Kolumne: Lupus Oeconomicus

Impfprivilegien für alle!

01.02.2021 - Nicolas Wolf

Sie mag vielleicht noch nicht im vollen Gange sein, aber angestoßen ist sie allemal: die Debatte um Privilegien für all jene, die gegen Corona geimpft sind. Dabei ist noch zu klären, ob man nach Verabreichung eines Vakzins weiterhin anstecked sein könnte. Ungeachtet dessen bin ich in jedem Fall für „Impfprivilegien.“ Wahrscheinlich ist die Diskussion darum am Ende aber ohnehin weitestgehend irrelevant.

Für manche ist der Fall klar: Impfprivilegien ist ein Misnomer, die Formulierung „Rückgabe von selbstverständlichen Freiheiten und Grundrechten“ eine viel zutreffendere Beschreibung und damit die Debatte eigentlich schon erledigt. Ich bin zwar kein Jurist und erst recht kein Verfassungsrechtler, aber ich erinnere mich da vage ein Spiegel-Interview mit dem ehemaligen Verfassungsrichter Udo di Fabio, in dem dieser die Einschätzung abgibt, dass man wohl gute Chancen hätte sich als Corona-Geimpfter „Privilegien“ einzuklagen (ich paraphrasiere hier natürlich). Nun ist es allerdings so, dass das, was rechtens ist, nicht unbedingt von jedemauch als gerecht empfunden wird. Und selbst wenn die Sache juristisch eindeutig sein sollte, lohnt es sich, sichmit der Frage um eine Bevorzugung erfolgreich Vakzinierter zu beschäftigen.

Nehmen wir einmal an, es stellt sich zweifelsfrei heraus, dass all jene, die gegen Covid-19 geimpft sind, nicht mehr ansteckend sind. Daraufhin wird ihnen erlaubt in Restaurants zu speisen, andere Leute nach Herzenslust drinnen wie draußen zu treffen und uneingeschränkt zu reisen. Diejenigen, die noch nicht immunisiert sind, dürfen all dies jedoch weiterhin nicht oder nur eingeschränkt. Das scheint zunächst natürlich schreiend ungerecht. Doch wäreeine solche Regelung nicht einem Zustand vorzuziehen, indem ALLE – die Geimpften eingeschlossen – gleichermaßen Einschränkungen unterlägen?

Impfprivilegien sind pareto-optimal

Aus meiner Sicht wären Impfprivilegien „pareto effizient“, um einen Begriff aus der Ökonomie zu bemühen. Als „pareto-effizient“ oder „pareto-optimal“  beschreibt man einen Zustand, indem man eine Zieleigenschaft nicht weiter verbessern kann, ohne eine andere zu verschlechtern. Man kann den Spieß aber auch umdrehen und fragen: Kann ich eventuell jemanden besserstellen, ohne dass andere einen Nachteil dadurch erleiden? Übertragen auf die Diskussion um Impfprivilegien (um bei diesem unsäglichen Ausdruck zu bleiben) bedeutet dies: Wenn der Geimpfte seine eigentlich selbstverständlichen Rechte zurückerhält, der Ungeimpfte aber nicht, dann ist der Geimpfte bessergestellt, während sich an der Situation des Umgeimpften nichts ändert. Zudem würden Dritte direkt oder indirekt von den „Privilegien“ des Geimpften profitieren. Angenommen Geimpfte dürften wieder ins Kino, dann würden nicht nur sie selbst daraus einen Nutzen ziehen, sondern auch der Kinobetreiber und sein Personal. Dies wiederum würde bedeuten, dass die Notwendigkeit staatlicher Unterstützung abnimmt, sodass sich auch der Steuerzahler freut. Esließe sich sogar argumentieren, dass somit auch der Ungeimpfte etwas von der Bevorzugung des Geimpften hätte, zum Beispiel in der Form von weniger Staatsausgaben und -verschuldung und einer generell besseren wirtschaftlichen Lage. Aufgrund solcher Argumente und Überlegungen wäre ich eindeutig „pro Impfprivilegien“.

Zugegeben: Der Ungeimpfte steht relativ gesehen gegenüber dem Impfprivilegierten schlechter da als vorher. Und ja, es stimmt: Für uns homo sapiens ist oftmals die relative Position wichtiger als unsere absolute, sodass wir (oder manche von uns) es zum Beispiel vorziehen, dass wir und unser Nachbar jeweils zehntausend Euro geschenkt bekämen, als dass wir selbst zwanzigtausend Euro erhielten, unser Nachbar allerdings vierzigtausend. Deshalb will ich auch nicht so tun, als ob es offensichtlich wäre, dass jeder Impfprivilegien ohne Murren und Einwände einfach so akzeptieren sollte. Allerdings sollten all jene, deren moralische Intuition in Richtung „keine Impfprivilegien“ geht, sich klarmachen, dass sie mit dieser Auffassung anderen womöglich Freude und Freiheit verwehren.

