Kolumne

Lupus Oeconomicus: Zukunftängste und Zukunftsmusik

15.04.2017 - Nicolas Wolf

Ich habe mir vor Kurzem den 1982 erschienenen Film "Blade Runner" nach langer Zeit mal wieder angesehen. Er war günstig auf DVD zu haben, also dachte ich mir "Warum nicht?". Für alle, die den Streifen nicht kennen: In dem Science Fiction – Film von Ridley Scott jagt Harrisson Ford als sogenannter Blade Runner eine Gruppe von Replikanten - so werden die von Menschen praktisch nicht zu unterscheidenden Roboter bezeichnet, die in den extraterristischen Kolonien der Menschheit niedere Arbeit verrichten dürfen. Der Ort des Geschehens ist Los Angeles, ein riesiger Moloch bestehend aus Hochhausschluchten, durch die fliegende Autos rasen. Das Jahr, in dem all das so sein soll: 2017.

Wenn mich irgendetwas an Blade Runner nachhaltig fasziniert hat, dann wie weit die darin entworfene Vision der Zukunft von der Realität entfernt ist.

 

Das Gleiche ließe sich auch über Stanley Kubricks „2001: A Space Odysee“ sagen, in dem es unter anderem eine Mondkolonie inklusive Linienflug dorthin gibt, sowie eine künstliche Intelligenz, HAL genannt, die jeden noch so schwierigen Turing-Test problemlos meistern würde.

 

Um die Worte des dänischen Physikers Niels Bohrs zu bemühen: „Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.“ Blade Runner und 2001: A Space Odsee sind zwei Beispiele dafür. Meine (höchst subjektive) These in Sachen Zukunftsvisionen ist, dass sie grob in zwei Lager fallen. Die einen extrapolieren Episoden rasanten Fortschrittes und überschätzen das Tempo der technologischen Entwicklung. 2001: A Space Odyssee wurde 1968 veröffentlicht, ein Jahr später war der erst Mensch auf dem Mond. Verständlich, dass man dann auch glaubt, dass im Jahr 2001 ein bemannter Flug zum Planeten Jupiter drin ist. Der andere Typus hingegen impliziert, dass alles mehr oder minder so bleibt, wie es ist, und sich das Leben in der Zukunft nur marginal von dem heutigen unterscheiden wird. Diese Sicht erscheint logisch, wenn man bedenkt, dass Autos sich nach wie vor auf vier Rädern in zwei Dimensionen bewegen, auch wenn sie immer komfortabler und benzinsparender werden, Lebenserwartungen und -qualität stetig zugenommen haben, ohne dass wir allerdings eine Erkrankung wie Krebs zuverlässig und nachhaltig heilen können.

 

Mein Eindruck ist, dass, wann immer Menschen über Politik diskutieren, sie grundsätzlich die zweite Haltung hinsichtlich der Zukunft annehmen. In der Wissenschaft gibt es den Begriff „ceteris paribus“, „unter sonst gleichen Bedingungen“, womit gemeint ist, dass bei einem Experiment alle Parameter bis auf einen gleichgehalten werden, sodass der isolierte Effekt einer bestimmten Veränderung festgestellt werden kann. Bei Diskussionen um Rente, Gesundheits- und Arbeitsmarktpolitik wird in der Regel etwas sehr Ähnliches getan. Es wird als gegeben hingenommen, dass man je nach Beruf mit 60 oder 65 nicht mehr arbeiten kann und dann mit 80 oder 85 auf Pflege angewiesen ist. In der Folge ist die Rentendebatte im wesentlichen eine Diskussion darüber, wie früh und mit was für Bezügen man Arbeitnehmer in den Ruhestand schicken kann. „Wie sollen wir vor dem Hintergrund des demographischen Wandels in Zukunft unser Rentensystem finanzieren ohne Altersarmut zu produzieren? Wer bezahlt die Pflege?“ – das sind die Fragen, die gestellt werden, doch eine sozialverträgliche und gerechte Antwort auf sie zu finden, ist so ambitioniert wie die Quadratur des Kreises.

 

Die einfachste (und einzig machbare) Lösung ist, dass das Rentenalter angehoben werden muss. Vielleicht auf 70 oder 75 Jahre. Nicht von heute auf morgen, aber zumindest langfristig. „Aber was ist mit Berufen, die harte, körperliche Arbeit erfordern? Glaubst du ernsthaft, ein Maurer könne mit 70 noch arbeiten?“ Das ist die Art von Einwand, die ich dann immer zu hören bekomme. Und es folgt jedesmal dieselbe Replik meinerseits: „Glaubst du, dass in 20 oder 30 Jahren der Beruf des Maurers in der Form, wie wir ihn heute kennen, noch existiert? Oder besteht der Beruf des Maurers in Zukunft darin, einen riesigen 3D-Drucker, der ganze Mauerrwerke errichtet, zu bedienen und zu überwachen?“ Der Punkt, den ich zu machen versuche, ist folgender: Da wir die demographische Entwicklung nicht ändern können, hängt die Finanzierbarkeit des umlagefinanzierten Rentensystems in erster Linie davon ab, ob technologischer und auch medizinischer Fortschritt es uns erlauben, Menschen guten Gewissens länger arbeiten zu lassen. A propos medizinischer Fortschritt: Wer sich um den Zustand der Pflegeversicherung sorgt, sollte in erster Linie hoffen, dass die Biotechnologie effektive Mittel gegen altersbedingte Krankheiten wie zum Beispiel Alzheimer entwickelt oder es sogar schafft, den Alterungsprozess von Zellen deutlich zu verlangsamen. Pflegekräfte zu Niedriglöhnen zu beschäftigen um den Kostendruck einer alternden Bevölkerung entgegenzuwirken ist meiner Meinung nach keine gute Lösung.

 

Ich weiß natürlich nicht, wie die Zukunft aussehen wird. Ich bemerke nur, wie sich die Durchbrüche in Sachen Künstliche Intelligenz, Automatisierung, Robotik, Biotechnologie und Medizin häufen und wieviel Aufmerksamkeit diese Themen erlangen. Marc Friedrich und Matthias Weik haben in der letzten Ausgabe von „Das Milieu“ das Thema Industrie 4.0 aufgegriffen, ich bin in einer meiner letzten Kolumne selbst drauf eingangen und DER SPIEGEL titelte neulich: „Sind wir bereit für die perfekte Zukunft? Was der rasante digitale Fortschritt dem Menschen abverlangt“ Allen Beiträgen ist die Sorge gemein, dass der technologische Wandel viele Verlierer produzieren wird. Auf der anderen Seite glaube ich jedoch, dass vieles von dem, was im Silicon Valley (und anderorts) momentan passiert, gleichzeitig die Lösung für viele unser Probleme darstellt. Ob am Ende die digitale und medizinische Revolution tatsächlich so überwältigend sein wird wie von ihren  größten Verfechtern prognostiziert, muss sich zeigen. Blade Runner, Space Odysee – es ist ein Leichtes die Geschwindigkeit technologischen Fortschritts zu überschätzen. Die einzige Gewissheit, die wir haben, ist, dass es Politik allein nicht richten wird.

Autoren benötigen Worte.
Worte benötigen Zeit

Unterstützen