Rezension

Kapital und Ideologie

01.09.2020 - Dr. Burkhard Luber

“Wenn wir nicht wissen wo es hingehen soll, kommen wir nirgendwohin.”

 

Thomas Piketty, Autor des nachfolgend rezensierten Buches, in einem Interview in der Süddeutschen Zeitung am 11. März 2020

Die monumentale Wucht dieses gewichtigen Buches von Thomas Piketty zu würdigen, lässt sich vielleicht am besten mit der Empfehlung an den Autor verbinden, er hätte dem Publikum wohl besser zwei getrennte Bücher vorgelegt: Eines, das die sachliche Argumentation, nämlich die Grundfrage des Buches, nach der Ursache von Ungleichheit, ihren flankierenden Ideologien und ihre mögliche Überwindung vorstellt und ein zweites, das die enorme historische Bandbreite der Argumentation verdeutlichen soll.

Nun müssen sich die LeserInnen durch beide Perspektiven in den über 1200 Seiten hindurch arbeiten. Da bleibt jedem überlassen, wie intensiv sie/er dies für die Jahrhunderte vor 1900 tun möchte. Wer nicht die Energie bereitstellen kann, den Text intensiv durchzugehen, wird sich aber sicher über die sehr große Anzahl instruktiver Statistiken freuen.

Richtig Fahrt nimmt die Argumentation des Buches allerdings erst im dritten und vierten Teil auf, wo das Thema der Verschränkung von Politik, Ökonomie und Ideologie aktuell und spannend wird. Und leider schreibt  der Autor erst ganz am Schluß über Alternativen zur (internationalen) Ungleichheit, konkret im letzten, 17. Kapitel mit der Überschrift “Elemente eines partizipativen Sozialismus für das 21. Jahrhundert”. Dort finden sich dann auch konkrete Vorschlägen wie unter anderem:

 

·        Geteilte Machtbefugnisse und Stimmrechte in den Unternehmen, um Sozialeigentum zu schaffen

·        Eine stark progressive Besteuerung von Eigentum

·        Das Herstellen von mehr Bildungsgerechtigkeit

·        Die Einführung einer CO2 Steuer 

·        eine alternative Organisation der Weltwirtschaft, mit deren Hilfe neue internationale Solidarität hergestellt werden kann statt des gegenwärtigen Freihandelsvertrags-Systems

Die Sperrigkeit mit der sich ein solch voluminöses Buch der Leserin entgegenstellt, wird dankenswerterweise durch die zahlreichen höchst informativen Statistik-Illustrationen ausgeglichen, so dass sich schon aus diesem Grund ein Griff zu dieser Publikation lohnt. Mit souveräner Hand gibt Piketty durch diese Statistiken einen Art “crash Kurs” über viele Details von Herrschaft, Ausbeutung, ungleiche Verteilung von Bildungschancen, oder auch zu Fragen wie zum Beispiel: Wie sieht es mit Gleichheit und Ungleichheit in Russland aus und wie hat sich das WählerInnen-Reservoir der Sozialdemokratie in Europa über die Zeit verändert?

Solchen Fragestellungen - hier können natürlich nur einige Beispiele genannt werden - geht Piketty mit immensem Fleiß und intellektuellem Scharfsinn nach. So entsteht unter seiner Feder ein instruktives politisch-ökonomisches Handbuch und kritisches “Lexikon”, das auch derjenige gerne zur Hand nehmen wird, den die Lektüre eines Buches mit über 1200 Seiten abschreckt.

 

(Der Rezension lag die pdf-Version des Buches zugrunde.)

 

Thomas Piketty: Kapital und Ideologie. 1312 Seiten. 2020. C. H. Beck Verlag. 39.95 Euro.

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