Ken Jebsen: "Wenn ich mit Politik komme, ist die Party vorbei"
15.02.2016 -Das ist der zweite Teil des Interviews mit dem Moderator von KenFM. DAS MILIEU sprach mit Ken Jebsen über seine Medienkritik, seine Haltung zum Holocaust, den “Rausschmiss”, echte Emotionen beim Dreh, den Dritten Weltkrieg und die Wahlen in den USA.
DAS MILIEU: Du bist ein großer Kritiker des Mainstream-Journalismus, aber was kritisierst du konkret?
Jebsen: Der Unterschied zwischen der Zeit, als es das Internet nicht gab und jetzt, ist im Grunde gering. Im geteilten Deutschland gab es die Nachrichtensendung der DDR “Die Aktuelle Kamera”. Die haben immer dasselbe gemacht, aber zwischendurch haben die Zuschauer so viel West-Fernsehen geguckt, dass sie auch die Gegenseite kannten. Dann fiel die Mauer und die Medien und Politik machten einfach so weiter. Die haben es einfach nicht verstanden, dass man ihnen nicht mehr glaubt. Die Wahrheit liegt ja immer dazwischen. Die Leute können heute kein Westfernsehen mehr gucken, weil alles Westen ist.
Das heutige West-Fernsehen ist das Internet. Es braucht nur einen Klick und dann heißt es: “Augenblick mal, das habe ich aber anders gehört!”. Die gucken jetzt ausländische Fernsehsender oder KenFM und lernen die andere Sicht kennen. Ich zeige ihnen also andere Teile der Wahrheit. Es gibt das iranische Sprichwort: “Wenn einer zum Richter geht, hat er immer recht.” Nun bin ich der Verteidiger und erhebe Einspruch, wenn zum Beispiel Putin als Aggressor dargestellt wird und die Reaktion auf die Aktion verschwiegen wird. Jemanden einseitig komisch darzustellen ist reine Propaganda. Heute reicht ein kurzer Blick ins Netz, um zu erfahren, ob ein Bild gefälscht ist oder ein Journalist gekauft ist. Mein Vorwurf an die Medien ist, dass sie so viel Geld bekommen, es so mies einsetzen und versuchen ihre Inhalte mit billigen “Special Effects” an den Mann zu bringen. So als würde ich mit PacMan kommen und nicht wissen, dass es heute hochentwickelte Videospiele gibt.
Trotzdem versucht man uns für dumm zu verkaufen. Da lache ich drüber. Es ist eine Beleidigung, wenn die herkömmlichen Medien glauben, dass der einzelne Zuschauer keinen Zugriff auf alternative Quellen hätte. Es fängt schon dabei an, wer in Talkshows eingeladen wird. Ich habe ja lang genug in diesem Bereich gearbeitet. Es gibt einen Rundfunkrat, der angeblich die Vielfalt der gesellschaftlichen Gruppen darstellen soll, aber stattdessen ist es der Gatekeeper, der ganz stark mit der Regierung mitschwingt und reguliert, was wie und ob überhaupt gesagt wird. Wenn man unzufrieden ist, reicht ein Anruf, um jemanden zu beseitigen.
DAS MILIEU: Welche Funktion sollten die Medien stattdessen deiner Meinung nach erfüllen?
Jebsen: Ich finde, dass die Presse die Verantwortung hat, ihre Kontrollfunktion in der Demokratie wahrzunehmen, die Regierung zu hinterfragen und den Bürger aufzuklären. Sie ist unser Anwalt, unser Verteidigungssystem. Doch man hat diese Positionen, die auf Vertrauen basieren, leichtfertig verspielt. Das werfe ich ihnen vor. Es ist heuchlerisch von korrupten Medien in anderen Ländern zu sprechen, wenn bei uns Medienvertreter in verschiedenen Think Tanks und Netzwerken, die Pro-X oder Anti-X sind, vertreten sind, die eine klare Agenda haben. Wenn man mir dann noch sagt, dass es keine Rolle spielt, dann sage ich: “Haltet einfach die Schnauze!”.
Das ist heute alles Schrott. Früher als es nur drei Programme gab, war deren Arbeit besser. Man hatte das Auslandsjournal, Tagesspiegel, Heute Journal und andere. Sie waren besser, weil dieser Druck nicht da war und das 24h Stunden-Programm. Macht lieber weniger Programm, aber dafür verlässliche Arbeit. Dann wäre ich zufrieden. Aber wir werden ständig gezwungen, den Preis für einen Mercedes zu zahlen, obwohl die Qualität dem nicht angemessen ist.
