
Internetsucht bedroht unsere Kinder
01.12.2015 -Kaum aus der Schule, aus dem Kino oder aus der Dusche, - sofort muss aufs Smartphone geschaut werden. Wo befindet sich das Hightech-Teil wenn es nach der Regel des Nachwuchses ginge beim Essen oder den Hausaufgaben? - In direktem Blickkontakt.
Sie wollen sich mit Sohn oder Tochter beim Abholen von der Abend-Fete im Auto etwas unterhalten, - keine Chance, weil Ohrstecker plus Multi-Gerät jegliche Kommunikation vereiteln. Kinder haben schnell Entzugs-Erscheinungen, wenn sie nicht zeitnah die neusten Meldungen sichten können.
Medien-Kompetenz ist mehr als die Fähigkeit, den Einschaltknopf diverser Geräte bedienen und unterschiedlichste Programme öffnen zu können. Das Problem vieler Eltern scheint zu sein, dass sie selbst den sinnvollen Umgang mit diesen Geräten nicht erlernt haben und/oder die offensichtlichen Gefahren nicht erkennen (wollen). Denn auch Erwachsene haben offensichtlich reichlich Probleme, zum rechten Zeitpunkt den Ausschalter von Medien-Geräten zu betätigen. So rufen die Umgangsgewohnheiten des Nachwuchses mit diesen zum Status-Symbol geworden Geräten nach Regelungen. Aber was solle geregelt werden? Geht es um Nutzungszeiten, Inhalte oder Einsatzfelder? Wo ist ein Maßstab zu finden? Wie kommen Vereinbarungen zustande? Und welche Konsequenz setzt ein, wenn der Nachwuchs die Vereinbarungen ‚vergessen’ hat oder einseitig für ungültig erklärt?
Sich selbst als ‚liberal’ bezeichnende Eltern könnten sich verwundert die Augen reiben und fragen, was sie denn damit zu haben. Schließlich gehört der Einsatz von Hightech-Geräten zum modern Leben. Kinder bzw. Jugendliche müssen halt damit ihre Erfahrungen machen. So wächst Medienkompetenz. Da sollten wir unseren Kindern keine Vorschriften machen. Und die Zeiten autoritärer Ansagen sind nun mal vorbei. Das zukünftige Leben ist halt digital.
Da diese Haltung heute sehr weit verbreitet ist, hier eine kurze Verdeutlichung: Wer so den Begriff ‚Liberal’ zu benutzen sucht, zeigt nicht nur Inkompetenz im Ungang mit einem für die Menschheit wichtigen Begriff, sondern klammert gleichzeitig aus, dass Freiheit ohne Verantwortung schnell zu Egoismus, Willkür und Zerstörung führt. Denn die – zu häufig auch in der Erziehung – beobachtbare Grundhaltung: ‚Da halte ich mich raus, das soll halt jeder selber wissen, ich möchte keine Position beziehen’, ist im Grunde eine pädagogische Bankrotterklärung gegenüber den uns anvertrauten Kindern und Jugendlichen.
Kein vernünftiger Mensch käme auf die Idee, Kindern das Fahrradfahren auf Autobahnen oder Jugendlichen den Umgang mit gefährlichen Substanzen im Chemie-Labor per Eigentest erlernen zu lassen. Nein, immer benötigen Kinder und Jugendliche Anleitung, Begleitung und Rückmeldungen, ob diese nun korrigierend oder verstärkend sind. Und je mehr Gefahren im Umgang mit Dingen zu erwarten sind, je umfangreicher sind Einübungsfelder und Schutzmaßnahmen notwendig. Moderne Medien zu verteufeln ist genauso unsinnig, wie sie zu vergöttern. Der verantwortliche Umgang entscheidet darüber, ob eine Handlung verwerflich oder förderlich, schlecht oder gut ist, dem Zusammenleben dient oder dieses zerstört. Dies sind die Basis-Kriterien wirklicher Medien-Kompetenz.
