Kulturtheoretiker im Interview

Klaus Theweleit: "Die Tötungslust ist unabhängig von Ideologie"

15.04.2015 - Tahir Chaudhry

In seinem neuen Buch bildet das Lachen der Täter den rote Faden bei Gräueltaten jeglicher Coleur. DAS MILIEU sprach mit dem Kulturtheoretiker und Schriftsteller Klaus Theweleit über Mordlust und Heiterkeit, den dauergrinsenden Breivik und seine Parallelen zu Hitler, die öffentliche Inszenierung der Tat und Ideologien als Rechterftigung der Taten.

DAS MILIEU: Ihr Buch heißt „Das Lachen der Täter“. Sie sprechen nicht von Täterinnen. Ist die Freude an der Gewalt ein Männerphänomen?

Theweleit: Ja. Die lachend ausgeübte körperliche Tötungsgewalt ist ein Männerphänomen.

DAS MILIEU: In zahlreichen Fällen bekannter Massenmörder aus allen Teilen der Welt lässt sich Ihnen zufolge ein universelles Element feststellen. Es ist nicht etwa das Töten selbst, nicht die Motive oder die Sozialisation der Täter, sondern ihr Lachen. Wieso gerade das Lachen?

Theweleit: Sozialisation der Täter und politische Motive spielen selbstverständlich auch ihre Rolle. Es geht nicht um »dies nicht, sondern das«. Das »Töten selbst« und das Lachen fallen zusammen. Es scheint so zu sein, dass aus männlichen Körpern, die eine bestimmte Distortion ihrer sexuellen Lüste in Tötungslüste erfahren haben, dieses Lachen als begleitende Eruption ihrer Zerfetzungsaktivitäten gleichsam ungehemmt hervorbricht. Und zwar universell, in vielen Regionen/Kulturen gleichermaßen.

DAS MILIEU: In Ihrem Buch türmen sich die Belege für die Lust am Töten. Trägt jeder Mensch diese Lust in sich?

Theweleit: Das lässt sich in ein paar Sätzen kaum befriedigend ausdrücken. Nicht jeder Mensch, aber sehr viele Menschen sind anfällig für Tötungslüste; auch Frauen; aber nicht für diese Form exzessiver körperlicher Gewalt mit Lacheruptionen. Ihr zugrunde liegt – sehr allgemein gesprochen - eine »unentwickelte« Körperlichkeit. »Nicht-zu-Ende-Geborene« sind wir zunächst alle. Um zu einem körperlichen Ausgleichsgefühl mit sich selbst zu kommen, braucht es viele Zuwendungen, mütterliche und andere freundliche; später Beziehungen, die dieses Ausgleichsgefühl fördern: Freundschaften, Liebesbeziehungen, Gruppenerfahrungen, aushaltbare Arbeitsbedingungen usw. Die meisten Menschen bekommen offenbar nicht genug davon. Ihr Körper bleibt von psychischen Fragmentierungen bedroht. Die daraus resultierenden Ängste werden mit motorisch ausgeübter Gewalt gegen andere (und zwar: beliebig andere) bekämpft. Das Lachen ist Ausdruck einer Spannungslösung durch Gewalt.

DAS MILIEU: Es ist unfassbar und wirkt ganz offensichtlich krankhaft, wenn ein Mensch wie Anders Breivik, der 77 Menschen auf dem Gewissen hat, während der Tat lachen kann und auch später vor Journalisten, den Anwälten, dem Richter und Gerichtspsychiater sein Grinsen nicht verbergen kann. Was denken Sie, welche Gründe sein Dauergrinsen hat?

Theweleit: Sein Grinsen nicht verbergen will, muss man sagen. Es setzt vor Gericht – da ist er ohne Waffe – sein Lachen beim Tötungsakt fort. Die dazugehörige Rede: Leider waren es nur 77, die ich erwischt habe; es hätten viel mehr sein sollen. Zehntausende von feministisch-kulturmarxistischen Norwegern, die Norwegen widerstandslos der Islamisierung übergeben, hätten diesen Tod verdient.

DAS MILIEU: Wie würden Sie Anders Breivik von einem Adolf Hitler unterscheiden, der ja scheinbar auch ganz glücklich mit seinen Taten war?

