Politik

Kein Schonvermögen für die Armen

01.12.2022 - Peter Nowak

Während linke Gruppen so viel vom heißen Herbst sprachen, gab es auch Proteste gegen den erneuten Krieg gegen die Armen, bei denen sich der Eigentümerblock bestehend aus AFD und Union überboten haben. Das liegt auch daran, dass eine linke Organisation auf der Höhe der Zeit fehlt

Als Schlag ins Gesicht des normal arbeitenden Bürgers bezeichnete der AFD-Bundestagsabgeordnete Norbert Kleinwächter im Deutschlandfunk-Interview das Bürgergeld. Die geringfügigen Verbesserungen zum ursprünglichen Gesetzentwurf der Ampelkoalition änderten nichts an der Tatsache, dass sich Arbeit in Deutschland nicht mehr lohne, verbreitet der Vertreter einer Partei, die damit deutlich macht, dass sie der radikale Flügel des Eigentümerblocks ist, der seit Wochen eine Hetzkampagne gegen arme Menschen lanciert. Anlass ist das sogenannte Bürgergeld, mit dem die Regierungskoalition das Hartz IV-Regime liberalisieren aber nicht im Grundsatz verändern wollte. Aber schon die minimalen Verbesserungen für arme Menschen gingen dem Bürgerblock zu weit. Dabei ist eben die AFD mit einer Hetze gegen angebliche Faule, also Menschen, die nicht bereit sind, Lohnarbeit um jeden Preis anzunehmen, nicht isoliert. Vielmehr ticken die Unionsparteien genauso und die haben mit der Drohung, das Gesetz sonst im Bundesrat abzulehnen, durchgesetzt, dass ein Großteil der minimalen Verbesserungen für arme Menschen wieder zurückgenommen wird. Es sind vor allem drei Punkte, bei denen die Regierungskoalition bereitwillig Zugeständnisse gemacht hat, wie die Taz schrieb: 

1.    Karenzzeit. Das Schonvermögen sollte ursprünglich für zwei Jahre unangetastet bleiben. Nun ist diese Dauer auf ein Jahr verkürzt

2.    Ein Schonvermögen von 40.000 Euro plus 15.000 Euro für jedes weitere Haushaltsmitglied muss in dieser Zeit nicht aufgebraucht werden. Die Regierung hatte 60.000 Euro plus 30.000 Euro pro Mitbewohner eingeplant.

3.    Sanktionen bei versäumten Terminen oder Maßnahmen können weiter sofort verhängt und nicht wie von der Regierung geplant nach einer sechsmonatigen Karenzzeit.

Mehr Angst für arme Menschen

Diese Zugeständnisse an die Rechte bedeuten für viele Armutsbetroffene mehr Angst, etwa die Wohnung zu verlieren oder weiter sanktioniert zu werden, wo schon vorher das Geld nicht bis zum Monatsende reicht. Während sich hier die wohldotierten Unionspolitiker feiern lassen, dass sie dafür gesorgt haben, dass der Würgegriff des Hartz IV-Regimes gegen die Armen nicht nachlässt, wird der Jugendmonitor 2022 veröffentlicht. Dort wird festgestellt, dass aktuell in Deutschland 4,17 Millionen junge Menschen in Deutschland armutsgefährdet sind. In den letzten Monaten waren viele erschütternde Berichte über armutsbetroffene Menschen in Deutschland zu lesen. Erstmals haben auch Armutsbetroffene die Angst überwunden und sich selber zu Wort gemeldet, im Internet und mit Kundgebungen vor dem Kanzleramt. Ein Grund für die größere Aufmerksamkeit liegt auch darin, dass Armut mittlerweile auch den akademischen Mittelstand nicht verschont. Diese Menschen können sich besser artikulieren als die Rentnerin, die noch Zeitungen austragen muss, um überleben zu können oder der Jugendliche ohne Geld und Perspektive. Schon Friedrich Engels schrieb vor 150 Jahren in seiner Schrift „Zur Wohnungsfrage“, dass auch damals über das Problem, eine bezahlbare Wohnung zu bekommen, erst verstärkt diskutiert wurde, als der Mittelstand auch davon betroffen war. Da hat sich also so viel nicht geändert.

Nun braucht man damals wie heute den Politiker*innen des Eigentümerblocks nicht vorwerfen, sie würden diese Berichte nicht kennen. Nein, sie wollen mit ihrer Politik dafür sorgen, dass es so bleibt, dass nicht die Armut, sondern die Armen bekämpften werden. Denn nur so können sie dafür sorgen, dass Menschen Lohnarbeit um jeden Preis annehmen. Es geht dem Eigentümerblock darum, den Preis der Ware Arbeitskraft niedrig zu halten. Dafür müssen die Sanktionen gegen die Armen bleiben, denn nur so ist der Niedriglohnbereich garantiert.