Eine ständige mediale Präsenz schadet nicht nur der Gesundheit der Erwachsenen, sondern ebenso den realen Kontakten in Partnerschaft, Familie und Freundeskreis. Zusätzlich machen sie als – hoffentlich verantwortlich handelnde - Eltern zu häufig einen fatalen Transferfehler: Sie schließen von der eigenen privaten und beruflichen Anwendung der Geräte pauschal darauf, dass Kinder sie genauso sinnhaft und dosiert nutzen wie sie. In einem Interview äußert Uwe Buermann, ein pädagogisch-therapeutischer Medienberater: „Wenn wir das denken, dann versündigen wir uns an unseren Kindern, weil wir im einzelnen gar nicht genau wissen, was sie damit machen und was sie genau wollen. Medienkompetenz erwerben die Kinder nicht am Computer, sondern in der Familie und in der Schule, wo sie an das Wissen und die gesellschaftlichen Werte herangeführt werden. Nur so kommen sie in die Lage, Medien angemessen zu verwenden.“
In welchem Umfang Eltern aber in einer Mischung aus Begrenztheit und Trägheit manchen Medienkonsum-Missbrauch direkt – wenn auch unreflektiert - ermöglichen, wird an folgenden beispielhaften Geschehnissen deutlich. Da klagt Vater B innerhalb eines Beratungsgespräches, dass der Sohn bis mitten in der Nacht auf seinem Zimmer per Smartphon oder PC im Internet surfen würde. Alle Ermahnungen seien bisher folgenlos geblieben. Da ich wusste, dass er Elektro-Ingenieur von Beruf war, fragte ich ihn leicht schmunzelnd, weshalb denn das WLAN noch keinen Schalter hat? – Da erhielt eine Erzieherin, als sie in Reaktion auf ein kräftiges Pflaster zwischen Daumen und Zeigefinder die 5jährige Kati fragte, was denn da passiert sei, die Antwort: ‚Papa und ich haben zu lange mit der Wii gespielt, da fing die Hand auf einmal zu bluten an.“
„Kein Kind braucht ein Smartphone und sollte möglichst auch keines bekommen, weil das Gefahrenpotential und der Suchtfaktor zu groß ist. Ein Handy für wichtige Telefonate ab der weiterführenden Schule reicht völlig aus. Für den Einsatz dieser Medien hier einige Eckpunkte, die mit Sohn oder Tochter – möglichst vor dem Erwerb - zu klären und schriftlich festzuhalten sind: Die Einsatzzeiten über Tag werden kontingentiert. Führen echte Sozialkontakte und Draußen-Spielzeiten ein Schattendasein, kommt das Mutigerät für einige Stunden ins Aus. In der Zeit von 20.00 / 22.00 Uhr bis nach dem Frühstück haben Handys & Co. Nachruhe. Dazu kommen die Geräte in eine Ablage in der Gardarobe. Falls sich ein PC im Kinderzimmer befindet - was keinesfalls empfehlenswert ist – wird dass WLAN-System ebenfalls für die Nacht ausgeschaltet oder das Netzwerkkabel zum Smartphon gelegt. Bei Mahlzeiten, Familienfesten und Hausaufgaben erhalten Handys & Co. einen Platzverweis. Mit den Kindern wird gemeinsam ein Passwort für das Gerät festgelegt und geklärt, welche Aktionen, Seiten oder Nutzungsbereiche tabu sind, in welchem zeitlichen Umfang eine Nutzung pro Tag höchstens erfolgen soll und in welchen Abständen mit dem Kind die Nutzungs-Chronik durchgeschaut wird. Danach steht die Klärung von Konsequenzen an, was denn von Sohn oder Tochter eingebracht wird, wenn die Regel verletzt wurde. Erst dann kommt das Gerät zum Einsatz. Hier ein Facebook-Praxis-Tipp der besonderen Art, wenn vorher keine Regeln geschaffen wurden: „Liebes Kind, diese Woche gibt es jeden Tag eine neues WLAN-Passwort. Es wird grundsätzlich erst dann eingeschaltet, wenn die Schularbeiten fertig sind. Heute steht zusätzlich an: Zimmer aufräumen, abspülen, den Müll raus bringen. Herzlichst deine Mama und Papa.“
Existiert ein gutes Miteinander zwischen Eltern und Kindern, führen solche Regelungen zu spürbaren Entspannungen. Das Kind wird nicht mit Verboten zugeschüttet, sondern statt dessen wird die eigene Mündigkeit gefördert. Gibt es einen Nach-Regelungsbedarf, setzen sich die Beteiligten zusammen und klären diesen. So wächst in Freiheit und Verantwortung die Fähigkeit des Kompetenzerwerbs, weit über den Einsatz von Handy, Smartphon und Co. hinaus. Und wenn der Nachwuchs zu vehement unter Verweis auf Alter und angebliche Freiheitsrechte jegliche elterliche Regelungsversuch zu boykottieren versucht, dann wird die Verhandlungs-Bereitschaft oder Regelungs-Einsicht recht schnell wachsen, wenn mal eine Zeit keine WLAN bzw. Netzwerk-Verbindungen im eigenen Zimmer existiert und das ach so geliebte zweite ICH, welches sich Smartphon nennt, in Schutz-Verwahrung genommen wird.
Hier noch einmal Uwe Buermann: „Echte Medien-Kompetenz, die wir uns alle von Herzen wünschen, beginnt mit Medien-Abstinenz – nicht im Sinne der Bewahrpädagogik, nein, im Sinne der Fähigkeitsbildung, die es braucht, um Medien sinnvoll zu nutzen.“