Theweleit: Breivik mit den gleichen Machtbefugnissen wie Hitler würde sich von diesem nicht unterscheiden. Nur dass er anstelle der »Juden« alle »Muslime« würde ausrotten wollen. Psychologisch-strukturell ist das das Gleiche. Der jeweilige Feind soll verschwinden, möglichst restlos; das ist das Entscheidende.

DAS MILIEU: Dieses Lachen als Ausdruck der Lust am Töten haben wir bei Breivik gesehen, bei den Attentätern auf Charlie Hebdo, wir sehen es tagtäglich im Zusammenhang mit dem IS-Terror, den Kindersoldaten in Ruanda usw. Woher rührt ihrer Meinung nach diese Tötungslust im Allgemeinen?

Theweleit: Aus mehr oder weniger zerstörter Körperlichkeit, der die Möglichkeit gegeben wird, im Namen einer »höheren Organisation« oder sogar im Staatsauftrag ihre Mordtaten durchführen zu dürfen.

DAS MILIEU: Welche Funktion hat das Ausstellen von Taten? Was muss in einem amerikanischen Soldaten vorgehen, der einen Gefangenen foltert und diese Tat aufzeichnet und unter Freunden verbreitet?

Theweleit: Das Ausstellen der Taten hat durch die modernen elektronischen Technologien eine unerhörte Aufladung erfahren. Es gehört aber auch schon vorher unabdingbar zu dieser Art der Gewalt. Die Täter werden durch ihre Aktionen Teil einer höheren Macht und »die Welt« soll das sehen. Nämlich wie sie selber machtvoll lebendig werden, während sie anderen das Leben nehmen.

DAS MILIEU: IS-Terroristen stellen ihre Taten ganz bewusst für die breite Öffentlichkeit zur Schau. Ihre Taten sind darauf angelegt, die Gemüter zu erhitzen, damit in westlichen Gesellschaften die Angst vor „dem“ Islam wächst, die Muslime sich dadurch pauschal ausgegrenzt fühlen und die entstehende Frustration von Jugendlichen zur Rekrutierung neuer Mitglieder ausgenutzt werden kann. Denken Sie, dass da noch ein Lustgewinn durch das Töten dabei ist, wenn doch die Inszenierung im Vordergrund steht?
 
Theweleit: Das inszenierte Töten und seine Ausstellung sind nicht voneinander zu trennen. Der Lustgewinn ist umso größer, je horribler die Ausstellung gelingt.

DAS MILIEU: Welche Rolle spielt die Ideologie bei der Rechtfertigung ihrer Taten?

Theweleit: Die jeweils herbeizitierten Ideologien erfüllen vor allem den Zweck, dass der einzelne Täter oder der Täterverbund sich als »schuldlos« empfinden kann. Man handelt im Namen einer höheren Religion, einer höheren Rasse etc., die einen zum Töten beauftragen. Ob man das im Namen des Islam tut oder im Namen des Christentums, im Namen einer überlegenen Arierrasse, im Namen einer überlegenen politischen »Klasse« oder im Namen einer überlegenen Hautfarbe: das ist austauschbar. Die Tötungslust ist unabhängig davon da.

DAS MILIEU: Wie geht man nun mit dieser Herausforderung einer mordlüsternen Bande um? Wie könnte man Ihrer Meinung nach dem islamistischen Terror den Nährboden entziehen und ihre Strategien unschädlich machen?

Theweleit: In den im Nahem Osten entstandenen Machtvakuen, wo der IS herrscht, wird es nur militärisch gehen. Das müssen aber die dortigen Einwohner bewerkstelligen, nicht der »Westen«, dem es dort vorwiegend um Öl geht und nicht um die (angebliche) »Demokratisierung«, die man von außen nicht verordnen kann. Bei uns, in den westlichen Ländern, geht es darum, soziale Bedingungen zu schaffen, in denen sich die Fremden hier, insbesondere die hier geborenen Kinder aus kulturell/religiös gemischten Familien, nicht ausgegrenzt fühlen, sondern Lebensperspektiven bekommen, die »ihr Herz höher schlagen lassen«; die ihre Lust, hier zu leben, befördern. Pegida ist das reine Gift dagegen: erzeugt ganz direkt Terrorpotentiale.

DAS MILIEU: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Theweleit!

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