Kolumne

Illuminationen: Der Minus-Mann

15.01.2018 - Tariq Hübsch

Unser Kolumnist wundert sich mittlerweile gar nicht mehr über neue Belästigungsvorwürfe gegen Hollywoodsternchen. Es sind viel zu viele. Dann ist er aber doch überrascht, als der Name James Franco in den Schlagzeilen auftaucht. Und er fragt sich: Warum gerade dieser junge, schöne, smarte und vielseitige Künstler?

Seien wir ehrlich. Irgendwie berührt das einen nicht mehr so. Jeden Tag ein weiterer Schauspieler oder Regisseur oder Produzent, ein weiterer Traumfabrikant, Schöpfer und Ausschlachter unserer kollektiven Wünsche, Ängste und Begehren, der an den Pranger gestellt wird, weil er in seiner Hybris und Selbstvergöttlichung die einfachsten zivilisatorischen Regeln im Umgang mit dem weiblichen Geschlecht missachtet. Ich hab da wirklich den Überblick verloren, wer denn nun alles übergriffig wurde. So ging es Tag ein Tag aus – bis ein Name über den Bildschirm flimmerte, der dann doch meine Aufmerksamkeit erhaschte. James Franco. Ja, auch James Franco erwehrt sich derzeit eines shitstorms, weil er Frauen sexuell belästigt haben soll. James Franco. Als ich in den frühen 2000ern das erste Mal so wirklich Notiz genommen hatte von James Franco, da hatte ich mir gedacht, dass wenn ich ein Hollywood Schauspieler sein könnte, dann James Franco. Ich meine, er ist nicht nur ein fesch aussehender Hollywoodstar, nein, er ist auch Regisseur, Drehbuchautor, Produzent, Maler, Model, bildender Künstler, ja, was weiß ich nicht alles. Er ist nicht nur eine hohle Leinwandhülle, nein, er ist das Künstlerideal schlechthin: kreativ, intelligent, zeitgeistig, unangepasst und vielseitig begabt. Hirn und Aussehen. Das Gesamtpaket eben. 

Auch er? Irgendwie schien das nicht zu passen. Ich meine, wenn ein alter, faltiger und dicker Produzent, ein Harvey Weinstein, in Anbetracht seiner Macht und konfrontiert mit all den jungen, faltenfreien und schlanken Leinwandschönheiten die Kontrolle über seinen Körper verliert, dann ist das - und bitte jetzt nicht falsch verstehen – irgendwie eher nachzuvollziehen, als wenn ein junger, schöner, smarter Künstler-Beau es für nötig hält, Sex mit Macht zu erzwingen. Ich meine, kann James Franco nicht eh immer jede Frau haben, wann er will? Er dürfte doch keine Probleme haben beim Finden eines Partners, warum zum Teufel muss er denn Macht, Ruhm und Status missbrauchen? Damit es schneller geht? Wegen des Kicks?

Hab ich schon erwähnt, dass James Franco auch Autor ist? Dass er 2008 in der Universität Los Angeles einen Bachelor-Abschluss gemacht hat in Kreatives Schreiben, und dass seine Abschlussarbeit ein Roman war? Dass er außerdem bloggt und in einem längeren Text auch Erzählungen von Bret Easton Ellis besprochen hat? Kurz erwähnt hat er dabei auch Ellis ersten 1985 erschienenen Roman „Less than zero“ (Unter Null). Der handelt von Teenagern in Hollywood, den Sprösslingen der Traumfabrikanten, die alles haben und deswegen wiederum nichts. Sie sind emotional tot. Hangeln sich von Kick zu Kick und Exzess zu Exzess. Ihr Leben besteht aus dem Konsum von harten Drogen, aus Partys, aus Sex. Das Leben ist eine permanente Steigerung der körperlichen Lusterfahrungen, bis man aus dem Gängigen keinen Reiz mehr gewinnen kann. Es muss immer krasser werden. Was folgt sind Heroin und Gewalt, und die gibt es in Kombination mit Sex. Auf Partys werden Snuff-Videos geschaut. Das sind Filme, in denen aufgezeichnet ist, wie Menschen in der Realität vergewaltigt und umgebracht werden. Das Buch endet damit, dass Clay, so die Hauptfigur, zu Besuch ist bei Freunden und dort sieht, wie ein entführtes junges Mädchen, zwangsnarkotisiert mit Heroin, ans Bett gefesselt ist und den jungen Hollywood-Sprösslingen als Vergewaltigungsvorlage dient. Tage später hört man im Radio, dass ein 12-jähriges Mädchen tot aufgefunden wurde.

Vielleicht geht es James Franco und anderen Hollywood-Sternen ja gar nicht so sehr darum, mit ihrer Macht Sex zu erzwingen. Vielleicht ist es keine Frage der Macht, sondern eine der Begierde. Vielleicht ist es einfach nur das Bedürfnis nach Luststeigerung, das dazu führt, dass man alle moralischen Schranken ignoriert. Ich glaube, es ist gar nicht so toll, Hollywood-Star zu sein. 

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