Eine Frage des MILIEUs

"Kann die Welt ohne Geld?"

01.07.2015 - Karl-Heinz Brodbeck

Es gab im 20. Jahrhundert zwei Großexperimente, das Geld abzuschaffen: In Russland nach der Revolution von 1917 und zwischen 1975 und 79 in Kambodscha durch die Roten Khmer. Beide Experimente endeten äußerst blutig. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion setzte sich weltweit die Überzeugung durch, dass Geld und Kapitalismus vermeintlich zur menschlichen Natur gehören

Das Geld abzuschaffen bedeute, die Menschlichkeit abzuschaffen. Die jüngste Finanzkrise und die globale Geldgier mit all ihren Folgen haben diese These nur als neuen Irrtum erwiesen.

Zwei Extreme kann man hier erkennen: Einmal den Gedanken, dass das Geld nur eine Art technische Einrichtung ist, die man nach Belieben gestalten könne. Zum anderen die Vorstellung, das Geld gehöre zum Menschen wie die Sprache oder das Gehirn; es sei am besten, die Geldprozesse ganz dem Markt zu überlassen. Beide Vorstellungen kehren in der Gegenwart in verschiedenen Varianten wieder. Die Zentralbanken versuchen nun schon seit Jahren, den Geldwert zu manipulieren um die Wirtschaft zu steuern. Ihre liberalen Kritiker behaupten, jeder Versuch, durch Geld zu steuern, sei nur eine Fortsetzung der gescheiterten Planwirtschaft. Man solle wieder Gold als Geld verwenden. Den Rest mache der Markt.

Ein genauerer Blick ist hier hilfreich. Offensichtlich gehört das Geld nicht zur menschlichen Natur – denn viele Jahrtausende lebten Menschen ohne Geldverwendung. Erst in Griechenland im 7. Jahrhundert v.u.Z. entstand Geld in unserem Sinn: geprägte Münzen. Die Zeichen auf den Münzen haben sich inzwischen verselbständigt und sind nur noch Zahlen auf Papier. Wenn in Zentralbankkreisen heute die Abschaffung des Bargeldes gefordert wird, so wird nicht „das“ Geld abgeschafft. Man will nur die Möglichkeit der Kontrolle erweitern. An die Stelle der Scheine treten dann nur noch Kreditkarten. Die Hoffnung, damit alle Schwarzmärkte auszutrocknen und Steuersündern das Leben schwer zu machen, dürfte sich allerdings als Illusion erweisen. Denn es haben sich weltweit bereits andere elektronische Geldformen (z.B. Bitcoin) entwickelt, die völlig außerhalb staatlicher Grenzen und des Banksystems funktionieren. Das Bargeld wird nicht abgeschafft. Es findet nur neue Formen und Wege.

Um das Geld etwas genauer zu verstehen, benötigen wir gar keine komplizierte Theorie oder teure Experimente. Jeder hat Erfahrung im Umgang mit Geld. Hier zeigen sich unmittelbar drei Eigenschaften: Erstens rechnen wir unaufhörlich in Geld und mit Geld. Das Geld funktioniert nur durch menschliches Denken. Es ist kein Ding, sondern eine Denkform. Zweitens sprechen wir dem Geld – den Scheinen, Münzen oder Bankkonten – einen Wert zu. Und wir verwenden das Geld, um andere Dinge zu bewerten. Die Preise sind Ausdruck dieser Bewertung. Die ganze Welt wird nicht nur in Geld berechnet, sie wird auch darin bewertet: Mensch, Natur, Tiere, sogar geistige Güter erhalten durch Patentrechte Preise. Drittens funktioniert das Geld nur, wenn wir es immer wieder ausgeben. Wir gelangen so zwar in den Besitz begehrter Güter. Gleichzeitig sind wir aber gezwungen, wieder neues Geld zu erwerben: Durch den Verkauf von Arbeit oder hergestellten Produkten. Darin offenbart das Geld eine sehr unangenehme Eigenschaft: Es funktioniert nur dadurch, dass jeder Marktteilnehmer immer wieder durch Käufe in einen „geldlosen“ Zustand versetzt wird. Das ist der eigentliche Grund für das unvermeidliche Streben nach Geld – im Extrem: die Geldgier. Der Zins ist nur institutionalisierte Geldgier.
Was zeigt sich also im Geld? Die alltägliche Geldverwendung, die Geldrechnung bilden einen Prozess, in dem die Menschen als Gesellschaft zusammengehalten werden. Das Geld „vergesellschaftet“. Es ist dabei kein Ding, sondern eine Denkform, ein alltägliches Rechnen. Wenn man das Geld abschaffen wollte, so müsste man die wechselseitige Berechnung von Leistungen, Aufwand und Wertschätzung durch etwas ersetzen. Der Versuch, dies durch einen staatlichen Zentralplan zu organisieren, ist gescheitert. Kein Zentrum oder Staat kann alle sehr wandelbaren Bedürfnisse und technischen Möglichkeiten erfassen und berechnen. Genau das vollzieht aber das Geld durch viele Köpfe hindurch. Man kann dieses alltägliche Rechnen vieler Menschen nicht durch einen Computer ersetzen.

Das wissen viele Ökonomen; sie hören hier aber auf zu denken. Sie preisen das Geld und die Märkte für diese Leistung lautstark, fragen aber nicht: Warum verwenden die Menschen, ohne seine Rolle zu verstehen, überhaupt Geld? Antwort: Sie tun es, weil sie ihm einen Wert zusprechen. Alle glauben, Geld hat einen Wert und damit Kaufkraft. Deshalb verwenden sie es. Es funktioniert in Kauf und Verkauf. Immer wieder zeigt sich aber auch, dass an Börsen, bei Immobilien usw. die Werte sich über Nacht in Nichts auflösen. Auch das Geld selbst kann in Inflationen völlig entwertet werden. Nur solange die Menschen dem Wert des Geldes vertrauen, verwenden sie es. Aus der Vogelperspektive zeigt sich hier ein seltsamer Zirkel: Weil alle an einen Wert des Geldes glauben, weil sie seinem Wert vertrauen, deshalb hat das Geld einen Wert. Die Geld-Illusion schafft sich ihre eigene Wirklichkeit. Endet das Vertrauen, dann endet das Geld.

Nun ist die Gewohnheit, die Welt im Licht des Geldes auszulegen, tatsächlich zu einer zweiten menschlichen Natur geworden. Die Rechnung in Geld hat in den Jahrtausenden seiner Verwendung nichts weniger als die menschliche Vernunft erobert und verwandelt. „Ratio“ heißt ursprünglich „kaufmännische Rechnung“. Diese rechnende Vernunft können wir nicht wieder abschaffen, auch wenn sie auf tönernen Füßen steht. Aber wir können ihre Herkunft erkennen und sie in die Schranken weisen. Das ist die Aufgabe der Ethik, die in der globalen Herrschaft des Geldes unter wiederkehrenden Krisen immer mehr verschüttet wurde. Die Welt kann nicht ohne Geld – aber auch nicht ohne eine Ethik, die seine Auswüchse zügelt.

 

 

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