Verteidigungsexperte im Interview

Hans Peter Bartels: "Was würde ein Militärschlag ändern?"

31.08.2013 - Tahir Chaudhry

Der Einsatz von Giftgas im syrischen Bürgerkrieg sorgt weltweit für Entsetzen. Briten und Amerikaner sehen die "rote Linie" überschritten und planen eine militärische Intervention. SPD-Verteidigungsexperte Dr. Hans Peter Bartels sprach mit dem MILIEU über die "rote Linie" im syrischen Bürgerkrieg, über die Rolle der Großmächte und die Risiken eines Militärschlages.

DAS MILIEU: Angela Merkel hat sich eine lange Zeit beim Thema Syrien sehr bedeckt gehalten. Jetzt hat sie sich wieder zu Wort gemeldet und verschärft ihren Ton gegenüber dem Assad-Regime. Sie sieht "wenig Zweifel" darin, dass Assad Chemiewaffen eingesetzt habe. Liegt Sie damit Ihrer Meinung nach richtig?

 

Bartels: Der Einsatz von Giftgas wäre eine neue grausige Qualität in diesem schrecklichen Bürgerkrieg. Von wem das ausging, kann in Deutschland niemand aus eigener Anschauung beurteilen. Es ist gerade deswegen ein UN-Experten-Team vor Ort. Briten und Amerikaner sagen, sie haben eigene Erkenntnisse, dass es sich um den Einsatz von Chemiewaffen durch das Assad-Regime handelt. Es könnte sein.

 

DAS MILIEU: Viele Menschen erleben ein Déjà-Vu, wenn sie an den Irak-Krieg denken, der auf Basis einer Lüge begonnen wurde. Sehen Sie diese Parallelen auch?

 

Bartels: Die Konflikte sind unterschiedlich. Klar ist, dass man gerade im Nahen Osten mit militärischen Interventionen vorsichtig sein muss. Wir Deutsche haben ein Interesse daran, dass die Weltgemeinschaft mit einer Stimme spricht und auf einen Frieden hinwirkt, der diesen Bürgerkrieg beendet. Der Bürgerkrieg wird nicht durch Militärschläge von außen entschieden.

 

DAS MILIEU: Nun haben wir auf der einen Seite Russland, China und den Iran, die hinter Syrien stehen, und auf der anderen Seite USA und europäische Staaten. Aus der Revolution in Syrien ist ein grausamer Stellvertreterkrieg geworden ...

 

Bartels: ... das scheint mir ein Schlüssel des Problems zu sein. Es gibt eben nicht nur die Bürgerkriegsparteien in Syrien, sondern dahinter stehen auch Konflikte, die zwischen Akteuren der Weltpolitik ausgetragen werden. Russland ist die einzige Großmacht, die heute Assad ernsthaft Rückendeckung gibt. Die Russen sehen aber auch, dass hier etwas eskaliert, was nicht in ihrem Interesse sein kann. Wir haben im Grunde genommen mehr Gemeinsamkeiten mit Russland als derzeit sichtbar wird. Wir wollen keine islamistische Diktatur in Syrien und Russland auch nicht. Hier könnte Deutschland seine besonderen Beziehung zu Moskau einsetzen, um Russland ins Boot zu holen: ins Boot der internationalen Gemeinschaft. Dann kann man gemeinsam den Konfliktparteien in Syrien gegenübertreten und das Assad-Regime wäre relativ schnell weg – eine Vorbedingung für wirkliche Friedensverhandlungen unter internationaler Aufsicht.

 

DAS MILIEU: Vor wenigen Wochen beklagte Obama in einer amerikanischen Late-Night Sendung, dass Russland in die Mentalität des Kalten Krieges zurückgefallen sei. Sehen Sie das ähnlich?

 

Bartels: Nein. Russland will beides: ein Partner des Westens sein – und einer der starken Pole in der multipolaren neuen Weltordnung.


DAS MILIEU: Seitens der Briten und Amerikaner gibt es offenbar ernsthafte Pläne für einen Militärschlag. Es gab schon mal die Situation, in der es eine sogenannte „Koalition der Willigen“ gab, die ohne die Zustimmung der UN in einen Konflikt eingeschritten ist. Was halten Sie von einem Alleingang?

 

Bartels: Ich würde jetzt keine dritte Frage vor der ersten beantworten. Die erste Frage ist: Bekommen wir eine gemeinsame internationale Haltung hin? Und diese müsste Russland mit einschließen. Andere Fragen stellen sich dann als zweites und drittes, wenn die erste Frage beantwortet ist.

 

DAS MILIEU: Nun spricht man von einem zweitägigen "chirurgisch-präzisen" Krieg. Was halten Sie von dieser Strategie?

