Eine Frage des MILIEUs

"Kann man Flucht bekämpfen?"

15.11.2017 - Kilian Kleinschmidt

Der Begriff Migration kommt im Augenblick gefühlsmäßig einer Invasion fremder gefährlicher Menschen gleich, die auch gefühlsmäßig- eigentlich ja gar keine richtigen Menschen sind, vor allem wenn sie arm sind. Also sollen sie doch bitte bleiben wo sie herkommen, oder wenigstens so nah an ihrer Heimat wie möglich. Da würden die sich ja sowieso wohler fühlen als bei uns. Da sind sich alle einig - links, rechts, mitte, oben, unten - mehr muss in den Herkunftsregionen getan werden. Dann wird alles gut und sie kommen nicht mehr.

Europäische Werte und Solidarität zerbrechen an der Frage ob Migration, und die Flucht nach Europa, erlaubt sind oder man sie mit aller Kraft verhindern soll, Grenzen geschlossen und mit Zäunen sowie Kriegsschiffen geschützt werden müssen. Zwei Millionen neuangekommene Menschen rütteln und schütteln Europa, nationalistische und antieuropäische Regierungen werden vermehrt gewählt und gefährliches rassistisches Gedankengut wieder offen und ungestraft ausgesprochen. 

Es ist der Narrativ der radikal korrigiert werden muss. Das gilt für die Opferassoziierung welche Beileid auslöst, wenn wir das Wort Flüchtling hören, sowie für den Begriff Migrant der mit dem Ausnutzen von Sozialsystemen und wirtschaftlichen Errungenschaften verbunden wird. 

Unsere Welt ist aus einem komplexen Wechselspiel von freiwilliger Migration und Völkerbewegung auf der Suche nach neuen Chancen, gewalttätiger Vertreibung, Flucht und Aggression durch Invasoren entstanden. Unsere Städte sind Sammelbecken und Zufluchtsorte für Menschen die aus Unsicherheit, Armut und fehlenden Perspektiven aus dem Land in die urbanen Zentren fliehen. Venedig ist als Flüchtlingsstadt entstanden, Menschen, die vom Festland vor den Barbaren und Hunnen flohen. Das schönste Flüchtlingslager der Welt! Die europäische DNA ist durchmischt, Kultur und unser Wohlstand hat sich durch Migration erst richtig entwickelt. Man denke nur an den Einfluss arabischer Universitäten und Bibliotheken auf das Mittelalterliche Europa.

Emigration aus einem unsicheren und weitgehend armen Europa war über Jahrhunderte, und ist auch heute noch, zwar mit anderen Akteuren, mit organisierter Aggression verbunden. Kolonialismus und territoriale Eroberung eine Konsequenz der Gier der Eliten und gleichzeitig der fehlenden Perspektiven der Armen, deren einzige Hoffnung die Emigration war. Auf Kosten der ehemaligen und gegenwärtigen Kolonien, sowie durch einseitige Handelsbeziehungen, entstand Wohlstand und technologische Innovation in einer zunehmend vernetzten modernen Welt, in der ein Teil der Menschheit sich relativ frei als Tourist oder Arbeitsmigrant bewegen kann. Ein Großteil der Menschheit kann das nicht.  

Auf die oft Frage ob man Migration verhindern muss, kann es nur die eine Antwort geben, dass wenn man Migration gut handhabt, sie auch keine Gefahr darstellt, sondern Impulse setzt, sowie Bedarf und Nachfrage - nicht nur im wirtschaftlichen Sinne, aber auch demographisch befriedigt. 

Unsere moderne Definition des Flüchtlings durch die Flüchtlingskonvention betrifft gegenwärtig 22.5 Millionen Menschen, darüber hinaus gibt es 45 Millionen Binnenflüchtlinge denen wir das moralische Recht gegeben haben zu fliehen. Dieses Recht verweigern wir aber gerne allen anderen, die vor steigenden Meeresspiegeln, stärkeren Monsunregen und Überschwemmungen, Trockenheit, fehlendem Zugang zu Gesundheit, Energie, Arbeit oder Ernährung eigentlich keine andere Möglichkeit haben als sich in Bewegung zu setzen. Somit wären das dann schon über eine Milliarde Menschen, die in Slums oder andere unsichere Verhältnisse geflohen sind. Es sind diejenigen die sich in Bewegung setzen werden müssen, weil klimatische Veränderungen sich beschleunigen und ihnen keine andere Wahl lässt. 

Ist das Grund zur Panik? Ja - wenn der Eindruck erweckt wird das traditionelle Entwicklungszusammenarbeit es schon richten kann. Ja - wenn wir weiterhin darauf beharren, dass jeder Flüchtling wieder nach Hause will und muss. Ja - wenn aus tagespolitischen Gründen nicht langzeitig geplant und gedacht wird und illusionistische Kurzzeitlösungen angeboten werden.

Nein es muss keine Panik geben - wenn Flucht nicht mehr als temporäres Phänomen gesehen wird sondern als eine demographische Veränderung die begleitet werden muss: Die meisten Menschen werden nicht nach Hause gehen, was auch immer die Flucht- oder Migrationsgründe sein mögen. Das Mantra, dass ein guter Flüchtling ein rückkehrender Flüchtling ist hält uns mental fest, verhindert Integration und Assimilierung, schafft Probleme da Infrastruktur unzureichend entwickelt ist. Die Lösung heißt Investition, Erweiterung und Entwicklung urbaner Zentren, heißt neue Lebensräume zu schaffen und diese Veränderungen anzuerkennen. Das heißt Sonderentwicklungszonen (SDZ) zu gründen in denen Millionen Menschen leben und arbeiten können. Positive und negative Erfahrungen aus neu geschaffenen Städten und Bevölkerungszentren wie Singapur, Dubai oder chinesischen Stadtentwicklungen können helfen bessere Modelle zu entwickeln und umzusetzen. 

Konkret hieße das zum Beispiel anstatt in Bangladesch Flüchtlingslager für eine Million Rohingya Flüchtlinge über die nächsten Dekaden auszubauen und zu unterhalten, die mit höchster Wahrscheinlichkeit nie zurückkehren werden, SDZ einzurichten, in denen Leben und Arbeit für Millionen von Bangladeshi Bürgern und Flüchtlingen möglich wird. Millionen müssen aus den zunehmend unbewohnbaren Küstenregionen umgesiedelt werden - und migrieren bis jetzt unorganisiert in die urbanen Zentren in Bangladesch die sich zu explosiven Gewaltherden entwickeln. 

Wirkliche Investition in neue Lebensräume, Infrastruktur und Arbeit ist notwendig. Es ist arrogant zu behaupten das Korruption und Diversion der Ressourcen dies in den sogenannten Entwicklungsländern verhindern würden. Wie wir nun ja jeden Tag erfahren ist Korruption und Steuerbetrug ein globales Problem und nicht nur ein Afrikanisches oder Arabisches.

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