Traurigerweise wurde alles dem ökonomischen Gesichtspunkt untergeordnet. Die dicke Quote bestimmt. Stellen werden abgebaut, Online wird größer und damit steigt der Druck enorm. Die Online-Ausgaben der sogenannten Qualitätszeitungen melden in sekundenschnelle Nachrichten, die sie dann aber wiederrufen müssen, weil sie sich vertan haben. Warum? Sie wollten die ersten sein. Bevor ich gar nichts habe, melde ich etwas, um präsent zu sein. Alles sind Eilmeldungen. Das ist doch verrückt. In dieser Hysterie nimmt die Freiheit immer mehr ab, weil alle Angst haben, mit Begriffen abgestempelt zu werden, die ihren Ursprung in bestimmten Think Tanks haben. Was ist “Querfront”, was ist die “neue Rechte”, was ist “politisch korrekt”? Die Gratwanderung für Redakteure zwischen diesen Labels wird immer schwieriger. Sie müssen ständig bangen, dass sie die Redaktionslinie treffen. Sie haben Angst, sie sind nicht frei. Es gibt heute selten Journalisten, die ihren Job machen, wie sie ihn für richtig halten.
DAS MILIEU: Wie war das in deiner Zeit bei einem “Mainstream”-Arbeitgeber?
Jebsen: Bei mir war das nie so. Ich habe nie auf das Geld geschaut. Schon bei meiner ersten Station habe ich mein erstes Gehalt in die Ausrüstung des Senders gesteckt, weil mir die zu schlecht war. Als ich bei den öffentlichen-rechtlichen gearbeitet habe, ist mein Geld in Kultursendungen, in das Catering und eine gute Tontechnik geflossen. Mein Team habe ich selbst bezahlt und habe gagenfrei moderiert. Ich wollte einfach eine super Kultursendung machen. Mein Geld habe ich woanders verdient. Dafür hatte ich Qualität. Das war schon immer meiner opportunistische Haltung. Ich mache heute, das was ich schon immer gemacht habe. Diese falschen Autoritäten, die ziehen bei mir nicht. Ich habe Vorbilder, an die ich mich orientiere und das sind keine Journalisten. Klar gibt es coole Journalisten, aber mein Vorbild heißt Muhammad Ali, Martin Luther King, Malcolm X, Thomas Sankara oder Eugen Drewermann. Mich interessiert auch nicht, was andere Journalisten über mich denken. Einen Kollegen im Visier haben und ständig danach fragen, was der wohl ist, statt sich anderen wichtigen Themen zu widmen. Habt ihr sonst keine Ziele? Das ist so wie wenn Coca Cola auf all ihren Werbeplakaten schreiben würde: “Trink auf gar keinen Fall Red Bull!”. Dann erfährt der letzte, dass es dieses Getränk gibt. Und das machen die heutigen Journalisten sehr erfolgreich!
DAS MILIEU: Du meinst also, dass eine Kampagne gegen dich läuft? Wann ging das los?
Jebsen: Ich bin 2011 ausgestiegen worden, aufgrund einer Lüge. Die Lüge war, dass die Intendanz später gesagt hat, nachdem Henryk M. Broder wegen dem Vorwurf gegen mich abserviert worden war, ich nochmals eingestellt wurde und dann wieder gehen musste, dass Broder erzählt hätte, ich sei wirr, unberechenbar, denn ich habe in der Zeit ganz stark die amerikanische Außenpolitik kritisiert. Man hat dann zu mir gesagt, dass ich weiterhin Sendungen mit politischen Inhalten machen dürfe, aber ich müsste jedes Mal ein Skript vorlegen und sozusagen absegnen lassen. Das wollte ich nicht.
DAS MILIEU: Was hatte es denn mit dieser Skandal-E-Mail auf sich?
Jebsen: Nichts. Die hat es nie gegeben. Ich hatte mit einem Historiker tagelang gechattet. Es war ein langer Chat, an dessen Ende klar wurde, dass ich ein Humanist bin, weil ich mit Gedanken von Gandhi abgeschlossen hatte. Daraus hat diese Person Textbausteine herausgenommen, etwas zusammengeschnitten und daraus diese Sache konstruiert. Ich habe das dann mit einer Zeitredakteurin so gemacht, die mich wegen dieser Geschichte besucht hatte. Aus der aktuellen “Zeit” hatte ich verschiedene Sätze herausgeschnitten und einen neuen Text gemacht. Ich habe die Redakteurin dann empfangen und ihr diesen Text vorgelesen. Sie hat das nicht verstanden, die Botschaft kam nicht an und sie hat dann behauptet, ich sei wirr.