Wenn sich also Söder und andere Unionspolitiker*innen in den letzten Wochen in Pressekonferenzen dafür haben feiern lassen, dass sie einen Großteil der minimalen Verbesserungen für die armen Menschen beim Bürgergeld kassiert haben, dann ist das ein Signal an das Kapital, dass sie die in ihnen gesetzten Erwartungen erfüllt haben. Dass die Regierungskoalition so schnell und geräuschlos eingeknickt ist, spricht Bände. Auch ihnen ist mehrheitlich das Schicksal der armen Menschen egal. Sie können jetzt bei künftigen Wahlkämpfen auf die rechte Opposition zeigen und auf ihre angeblichen Reformvorschläge verweisen. In keinen der Bundesländer, in denen die Union mit einer der drei Regierungsparteien koaliert, wurde eine entschiedene Abwehr der Angriffe auf die Armen von rechts auch nur in Erwägung gezogen. Dann hatten die Grünen und die SPD darin erinnern müssen, dass der Eigentümerblock den Armen kein Schonvermögen zugestehen will, während sie mit der Ablehnung der Reichensteuer das Vermögen der Reichen weiter schonen wollen. Eine konfrontative Antwort auf den rechten Krieg gegen die Armen hätte bedeutet, notfalls die Koalition mit der Union beispielsweise in Brandenburg oder anderen Bundesländern platzen zu lassen. Aber für die Rechte von armen Menschen waren die Parteien der Regierungskoalition nicht bereit, die Machtfrage zu stellen. Ein wirklicher Ausstieg aus dem Sanktionsregime war auch von ihnen nicht geplant, was auch die Politiker*innen der Regierungsparteien auf die Angriffe von rechts immer wieder erwidert haben. Sie haben immer darauf verwiesen, dass auch ihr Vorhaben keinesfalls die Sanktionen abschaffen wollte, dass auch sie keinesfalls Müssiggang fördern wollten. Viele Liberale und Grüne waren beruhigt, dass auch die verschärfte Fassung des Bürgergelds „kein Problem für Karlsruhe“ sein wird. Damit sollte ausgedrückt werden, dass die Kriterien, die in einem Urteil des Bundesverfassungsgericht an eine Grundsicherung gestellt werden, auch durch die Verschärfungen nicht tangiert sind. Schließlich ist eben auch die Justiz kein Bündnispartner für arme Menschen. 

Wo bleibt der linke Widerstand?

Über die Probleme, die das verschärfte Bürgergeld für die Armen bedeutet, hat im Bundestag die LINKE geredet. Doch wo bleibt die außerparlamentarische Linke, die doch schließlich seit Monaten den heißen Herbst der Sozialproteste vorbereitet hat? Ist der schon abgearbeitet, nachdem verschiedene Bündnisse mehr oder weniger große Demonstrationen veranstalteten? Dabei würde sich doch ein Erfolg der Proteste nicht in erster Linie an den Teilnehmer*innenzahlen einer Großdemonstration messen, sondern an der Fähigkeit beispielsweise auf den rechten Angriff auf den armen Menschen im Alltag zu reagieren. Doch wo waren die Proteste vor den Büros der Parteien des Eigentümerblocks in den letzten Tagen? Wo waren die Proteste der antifaschistischen Bewegung, als sich AfD und Union förmlich überboten im Krieg gegen die Armen? Und wäre es gerade bei dieser Auseinandersetzung nicht an der Zeit „Genug ist Genug“ und „Wer hat der gibt“ zu sagen? Das sind die Namen von zwei Bündnissen, die sich in den letzten Wochen bei sozialen Protesten engagiert haben. Auf den Homepages ihrer Initiativen sind Forderungen enthalten, die eigentlich einen Kampf gegen die Angriffe des Eigentümerblocks auf die Armen leicht machen müssten.  Zumindest in einigen Stadtteilen, in denen Betroffene sich organisieren, sind kleinere Aktionen gestartet worden. So gab es kleine Proteste von Betroffenen gegen die zweiwöchige Schließung des Sozialamts in den Berliner Stadtteil Neukölln, aber auch im Stadtteil Wedding gibt es regelmässige Treffen von Betroffenen. Es wird sich zeigen, ob die Gegenproteste wachsen, wenn tatsächlich armen Menschen im Winter Gas und Strom abgestellt werden, weil sie nicht bezahlen können. Dann müssten solidarische Menschen vor Ort sein, die sich mit den Betroffenen solidarisieren und verhindern, dass sie von der Energieversorgung abgekoppelt werden. Um mit diesen Menschen in Kontakt zu kommen, sollte ein Notruftelefon unter dem Motto „Keine Abschaltung von Gas und Strom unter dieser Nummer“ freigeschaltet werden. Diese Nummer müsste großflächig an Orten verbreitet werden, wo sich arme Menschen oft gezwungenermaßen aufhalten müssen. Vor Jobcenter und Arbeitsagenturen, vor Schuldenberatungsstellen und vor Tafeln. Auf linken Plena und Demonstrationen hat man viele dieser Armutsbetroffen nur selten getroffen. Über die Gründe sollte sich gesellschaftliche Linke verstärkt Gedanken machen. Denn dort liegen auch die Ursachen dafür, dass der heiße Herbst 2022 trotz Kriegs- und Inflationsängsten allenfalls lauwarm geblieben ist. 


