenz strebenden Deutschland?
 
Ströbele: Er war natürlich enttäuscht. Aber über die Haltung der Bundesregierung haben wir nicht länger gesprochen.
 
DAS MILIEU: Hätte Edward Snowden Ihrer Meinung nach den Friedensnobelpreis verdient? Und was halten Sie von dem Einwand, dass er doch ein Straftäter sei und diese Auszeichnung daher nicht verdiene?
 
Ströbele: Ja, sicher hätte er den Preis verdient. Es gibt Geheimnisbrüche, die sind legitim und ehrenwert, nämlich wenn sie zur Aufdeckung von Grundrechtsverletzungen von Hunderten von Millionen Menschen weltweit  und von schweren Straftaten, sowie deren weiteren Begehung notwendig sind. Die Rechte all dieser Menschen auf Schutz, Privatheit und der freien unkontrollierten Kommunikation wiegen dann schwerer als rechtliche Geheimhaltungsverpflichtungen.  
 
DAS MILIEU: Wissenschaftler der Universität Tübingen zollen Gregor Gysi und Ihnen großen Lob. Denn Sie seien es gewesen, die in der Sondersitzung des Bundestages 'in engagierten Reden ihre deutliche andere Sicht der Dinge' zur Geltung gebracht hätten und der Regierung 'offensiv und mutig' entgegengetreten wären. Woran scheitert nun ein Asylantrag trotz Ihres offensiven und mutigen Engagements?
 
Ströbele: Der Antrag scheitert bisher am Mut der Bundesregierung, sich zu trauen, dem US-Geheimdienst auch mal die Stirn zu bieten, zum Schutz der Grundrechte der deutschen Bevölkerung.
Die Ablehnung lässt auch jedes Gefühl der Dankbarkeit demgegenüber vermissen, dessen Enthüllungen dem Deutschen Bundestag, der deutschen Justiz und der Bundesregierung bis hin zur Kanzlerin selbst überhaupt erst die Möglichkeit verschafft haben, von der illegalen und strafbaren Massenausspähung zu wissen und sich dagegen zu wehren.   
 
DAS MILIEU: Im Laufe des NSA-Geheimdienstskandals wurde ja auch bekannt, dass der BND massenhaft Verbindungsdaten aus Deutschland an die NSA übermittelte. Dies widerspricht den Aussagen vom damaligen Kanzleramtschef und Geheimdienstkoordinator Ronald Pofalla, der vor dem Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr), in dem Sie ebenfalls Mitglied sind, versicherte, dass der Datenschutz zu '100 Prozent eingehalten' wäre und die deutschen Dienste keine Datenmassen an die NSA weitergeleitet haben würden. Warum täuschte Pofalla das PKGr?
 
Ströbele: Das müssen Sie Herrn Pofalla fragen. Er hat es mir bisher nicht verraten. Wir hoffen der eingesetzte Untersuchungsausschuss des Bundestages kann auch diese Frage klären.
 
DAS MILIEU: Aber auch Kanzlerin Merkel müsste sich verantworten. Sie sagte: 'Ich habe keinen Grund, an den Angaben der USA zur Einhaltung deutschen Rechts zu zweifeln.' Pofalla und der damalige Innenminister Friedrich erklärten, die Vorwürfe seien vom Tisch – Wie erklären Sie sich solche Reaktionen?

Ströbele: Na ja. Ich denke die Bundeskanzlerin wird dies nicht mehr so sehen und so sagen. Traurig ist, dass es erst die Enthüllung des Abhörens ihres eigenen Handys bedurfte, dass auch sie sehr laut gesagt hat: 'Das geht gar nicht!'. Die Ausspähung der Daten großer Teile der deutschen Bevölkerung hat sie offenbar weniger bekümmert. Das Abhören des Handys der Kanzlerin wird durch kein deutsches Recht erlaubt. Also waren auch diese Beteuerungen des NSA-Chefs Lügen.
Auch Herr Pofalla fand die Vorwürfe ja noch vor Ende seiner Amtszeit als Minister auf seinem Tisch wieder.
 
DAS MILIEU: Jetzt stellte sich ja heraus, dass die Bundeskanzlerin Merkel in der Vergangenheit auch für Dienstgespräche ein unsicheres Handy benutzte, obwohl ihr ein spezielles abhörsicheres Mobiltelefon zur Verfügung stand. Ihre Telefonate wurden abgehört. Wie war es möglich, dass ausländische Geheimdienste mitten in Berlin Telefonate unserer Kanzlerin abhörten und sehr wahrscheinlich noch immer abhören?
 
Ströbele: Das müssen Sie wiederum die US-Botschaft fragen. Meine Kenntnisse zum Antennengewirr auf dem Dach der US-Botschaft sind doch sehr bescheiden. Das sicherere Telefon war der Kanzlerin wohl in der Bedienung zu umständlich und zu kompliziert.

DAS MILIEU: Aber wie sieht es generell aus? Wie weit darf eine Regierung im Namen der Erfüllung der nationalen Sicherheit gehen?
 
Ströbele: Jedenfalls darf der Staat Grundrechte der Bevölkerung nicht vorsorglich weitgehend außer Kraft setzen unter dem Vorwand, die Sicherheit müsse geschützt werden. Nur bei konkretem Verdacht der Gefährdung von essentiellen Sicherheitsinteressen darf der Staat begrenzt und verhältnismäßig und auch nur gerichtlich oder parlamentarisch kontrolliert in Bürgergrundrechte eingreifen. Das ist nun mal in einem Rechtsstaat so.
 
DAS MILIEU: Und trotzdem haben wir diesen riesen Skandal, der mittlerweile schon wieder fast vergessen ist. Warum ist die Angst auf deutscher Seite so groß, das deutsch-amerikanische Verhältnis zu ruinieren, während die USA das ja anscheinend nicht sehr zu interessieren scheint?
 

Ströbele: Das ist wohl so beim kleinen gegenüber dem großen Bruder.
 
DAS MILIEU: Muss sich Deutschland wirklich gefallen lassen, wenn Geheimdienste verbündeter Nationen es derart massiv überwachen?
 

Ströbele: Nein. Deshalb gibt es eine Spionageabwehr und ein Gesetz, das dem Verfassungsschutz die Abwehr zur Aufgabe macht.
 
DAS MILIEU: 'Das Internet ist für uns alle Neuland', so Kanzlerin Merkel. Müssen wir uns wundern, dass wir derart massiv über einen langen Zeitraum hinweg wenig ahnend ausgespäht werden konnten, wenn das Internet für uns doch nur 'Neuland' sei und die anderen Staaten ganz offensichtlich bereits weiter sind als wir?
 

Ströbele: Nicht staunen aber wundern schon. Wir wurden immer damit beruhigt: Unter Freunden hört man sich nicht ab.
Aber das stimmt offensichtlich nicht. Jetzt muss der Untersuchungsausschuss klären, ob diese Versicherung nur einseitig unbeachtet geblieben ist.

 
DAS MILIEU: Für wie wirksam halten Sie in diesem Zusammenhang ein No-Spy-Abkommen?
 
Ströbele: Für wenig nützlich und wirksam. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass solche internationalen Abkommen eh nicht eingehalten werden. Denn es gibt schon heute die Verpflichtung auch für die US-Geheimdienste, sich an deutsches Recht zu halten, wenn sie in Deutschland tätig sind. Aber die interessieren in der Praxis wenig. Vertrauen ist gut aber Kontrolle auch hier besser.
 
DAS MILIEU: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Ströbele!

 

 

 

 

Foto: © Bundestagsfraktion Bündnis90/Die Grünen / Stefan Kaminski

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