DAS MILIEU: Wie lautete denn der genaue Vorwurf, der aus dieser fiktiven E-Mail hervorging und von Broder verbreitet wurde?
Jebsen: Ich hätte behauptet, dass es den Holocaust nie gegeben habe, denn er sei eine reine PR-Kampagne gewesen. Dabei hatte ich gesagt, dass der Holocaust aufgezogen wurde, wie eine PR-Kampagne seitens der Nazis. Dass man es also den Menschen verkauft hat, Hass sei in Ordnung gegen die und die. Leute, die damals die dazugehörige PR betrieben haben, sind später in der deutschen Werbeindustrie gelandet. Hierzu hatte ich Edward Bernays zitiert, der später zugab, dass seine Werke von Goebbels als Anleitung benutzt wurden, um Böses zu tun. Er meinte, dass er gewusst habe, dass man diese Lehren missbrauchen kann, er war ja der Neffe von Freud, aber könne damit eben auch Zahnpasta verkaufen. Und aus diesen Aussagen wurde konstruiert, dass ich behauptet hätte, dass es den Holocaust nie gegeben hätte. Es war eine Unverschämtheit. Ich habe so etwas nie gesagt. Ich kann doch die Geschichte nicht leugnen.
DAS MILIEU: Wie stehst du denn zum Holocaust?
Jebsen: Es gibt daran überhaupt nichts zu relativieren. Man darf Täter und Opfer niemals vertauschen. Der Holocaust ist in seiner Brutalität, in der Planung und Ausführung einmalig. Und ich hoffe, dass er es bleibt. Man weiß es nicht, denn Menschen sind zu allem fähig, sie können dazu neigen, Dinge zu wiederholen. Es war zweifelsfrei eine hochentwickelte Maschinerie, die bedient wurde, wo Menschen vermessen wurden. Diese Maschinerie existierte einzig und allein dazu, Menschen zu vernichten. Es gab in der Menschheitsgeschichte zwar viele Massenmorde mit Millionen von Opfern, aber dies geschah nicht maschinell.
Als ich meine Radiosendung bei Fritz hatte, die vier Stunden lief, habe ich neben Musik und Literatur, viele politische Themen behandelt. Wir haben darin schon immer das gemacht, was andere nicht gemacht haben. Es gab auch eine Rubrik, die “Rückblicke” hieß. Diese Sendung war geklammert mit O-Tönen der Überlebenden von Ausschwitz. Es waren sehr dramatische Beschreibungen der Ereignisse in Konzentrationslagern. In jeder Folge wurde dann Willkür in Deutschland oder weltweit thematisiert. Es ging darum, Menschen aufzurütteln, damit sie angesichts jeglicher Willkür gegen eine bestimmte Gruppe aufstehen, also wenn eine Gruppe sagt, dass die andere weg muss, weil sie anders ist. Jede Woche habe ich also das Dritte Reich als etwas absolut Böses thematisiert und meine genervten Kollegen meinten “Müssen wir jede Woche über den Holocaust reden?”.
DAS MILIEU: Deine Gegner werfen dir trotzdem vor, dass du bei einigen Themen sehr aggressiv wirkst und zu weit gehst. Sie werfen dir sogar Antisemitismus vor...
Jebsen: Die Antisemitismus-Keule ist einfach ein beliebtes Mittel, um Kritiker der NATO, des Neoliberalismus und der US-Wirtschaftspolitik nieder zu machen. Das machen verkappte Rechte, die sich Anti-Deutsche nennen und linke Kreise unterwandert haben. Aber: natürlich kommt es mal vor, dass ich über das Ziel hinausschieße. Es ist ja auch alles ein bisschen Showbusiness. Ich habe eine Schauspielausbildung, ich kann das. Die Kamera läuft dann weiter, es gibt Applaus, du hast gut verkauft.
DAS MILIEU: Du hast mit einer Person zusammengearbeitet, was dir immer wieder zum Vorwurf gemacht wird: Jürgen Elsässer. Warum hast du das getan?