Klassenkampf statt Minderheitenpflege

Könnte der Grund, für die Schwierigkeiten, dass sich arme Menschen darin liegen, dass dort zu viel Minderheitenpflege statt Klassenpolitik gemacht wird? So schreibt Koschka Linkerhand in einer Jungle Word-Kolumne über die Leipziger Protestszene der letzten Wochen. 


Nachdem sie die Wagenknecht-Linke kurz abgewatscht hat, machst sie sich Gedanken, wer dann übrig bleibt:

„Leider fällt eine antifaschistische Bewegung, in der sich alle am Platze fühlen, nicht vom Himmel. Schon lange heißt es: Kämpfe verbinden! Aber der Weg führt durch den Streit ums Eingemachte – und zu der Einsicht, dass man es nicht alleine erreichen kann. Immer wieder muss gefragt werden, mit wem man Inhalte und Aktionsformen zumindest ein Stück weit teilt. Das können feministische Vereine sein oder Initiativen, die sich für die Rechte von LGBTI oder Rom:nja in der Stadt einsetzen.“ 


Franziska Linkerhand, Jungle World

Doch auch bei ihr kommen die armen Menschen, die gerade von einen Bürgerblock bekämpft werden, gar nicht vor. Der Gedanke, dass eine antifaschistische Linke mit der Parole „Gegen deutschen Arbeitszwang – von (Lohn)arbeit muss man leben können, ohne auch“ vor die Jobcenter und Niedriglohn-Firmen zieht und mit den armen Menschen, seien es Roma, Geflüchtete aus Afrika oder Hartz IV-Bezieher*innen mit deutschen Pass solidarisch ist, kommt bei ihr gar nicht vor. Dabei sind es genau diese unterschiedlichen Menschen, die vom rechten Bürgerblock ins Visier genommen worden. Der AFD-Politiker Kleinwächter hat im schon erwähnten Deutschlandfunk-Interview denn auch die Hetze gegen leistungslosen Müssiggang verbunden mit rassistischen Zuschreibungen gegen Migranten aus Afrika, aber auch gegen ukrainische Flüchtlinge. Eine gesellschaftliche Linke müsste gerade gegen diese Spaltung auftreten, mit der ganz einfachen Erklärung:

Kein Mensch hat es verdient, dass er unter Hartz IV-Bedingungen leben muss, dass ihm Strom und Wasser abgestellt wird, dass er zum Bittstellen bei Ämtern gezwungen ist. In dieser so scheinbar so einfach klingenden Aufgabe hilft nicht das Addieren immer neuer Minderheiten. Da hilft aber auch keine Abspaltung aller möglichen Minderheiten und das Einschwören auf die deutschen Arbeitertugenden, wie es bei den Linkskonservativen um Sahra Wagenknecht propagiert wird. Dem Historiker Henning Fischer ist zuzustimmen, wenn in der Wochenendausgabe des Neuen Deutschland vom 18.19.November mit Verweis auf Theorie und Praxis der gesellschaftlichen Linken in den USA schreibt: „Lasst Euch nicht spalten“. Damit sind nicht nur die Spaltungslinien nach Ethnie, Hautfarben und Geschlechtszuschreibung, sondern auch die ideologischen Spaltungen beispielsweise zwischen Anarchist*innen, den Syndikalist*innen und den verschiedenen Spielarten von antistalinistischen Kommunist*innen gemeint. Lasst und nicht Spalten, müsste das Leitmotiv sein einer linken Organisation auf der Höhe der Zeit. Gäbe es sie schon, wäre nicht nur der Krieg des Eigentümerblocks auf die Armen bei Bürgergeld nicht so widerstandslos vonstatten gegangen und der heiße Herbst vielleicht nicht auf bei der Wetterbeobachtung zu bemerken gewesen. 

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