Kolumne

Lupus Oeconomicus: Finanzblasen und andere Rätsel

15.02.2017 - Nicolas Wolf

Die Niedrigzinspolitik der EZB lege den Grundstein für die nächste Finanzkrise, beklagt der Wirtschaftsprofessor Gunther Schnabl in einem Interview. Der Vorwurf ist an und für sich nichts Neues. Viele Ökonomen und Finanzexperten sind der Ansicht, dass es meist eine zu lockere Geldpolitik von Zentralbanken ist, die immer wieder und wieder zu Spekulationsblasen an den Finanzmärkten führt. Wenn diese dann spektakulär platzen, kommt es nicht allzu selten auch zu Verwerfungen in der Realwirtschaft - die Krise von 2008 ist geradezu ein Paradebeispiel dafür.

Das klingt alles einleuchtend, ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Niedrige Zinsen sind eine Sache, aber der Grund, warum es immer wieder zu Finanzkrisen kommt, hat auch im Wesentlichen mit der Architektur unseres Geldsystems zu tun.

 

Zinsen, Geldpolitik, Finanzsystem, Finanzblasen - klingt kompliziert, arkan, abstrakt. Warum sollte man sich als Normalbürger damit beschäftigen? Weil im Zuge der letzten Finanzkrise Millionen Menschen ihre Jobs verloren haben - und das ist in der Tat ein sehr reales Phänomen, über das man sich unterhalten sollte.

 

Fangen wir mit einer simplen Frage an: Was ist eigentlich dieser Zins? Einfach betrachtet ist der Zins der Preis für Geld, oder um genau zu sein der Preis, den man für einen Kredit bezahlen muss. Sinkt der Zins, wird es zunehmend attraktiver sich Geld zu leihen, steigt er, wird es immer vorteilhafter auf einen Teil seines Einkommens zu verzichten und es zu sparen - was faktisch die Vergabe eines Kredites ist. Wenn man von Zentralbankzinsen oder den sogenannten Leitzinsen spricht, sind damit in der Regel die Zinssätze gemeint, zu denen Geschäftsbanken bei der Zentralbank Geld leihen oder parken können. Über diesen Steuerungsmechanismus können EZB, Fed & Co die Kreditvergabe von Banken beeinflussen. Die meisten Zentralbanken haben ein Preisstabilitäts- und Beschäftigungsziel, was soviel heißt wie: “Sorg dafür, dass die Inflation nicht durch die Decke geht und die Arbeitslosigkeit niedrig ist.” Wenn eine Zentralbank nun also beobachtet, wie die Preise steigen und die Wirtschaft auf Hochkonjunktur läuft, wird sie die Leitzinsen anheben, was über die Geschäftsbanken wiederum an die Realwirtschaft weitergegeben wird. Steigen die Zinsen, werden Konsumenten ihr Geld lieber sparen, als es auszugeben, und Unternehmen werden Investitionen unterlassen, wenn die Kredite dafür zu teuer werden. Schwächelt die Wirtschaft hingegen und droht Deflation, senkt die Zentralbank die Zinsen um Konsum und Investitionen anzuregen. So ungefähr funktioniert Geldpolitik vereinfacht gesagt in der Theorie. In der Praxis heißt das im umgekehrten Fall, dass bei anhaltend niedriger Inflation und permanent hoher Arbeitslosigkeit - wie es derzeit in der Eurozone zum Beispiel zutrifft - die Zentralbank die Zinsen niedrig hält, bis Preise und Beschäftigung wieder anziehen. Soweit so gut- doch was hat das mit der Entstehung von Finanzmarktblasen zu tun?

 