Jebsen: Nach meinem Rauswurf hat mich ein gewisser Jürgen Elsässer angerufen. Ich kannte ihn nicht. Dann hat er mich zu meinem Fall befragt und mir angeboten, seine Bühne zu nutzen, um Leute zu interviewen, die ich für wichtig halte. Das habe ich getan. Ich habe z.B. den ehemaligen Chefredakteur von Al-Jazeera interviewt. Die Texte, die ich verfasst habe, wurden auch teilweise von diesem Magazin übernommen, aber von allen anderen eben auch. Ab dem Punkt, wo Akif Pirincci eingestiegen ist und der muslimische Verleger ausstieg, hat sich dieses Blatt extrem nach rechts verändert. Dann habe ich zu ihm gesagt: “Was du hier machst, ist nicht mehr Meinungsfreiheit. Das ist Hetze. Damit möchte ich nichts mehr zu tun haben!” Ich habe dann auch einen öffentlichen Brief gegen ihn unterschrieben. Ich muss den Leuten das Recht eingestehen, dass sie sich negativ verändern können. Dann steige ich aber aus.
DAS MILIEU: Mit wem du sprichst, stört manche Menschen mindestens genauso, wie deine Art. Bist du dir bewusst, dass deine “Agitation” manchmal wie ein Rachefeldzug gegen den Mainstream wirkt?"
Jebsen: Ja, ich weiß das und ich setze mich bewusst damit auseinander.
DAS MILIEU: Denkst du nicht, dass du mit einer anderen Art des Auftretens mehr bewegen könntest? Wenn wir uns z.B. den Politikwissenschaftler Michael Lüders und den Publizisten Jürgen Todenhöfer anschauen, dann sehen wir, dass beide im Grunde genommen dasselbe sagen, aber unterschiedlich wahrgenommen werden. Wer erreicht mehr?
Jebsen: Aber ich mache ja beides. Ich mache Todenhöfer im KenFM und in Positionen mache ich den Lüders. Viele haben nicht verstanden, dass viele Reporter und Journalisten sich auf eine Figur festlegen. Die hat auch mit ihrem Alter zu tun. Wenn man sich anschaut, wie die begonnen haben, als durchgeknallte Reporter, und wo sie dann später landen, im Auslandsjournal: die reifen dann. Ich möchte mich da aber nicht so ganz entscheiden. Ich bin leidenschaftlich gerne Reporter. Ich habe auch immer, wenn ich hochpolitische Sendungen gemacht habe, den Clown in anderen Formaten gespielt. Einfach so, weil ich will mich nicht entscheiden wollte. Ich bin jemand, der ein bisschen auf Speed gebürstet ist. Ich mach aber manchmal auch Sachen, die extrem langsam sind.
Wenn ich mit meiner Familie wandern gehe, dann wirft man mir im Laufe der zwei Wochen oft vor, dass ich ja kein einziges Wort geredet habe. “Stimmt etwas nicht mit dir?”, heißt es dann. "Nein, alles super. Es gibt nichts zu sagen." Es glaubt mir zwar keiner und ich bin auch in der Schule einer gewesen, der nie gerne an die Klassentafel gegangen ist, weil ich eigentlich ein schüchterner Typ bin. Weil ich dieses Willkürliche so blöd fand, wollte ich dieses Schüchterne umdrehen und bin dann später auf die Schauspielschule gegangen. Ich habe mir gesagt: ich will das können! Kann ich das trotz Hürden schaffen? Kann ich diese und jene Figur machen?
Die Idee hinter den verschiedenen Rollen bei KenFM ist natürlich, dass ich möchte, dass Leute sich für Politik interessieren. Also für ihr eigenes Leben. Die einen bekomme ich mit der ruhigen Art und die anderen bekomme ich mit einer etwas aggressiveren Art. Ich habe jahrelang alle Moderationen beim Radio geschrieben. Es war auch mal so, dass ich mir ein Mikro genommen habe, einfach drauf losgeredet habe und daraufhin tierische Klickzahlen für die Sendungen bekam. Ich habe gemerkt: damit erreiche ich vielmehr Leute, als wenn ich Reden vorlese. Und ich kann ja reden. Für mich ist es wichtig, angstfrei zu reden und authentisch zu sein. Es ist wichtig, keine Angst davor zu haben, was andere von einem denken. Sich in Rage zu reden, kann eine Technik sein. Das ist dann nur eine andere Art um Inhalte zu verkaufen. Ich kann auch langsam reden, wenn ich möchte.
DAS MILIEU: Wie authentisch ist etwas, wenn alles doch nur aufgesetzt ist? Es gibt einige Zuschauen, die misstrauisch werden, weil sie sich fragen: warum regt der sich so auf?
