Kolumne

Lupus Oeconomicus: #germanproblem

15.07.2017 - Nicolas Wolf

Eigentlich wollte ich anlässlich des 150. Geburtstags von „Das Kapital“ und dem Spezial der Süddeutschen Zeitung dazu ein paar Worte zur Relevanz von Marx’ Ideen im 21. Jahrhundert verlieren, aber das muss nun erst einmal warten. Ich sehe mich – leider – veranlasst, ein Thema aufzuwärmen, das ich in der Vergangenheit bereits behandelt habe, nämlich Deutschlands absurd hohen Exportüberschuss.

Der Grund dafür: ein Leitartikel des britischen „Economist“ mit dem plakativen Titel „The German Problem“ und ein Onlinebeitrag auf der Seite der Süddeutschen von Marc Beise, der jene Titelgeschichte aufgreift. Eigentlich wäre das alles nicht weiter der Rede wert, würde der SZ-Kommentar nicht einen wesentlichen Aspekt der Economist-Story unterschlagen, um am Ende ein sehr arbeitgeberfreundliches Plädoyer abzuhalten, das meiner Meinung nach an der eigentlichen Sache vorbei geht.

Worum geht es also? Deutschland exportiert zu viel, was nicht nur US-Präsident Donald Trump ein Dorn im Auge ist, sondern von vielen Ökonomen äußerst kritisch gesehen wird und meiner Meinung nach auch uns Deutsche sorgvoll stimmen sollte. Exportiert ein Land über einen längeren Zeitraum deutlich mehr, als es importiert, so deutet dies daraufhin, dass seine inländische Nachfrage nach Gütern zu gering ist. Im Falle Deutschlands heißt dies, dass andere Länder unser Defizit an Konsum und Investionen auffangen und sich dankbarerweise verschulden, damit sie uns unsere Autos, Maschinen und Kuckucksuhren abkaufen können.

Der Economist fasst präzise und ausgewogen zusammen, was in der Bundesrepublik wirtschaftlich gut und leider auch falsch läuft. So lobt das britische Magazin das deutsche Ausbildungssystem, die Arbeitsmarktreformen der Schröder-Regierung und die im internationalen Kontext sehr moderate Haltung deutscher Gewerkschaften, kritisiert aber auch mangelnde Investionen in physische und digitale Infrastruktur und in das Bildungssystem. In diesem Zusammenhang greift der Economist auch die unsinnige Schuldenbremse auf, die eine aktivere, fiskalische Rolle des Staates unnötig erschwert. Würde die öffentliche Hand mehr für Deutschlands Zukunftsfähigkeit ausgeben, würde ein großer Teil deutscher Ersparnisse nicht ins Ausland wandern, sondern im Inland angelegt werden und somit den Handelsüberschuss reduzieren. Beise von SZ-Online greift diesen Punkt auf, schreibt, dass er sich von der derzeitigen Regierung gewünscht hätte, „...mutig und umfassend in eine Zukunft zu investieren, die weiterhin Wachstum verspricht.“ Gleichzeitig kritisiert er, dass die Große Koalition beim Ausbau des Sozialstaats hingegen sehr großzügig war, Stichwort Rente mit 63 und Mütterrente.

Soweit so gut – ich teile diese Ansicht. Dann folgt allerdings der eine Absatz, der mich letzten Endes dazu bewogen hat, Beises Kommentar zum Gegenstand dieser Kolumne zu machen. Der Titel des Paragraphen „Es ist kein Zufall, dass CDU-nahe Unternehmer für die FDP schwärmen“ macht dabei klar, worauf der Autor tatsächlich hinaus will. Was dann kommt, sind Forderungen, die der Deutsche Arbeitgeberverband wahrscheinlich nicht wesentlich anders formuliert hätte: Steuerreform, Bürokratieabbau, Flexibilisierung der Arbeitsmärkte. Über Ersteres lässt sich verhandeln, der zweite Punkt ist zu befürworten, bei Letzterem muss ich zweimal hingucken – war die Agenda 2010 denn nicht genug? Daran schließt sich dann eine Kritik an Mindestlohn, Mietpreisbremse und Frauenquote an.

Nun darf man natürlich in Wirtschaftsfragen (und auch bei anderen Themen) unterschiedlicher Meinung sein. Auch wenn ich in einigen Punkten entschieden widersprechen würde, störe ich mich nicht daran, dass Marc Beise eine unternehmerfreundliche Sichtweise artikuliert. Allerdings hätte er dies auch tun können, ohne dabei die Economist-Titelstory heranzuziehen – vor allem, wenn er einen ihrer wesentlichen Aspekte komplett ignoriert. So ist den britischen Wirtschaftsjournalisten zufolge Deutschlands chronischer Exportüberschuss nicht nur auf unzureichende staatliche Investitionen zurückzuführen, sondern vor allem auf die Tatsache, dass wir Deutsche zu wenig konsumieren und das nicht, weil wir zu viel sparen, sondern zu wenig verdienen. Als Beleg dafür führt der Economist an, dass die Sparquote in der Bundesrepublik seit Jahren sehr stabil ist, der Anteil der Haushaltseinkommen an der Wirtschaftsleistung allerdings von 65% in den 90ern auf unter 60% Stand heute gesunken ist. Konsequenterweise plädiert der Artikel dafür, dass in Deutschland die Löhne und verfügbare Einkommen steigen müssen.

Nun kann der Staat nicht einfach so per Gesetz allgemeine Lohnerhöhungen beschließen, schließlich gilt in Deutschland Tarifautonomie. Man kann allerdings durch Einführung eines Mindestlohns versuchen, das Lohnniveau anzuheben oder aber durch eine Begrenzung von Mietpreisen verhindern, dass steigende Wohnkosten Gehälter zunehmend auffressen. Mit anderen Worten: Zwei der von der Großen Koalition beschlossenen Maßnahmen sind potenziell Konsum fördernd und somit ein mögliches Mittel, die Ungleichgewichte mit unseren Handelspartnern abzubauen. Bezeichnenderweise sind es auch zwei Maßnahmen, die Marc Beise ein Dorn im Auge zu sein scheinen.

Aus meiner Sicht ist das „German Problem“ nicht nur unser auf Exportüberschüssen beruhendes Wirtschaftsmodell, sondern auch die Art und Weise, wie darüber berichtet und gestritten wird. Man kann (und muss) die Merkel-Regierung für ihre Wirtschaftspolitik kritisieren. Aber wenn man den deutschen Handelsüberschuss zum Thema und den Leitartikel eines renommierten Wirtschaftsmagazin zur Referenz macht, dann sollte man dessen Inhalt ausgewogen wiedergeben und nicht nur das herausnehmen, was in die eigene Agenda passt. Dies zu tun ist sehr menschlich und es würde mich nicht wundern, wenn es mir selbst hin und wieder geschieht, wenngleich auch unbewusst. Leider hilft es nicht dabei, eine zielführende Debatte zu führen.

Deshalb, lieber Herr Beise, lassen Sie uns doch mal darüber reden, wie der deutsche Arbeitnehmer an der hervorragenden Konjunkturlage stärker Teil haben kann – den Kapitaleignern geht es derzeit gut genug.

So. Konnte ich doch noch etwas schreiben, was entfernt an Marxsche Rhethorik erinnert.



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