 

Bartels: Man wird in einem Bürgerkrieg nicht mit Militärschlägen von außen den Frieden erzwingen können.

 

DAS MILIEU: Wenn Sie persönlich die Möglichkeit hätten, Obama davon zu überzeugen, jetzt nicht reinzugehen, welche Argumente würden Sie nennen?

 

Bartels: Es geht doch gar nicht darum „reinzugehen“. Es geht offenbar um gezielte Luftschläge. Und das wäre sicher nicht problemlösend. Tatsächlich muss die Weltgemeinschaft zusammenfinden und eine gemeinsame Sprache gegenüber den Konfliktparteien finden. Für das Assad-Regime wird es erst dann eng, wenn es in der Weltpolitik nicht noch einen Paten für diese Diktatur gäbe. Anderseits sind wir alle besorgt darüber, dass es ja auch nicht "die eine" syrische Opposition gibt, sondern unterschiedlichste Gruppen, die sich zum Teil untereinander bekämpfen. Eine große Fraktion sind Islamisten, auch Terroristen von Al-Kaida sind dabei. Es ist nicht alles das Gleiche. Und nicht alles ist unterstützenswert. Wenn man für Syrien Frieden und Demokratie will, dann reicht es nicht, bloß eine Seite zu unterstützen. Die Beseitigung einer Diktatur führt nicht automatisch zur Demokratie, sondern kann in eine neue Diktatur münden, wie die Geschichte zeigt.

 

DAS MILIEU: Es gab ja diese „rote Linie“, von der nun ständig gesprochen wird. Sie wurde jetzt scheinbar überschritten. Ist diese „rote Linie“ willkürlich gesetzt wurden oder mit Rücksicht auf die Menschen vor Ort? Geht es in diesem Krieg überhaupt um Menschenrechte?

 

Bartels: Es ging darum, den Druck auf die Bürgerkriegsparteien zu erhöhen. Gegenüber abscheulichen Kriegsverbrechen darf man nicht äquidistant sein, darf nicht wegschauen, muss einschreiten wollen. Nur wie? Nochmal: Was würde ein Militärschlag ändern? Wen würde er treffen? Was käme als nächste Eskalationsstufe?

 

DAS MILIEU: Wenn man sich die Interventionen im Irak, in Afghanistan oder Libyen anschaut, dann wird deutlich, dass diese Eingriffe allesamt fehlgeschlagen sind. Man hat es nicht geschafft, die dortige Lage zu befrieden …

 

Bartels: Auf dem Balkan war die Intervention der internationalen Gemeinschaft am Ende erfolgreich. Aber die von Ihnen erwähnten Staaten sind wirklich keine Musterbeispiele für vollständig gelungene Interventionen.

 

DAS MILIEU: Derzeit gibt es weltweit Befürchtungen, dass wir in einen neuen Weltkrieg geraten könnten, wenn es zu einem Flächenbrand im Nahen Osten kommen würde. Sollte Ihre Partei nach den nächsten Wahlen die Regierung stellen, würde es dann zu einem grundlegenden Strategiewechsel durch die Bundesregierung kommen?

 

Bartels: Ich weiß gar nicht, welche Strategie die schwarz-gelbe Bundesregierung im Moment verfolgt. Insofern kann ich keinen „Strategiewechsel“ versprechen. Was aus unserer Sicht entscheidend ist, ist dass die internationale Gemeinschaft sich so zusammenfindet, dass Einfluss auf alle Konfliktparteien genommen werden kann.

 

DAS MILIEU: Herr Dr. Bartels, vielen Dank für das Interview!

            Dr. Hans Peter Bartels ist seit 1998 Bundestagsabgeordneter für die SPD. Er ist Mitglied im Verteidigungsausschuss und seit 2002 stellvertretender Sprecher der Arbeitsgruppe Sicherheits- und Verteidigungspolitik der SPD-Bundestagsfraktion. Außerdem ist Dr. Bartels Sprecher der Arbeitsgruppe Demokratie und Mitglied der SPD-Grundwertekommission.
Er studierte Politikwissenschaft, Soziologie und Volkskunde an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Anschließend arbeitete er als Redakteur für die Kieler Nachrichten und war von 1980 bis 1982 Vorsitzender der Jungen Presse Schleswig-Holstein. 1988 wechselte er in die Staatskanzlei Schleswig-Holstein, wo er u.a. als Redenschreiber des damaligen Ministerpräsidenten Björn Engholm tätig war.

 

Das Interview führte Tahir Chaudhry am 27. August 2013.

 

Foto: © SPD Schleswig-Holstein

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