Jebsen: Du würdest doch einem Bruce Willis in "Stirb Langsam" nicht vorwerfen: Warum regt der sich so auf? Den Leuten muss klar sein, dass das auch eine Rolle ist. Trotzdem ist die Wut, die er in dem Film hat, echte Wut. Deswegen ist es überzeugend. Er spielt diese Wut nicht. Das macht einen guten Schauspieler aus. Ich schaffe es, wie ein guter Schauspieler, mich hineinzuversetzen in die Person, dessen Kind in Homs getötet wird, und dann werde ich echt sauer. Deswegen ist es ein echtes Gefühl. Das ist wichtig, diese Geschichten so zu erzählen. Ansonsten passiert es, wie oft in den Medien: wir sind total abgestumpft. Man muss aufpassen, dass es keine reine Show wird. Und es ist notwendig die Menschen mit Emotionen mit der Realität zu konfrontieren. Das ist so ähnlich wie mit brutalen Fotografien. Die Opfer der Brutalität sagen zu Kriegsberichterstattern: Bringen Sie dieses Bild! Die Bilder, die ich erzeugen kann, müssen so unerträglich werden, dass die Menschen sagen: Hört auf mit dem Krieg! Das versuche ich.
DAS MILIEU: Warum scheint es manchmal so, als würden die meisten Menschen schlafen? Die hören ja von alldem, was tagtäglich geschieht.
Jebsen: Die haben Angst. Man muss sich ja andauernd positionieren, so denken sie dann. Sie glauben, das würde bedeuten, keinen Spaß mehr im Leben zu haben. Da darf man ja gar nicht mehr nett konsumieren. Man kommt ja nicht mehr raus aus der Nummer. Der Mensch muss sich vielmehr fragen: Kann ich die Ungerechtigkeit reduzieren? Und es darf keine Faulheit geben und keine Ausreden mehr. Man ist so sehr gefangen in einem Wust an irren Maschinen, dass man den Überblick verliert. Doch man muss step-by-step voranschreiten, wie bei einer Bergtour. Häppchenweise, wie in der Schule, sonst ist man davon gefrustet. Und wenn man vorher daran denken würde, was alles schief gehen könnte, dann funktioniert das nicht.
Ich möchte alles daran setzen, dass ein Krieg mit deutscher Beteiligung nicht stattfindet. Was ist heute links und was ist rechts? Jetzt reden schon die Linken von einer Obergrenze bei Flüchtlingen. Ich habe dann gepostet: Gibt es eine Obergrenze bei Kriegen? Wenn man heute behauptet, dass Flüchtlingsströme mit unseren Waffenlieferungen und Kriegen zu tun haben, dann ist das eine “Verschwörungstheorie”. Dann wird gesagt, dass die Asylsuchenden zurück in ihr Land sollten, damit sie es wieder aufbauen. Haben wir nicht unser Land aufgebaut, als der Krieg vorbei war? Krieg ist heute zu abstrakt geworden, 70 Jahre nach Ende. Haben die Menschen nicht verstanden, dass der nächste große Krieg sich deshalb von den vorherigen unterscheiden wird, weil wir viel mehr Nuklearwaffen haben?
DAS MILIEU: Wie groß schätzt du die Wahrscheinlichkeit ein, dass es zu einem neuen Weltkrieg kommt?
Jebsen: Es ist sehr wahrscheinlich, dass es aus Versehen dazu kommt, wenn wir jetzt so viele Länder im Nahen Osten bombardieren. Man wird am Ende nie erfahren, ob es ein Versehen war oder nicht. Tschernobyl war ja auch ein Versehen, weil ein Mann gesagt hat: “Du kannst das Ding nicht so weit runterfahren.” Und der andere meinte: “Warte mal, ich zeig dir wie es geht!”. Dann kam es zu diesem Unfall. Es nützt doch den Menschen vor Ort nicht, zu wissen, ob es ein Versehen war oder nicht. Allein, dass wir Kernwaffen besitzen und die in Deutschland gelagert sind. Was ist denn das? John Lennon hat schon gesagt: “Wir werden von Wahnsinnigen regiert. Und wer das ausspricht, wird zum Wahnsinnigen gemacht.”
DAS MILIEU: Für viele Gegner des “Establishments” ist derzeit der US-Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders ein Hoffnungsschimmer. Wie schätzt du seine Chancen ein? Und glaubst du, dass er seine radikale Vision verwirklichen kann?