Hierzu gibt es zwei Punkte anzumerken. Zum einen bilden Zinsen die Basis für die Bewertung von jedem Wertpapier oder Investitionsobjekt. Sinkt das Zinsniveau, gewinnen Vermögensgegenstände an Wert. Intuitiv kann man das dadurch erklären, dass bei niedrigen Zinsen andere Anlageformen (z. B. Aktien, Immobilien) an Attraktivität gewinnen und als Folge im Preis steigen. Zum anderen aber kann man sich nicht nur Geld leihen, um damit Investitionen zu tätigen, wie zum Beispiel um eine Fabrik zu bauen oder ein Unternehmen zu finanzieren, sondern vor allem, um damit zu spekulieren oder um damit bereits existierende Vermögenswerte aufzukaufen. Beispiel gefällig? Aktienkauf auf Kredit: Wenn man 10.000 Euro zur Verfügung hat, aber für 13.000 Euro Aktien kaufen möchte, kann man sich von seinem Broker das fehlende Geld leihen. Je niedriger die Zinsen, desto leichter lässt sich ein solcher Kredit bedienen und desto mehr Aktien kann man auf Pump kaufen. Wichtig für das Verständnis ist, dass ein solcher Kredit zu keiner zusätzlichen wirtschaftlichen Aktivität führt oder die Ertragsmöglichkeiten des Kreditnehmers erhöht, wie es zum Beispiel der Fall wäre, wenn ein Unternehmen sich Geld borgt um eine effizientere Fertigungsanlage zu finanzieren. Für viele vielleicht etwas greifbarer ist der Kauf eines Haus oder Wohnung als Geldanlage. Wer eine bereits bestehende Immobilie kauft und dies mit Hilfe seiner Hausbank tut, nimmt einen Kredit auf um einen Vermögenswert zu erwerben, den er sich sonst vielleicht nicht leisten könnte. Als netter Nebeneffekt, erhöht sich durch eine solche kreditfinanzierte Investion zumeist die erwartete Rendite, was im Finanzsprech als Leverage bezeichnet wird1. Und so geschieht es immer wieder, dass mit sinkenden Zinsen auch eine Explosion von Aktienkursen und Immobilienpreisen einhergeht. Doch wie eingangs erwähnt: Niedrige Zinsen sind nur ein Teil der Geschichte.

 

Stellen wir uns einmal kurz vor, dass es nur eine begrenzte Menge an Geld gäbe, die als Kredit vergeben werden könnte. In einer solchen Welt könnten Zentralbanken so Zinsen setzen, wie sie wollten, am Ende des Tages würden Kreditangebot (in diesem Fall fix) und Kreditnachfrage (variabel) den tatsächlichen Zins bestimmen. Allerdings ist unser Geldsystem so nicht beschaffen. Was vielen nicht bewusst ist, aber einen wesentlichen Bestandteil unseres modernen Finanzkapitalismus ausmacht, ist die Tatsache, dass Geschäftsbanken Geld erschaffen können. Einfach so aus dem Nichts. Wenn jemand zu seiner Hausbank des Vertrauens geht, um dort einen Kredit aufzunehmen, dann zaubert diese quasi Geld herbei und schreibt es dem Kreditnehmer gut. Wer das für Unfug hält, kann sich bei der Bank of England selbst informieren.

 

Was das allerdings bedeutet, ist, dass das Bankensystem (zumindest theoretisch) unendlich viel Kaufkraft schaffen kann, indem es fleißig Kredite vergibt, oder anders ausgedrückt: Schulden produziert. Wenn nun also diese potenziell grenzenlose Kaufkraft auf einen limitierten Bestand an Anlagemöglichkeiten trifft - wie zum Beispiel im Falle von Immobilien in guter Lage in einer Großstadt - dann zieht dies unweigerlich Preissteigerungen und mitunter auch das Bilden von Preisblasen nach sich. Blasen, die schließlich dann platzen, wenn die Einkommen aus den kreditfinanzierten Investitionsobjekten die Schuldenlast nicht mehr bedienen können. Es sind eben nicht nur niedrige Zinsen an sich, die zur Blasenbildung in Aktien- oder Immobilienmärkten führen, sondern es ist auch ein Finanzsystem, das unglaublich gut darin ist, sehr, sehr viele Kredite bzw. Schulden zu erschaffen - ein Sachverhalt, den der ehemalige Chef der britischen Finanzaufsicht, Adair Turner, in seinem Buch „Between Debt and the Devil“ thematisiert. Dabei weist er auch darauf hin, dass heutzutage Banken vor allem durch Hypotheken, also Immobilienkredite, ihr Geld verdienen, und weniger indem sie Unternehmen mit Liquidität für Investitionszwecke versorgen. Mit anderen Worten, unser Finanzsystem stellt nicht überwiegend Mittel für produktive Zwecke bereit, sondern fördert die Steigerung von Hauspreisen, mit der Folge, dass der Immobilienerwerb zunehmend kostspieliger wird.

 

Es ist daher gut und schön von der EZB zu verlangen die Zinsen zu erhöhen, aber damit würde man es den nach wie vor hoch verschuldeten Staaten der Eurzone und Unternehmen mit tatsächlichem Investitionsbedarf nur unnötig erschweren, sich Geld zu beschaffen. Die wichtige Frage lautet daher: Wie können wir ein Bankensystem erschaffen, das nicht vorwiegend Finanz- und Immobilienblasen kreiert, sondern stattdessen Diener der Realwirtschaft ist? Dazu mehr in meiner nächsten Kolumne.

 

 

 

1 Gleichzeitig erhöht sich jedoch auch das Risiko aus Sicht des Investors.

Autoren benötigen Worte.
Worte benötigen Zeit

Unterstützen