Warum wir in der Praxis wahrscheinlich keine Debatte um allgemeine Impfprivilegien haben werde

Nun kann im Abstrakten vortrefflich auf Basis von rechtlichen, ethischen oder wirtschaftlichen Überlegungen über das Für und Wider einer prinzipiellen Besserstellung von Corona-Geimpften streiten. Doch in der Praxis wird diese Diskussion anhand einiger konkreter Fälle geführt werden. Und überhaupt: Wird es wirklich so kommen, dass die Regierung eine Regelung erlässt, laut der Geimpfte wieder in Restaurants essen dürfen, alle anderen aber nicht? Wir sollten eines nicht aus den Augen verlieren: Der Grund, warum wir Kontaktbeschränkungen und Lockdowns über uns ergehen lassen, ist der Schutz Älterer und Vorerkrankter, für die Sars-Cov-2 ein lebensgefährliches Risiko darstellt. Ja, es gibt auch Fälle, in denen jüngere und gesunde Menschen an Covid-19 schwer erkranken oder daran sogar traurigerweise sterben. Doch die Statistiken sind eindeutig, was Todeszahlen und die Belegung von Intensivbetten angeht – weshalb auch jene Risikogruppen beim Impfen priorisiert werden.

Es ist davon auszugehen, dass sich die pandemische Lage mit fortschreitender Impfung der über 70-jährigen und Vorerkrankten verbessert. Ab einem gewissen Punkt werden die Todeszahlen und die Auslastung der Intensivstationen aufgrund von Covid-Patienten soweit zurückgehen, dass schrittweise Lockerungen der Maßnahmen zur Viruseindämmung erfolgenmüssen. Und ich glaube nicht, dass dann in irgendeiner Weise zwischen Geimpften und Ungeimpften unterschieden würde, eben weil all jene, für die Covid-19 so gefährlich ist, bis dahin weitestgehend immunisiert sein sollten. Fliegen, reisen, ins Restaurant oder Kino gehen durften wir schließlich auch (zumindest zeitweise) als ein Impfstoff noch in weiter Ferne lag und somit auch niemand geimpft war. Warum sollte dies anders sein, nur weil ein Teil der Bevölkerung (nämlich der mit dem größten Risiko) die Anti-Corona-Spritzeerhalten hat? Die Befürchtung, man müsse künftig seinen Corona-Impfpass beim Kino- oder Restaurantbesuch vorzeigen, ist meiner Meinung nach lächerlich. Bei Großveranstaltungen (Konzerte, Fussballspiele mit Fans) sieht die Sache eventuell anders aus, aber auch hier wären etwaige Impfprivilegienallenfalls nur temporärer Natur. Irgendwann werden genügend Menschen vakziniert sein, sodass wir (hoffentlich) Herdenimmunität erreicht haben. Der Zeitraum, in dem es Geimpften also unter Umständen gestattet sein wird Konzerte oder andere Events zu besuchen, Ungeimpften aber nicht, würde wenn überhaupt idealerweise nur ein paar Wochen betragen.

Und was das Verreisen angeht: Ich bin trotz Corona seit Juni letzten Jahres zehn mal mit dem Flugzeug geflogen und habe mich daher mit der Frage, wie riskant das Fliegen hinsichtlich der Virusverbreitung ist. Mein Eindruck: Nicht allzu sehr. Ich bin mir daher sicher: es wird zu keiner generellen Impfplficht für Flugreisende kommen, obgleich Ungeimpfte wahrscheinlich auf absehbare Zeit negative Tests vorweisen und Masken tragen müssen (was auch für Geimpfte gelten könnte, sofern nicht auchzuschliessen ist, dass sie niemanden ansteckend können). Es ist natürlich denkbar, dass manche Länder die Einreise nur Corona-Geimpften erlauben und Fluglinien dazu angehalten werden, dies vor Abflug zu kontrollieren. Dies ist allerdings etwas, das es mit Hinblick auf manche Staaten und Krankheiten bereits gibt (Stichwort: Gelbfieber). Und auch hier stellt sich wieder die Frage, ob solche Bestimmungen permanent oder temporär wären (wahrscheinlich eher Letzteres).

 

Fazit

Um es noch einmal abschliessend zusammenzufassen: Impfprivilegien? Ja, weil pareto-effizient. Wird es tatsächlich zu solchen Impfprivilegien kommen? Eventuell zeitweise in bestimmten Bereichen. In den restlichen 98%, die unser Leben ausmachen, werden wir alle gleichzeitig von Lockerungen profitieren – egal ob geimpft oder ungeimpft – sodass sich die Frage nach einer Bevorzugung Geimpfter praktisch kaum stellen wird. Deshalb mein Plädoyer in dieser Debatte und gleichzeitige Einschätzung, was am Ende dabei rauskommt: Impfprivilegien für alle!

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