Jebsen: Sanders ist ein guter Mann. Ich glaube aber nicht, dass er eine Chance hat. Ich finde gut, was er macht. Ron Paul fand ich auch super. Das Problem ist nur, dass die USA ein Einparteiensystem mit zwei rechten Flügeln sind. Es ist dort entscheidend, welche Gruppe den Wahlkampf finanziert. Es sind ja etwa 300 Reiche, die dort herumspringen. Wenn man einen großen Teil von denen nicht auf seiner Seite hat, dann wird man nicht gehört. Auch wenn er jetzt keine Großspenden annimmt, wird er spätestens am ersten Tag im Weißen Haus hören: “Sehr schön, dass du hier bist, in ein paar Jahren wirst du wieder gehen. Wir waren schon vorher da und werden in Zukunft noch da sein.” Es ist letztlich eine gekaufte Demokratie. Wir leben in Gesellschaften, die von reichen Familien sehr stark mitbestimmt werden. Wenn 63 Menschen so viel besitzen wie 3,5 Milliarden, dann haben die natürlich viel mehr Macht. Und sie ändern viele Dinge, indem sie einfach öffentliche Meinung produzieren, hetzen, Dinge vergessen lassen. Deswegen konzentriere ich mich auch nicht auf die Bilderberger oder Davos. Das ist nur die Disney-Ausstellung. Jemand, der wirklich Asche hat, geht da nicht hin. Die schicken da jemanden für sich hin. Das ist doch alles Quatsch.
DAS MILIEU: Du glaubst nicht an einen Geheimbund, der alles steuert?
Jebsen: Es gibt nicht den einen Kreis, der alles beherrscht. Die Eliten sind ja auch untereinander Konkurrenten. Es läuft ganz oft nach dem Prinzip: wenn sich zwei streiten, dann freut sich der dritte. Oder: der Feind meines Feindes ist mein Freund. Natürlich gibt es Zirkel, Cliquen und Clubs, wo man sich gut kennt. Das ist ganz klar. Weil man sich gut kennt, tauscht man Gefälligkeiten aus. Die leben in ihrer eigenen Welt. Was ist das für ein Leben? Für einige von ihnen, ist die Platzierung in der Forbes-Liste die einzige Quelle, um sich Selbstwertgefühle zu verschaffen. Was will denn noch jemand, der 24 Mrd. hat? “Ich habe dieses Jahr noch eine Milliarde dazu verdient, jetzt habe ich 25 Mrd.” Was will man denn dafür noch kaufen? Man hat doch schon alles? Muss man nicht frustriert sein? Man hat ein Wohnhaus mit 78 Schlafzimmern, aber noch nie alle gesehen. (lacht) Ist doch langweilig und total belastend.
DAS MILIEU: Was für Ziele hast du eigentlich noch?
Jebsen: Ich bin neugierig. Ich habe in meinem Büro tonnenweise Bücher. Extrem viele Bücher, die lese ich. Zu einem Thema fresse ich mir alles rein. Da gibt es ein paar Interviewpartner, die ich gerne interviewen möchte. Andere Journalisten in anderen Ländern haben es schwieriger. Sie machen harte, ehrliche Arbeit. Ich schätze deren Arbeit sehr. Ich bin Extremsportler in meinem Beruf, der wenig Privatleben hat. Ich lerne jeden Tag was Neues, neue Leute kennen. Viel mehr, als das was man vor hat, zählt, was man getan hat. Ich plane nicht bis zum Ende der Woche. Ich weiß nicht einmal, welcher Tag heute ist. Warum? Interessiert mich nicht. Meinen Geburtstag vergesse ich. Pausen kenne ich nicht. Ich will immer mehr Input. Unter Freunden möchte ich lieber über Kunst und Kultur reden, als über Politik. Denn wenn ich merke, dass jemand Quatsch erzählt, dann kriegt der meine echte Meinung. Dann fliegen die Fetzen. “Weißt du was? Du redest hier von etwas, wovon du keinen Plan hast,”sage ich und dann ist die Party vorbei. "Lass uns nicht über Politik reden, dann können wir Freunde bleiben."
DAS MILIEU: Bist du eigentlich Deutschland dankbar dafür, dass du frei deiner Arbeit nachgehen kannst?
Jebsen: Absolut. Und sobald man mir den Hahn abdreht, ist das nicht mehr Deutschland.
DAS MILIEU: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Jebsen!