Piraten-Vize im Interview

Markus Barenhoff: "Wir befinden uns in einem kalten Überwachungskrieg"

14.09.2013 - Walid Malik

Die NSA-Affäre hat hierzulande kurz vor der Bundestagswahl Wellen der Empörung hervorgerufen. Gerade die Piraten sind als eine Partei bekannt, die sich besonders für Sicherheit im Netz stark macht. Der Vize-Vorsitzende der Piratenpartei Deutschland, Markus Barenhoff, sprach mit dem MILIEU über Probleme und Lösungsvorschläge im Datenschutz, aber auch über die Syrien-Frage und die deutsche Rentenpolitik.

DAS MILIEU: Guten Tag Herr Barenhoff! Sie sind bekanntlich nicht nur Vize-Chef der Piratenpartei Deutschland, sondern auch Hacker. Gleichzeitig fordern sie mehr Schutz für die persönlichen Daten der Bürgerinnen und Bürger vor Prism, NSA und co. - ist das kein Widerspruch?

 

Barenhoff: Ganz im Gegenteil. Da ich die Möglichkeiten hatte, konnte ich mich schon in meiner Kindheit in den 80ern mit Computern befassen. In den 90er Jahren nahm ich dann an ersten Hacker-Konferenzen teil und fragte mich schnell, warum die "ältere" Generation sich primär über politische Folgen der Digitalisierung austauscht und gar nicht mehr so sehr über technische Details, was ja der Grund war, warum ich dort war. Und ich dachte: "Hoffentlich 'endest' du nicht auch irgendwann so...". Jetzt kandidiere ich für den Deutschen Bundestag. Die Hacker-Szene hat schon in den 80er Jahren diskutiert und erkannt, welche Möglichkeiten, aber auch Gefahren die fortschreitende Digitalisierung des gesamten Lebens bedeuten kann und der alte Spruch "öffentliche Daten nützen, private Daten schützen" ist aktueller denn je.


DAS MILIEU: Nehmen wir an, Ihre Partei käme in den Bundestag. Wären die Büros von Piraten-Abgeordneten dann eigentlich abhörsicher?


Barenhoff: Dieses Detail müssten Sie mal bei der Bundestagsverwaltung recherchieren. Aber ich gehe davon aus, dass z.B. auf jeden Fall die IT einer Piraten-Bundestagsfraktion beide von Ihnen angesprochenen Aspekte bietet:

Hohe Datenschutz-Standards für schutzbedürftige Daten, z.B. personenbezogene Daten von Fraktionsmitarbeitern. Andererseits aber größtmögliche Transparenz bei der Darstellung von politischen Prozessen, Entscheidungen und Inhalten. Außerdem haben die Piraten das schon 2009 in dem schönen Slogan zusammengefasst: "Gläserner Staat, statt gläserner Bürger".


DAS MILIEU: In Ihrem Parteiprogramm stützen Sie sich auf die „Digitale Revolution“ der Neuzeit. Was können Sie aber jemandem bieten, für den das Internet #Neuland ist? 


Barenhoff: Wir möchten z.B. mit einem bedingungslosen Grundeinkommen unseren Arbeitsmarkt, sowie das Steuer- und Sozialsystem fit für die nächsten 50 Jahre machen. Dass hier echte Veränderungen stattfinden müssen, ist aber aus meiner Sicht wiederum eine Konsequenz aus den Auswirkungen der "Digitalen Revolution". Sie gehen also so gesehen jeden Bürger etwas an, auch denjenigen, die dem Internet als Kulturraum noch etwas ferner stehen. Die Menschen darüber aufzuklären, haben sich die Piraten als Ziel gesetzt.


DAS MILIEU:  Im Rahmen des NSA-Überwachungsskandals hat Ronald Pofalla (CDU) wichtige Dokumente den Abgeordneten geschwärzt vorgelegt. Wie würde eine symbolische Entschwärzung dieser offensichtlichen Intransparenz für Sie aussehen?


Barenhoff: Es ist schlicht nicht nachzuvollziehen, dass nicht zumindest die Parlamentarier volle Akteneinsicht bekommen. Eine Aufgabe des Parlaments ist es, im Namen der Bevölkerung und legitimiert durch die Wahl, die Arbeit der Regierung zu kontrollieren. Ohne vollständige Kenntnis der Faktenlage kann dies nicht funktionieren. Dieses strukturelle Problem einer viel zu schwachen Legislative muss aufgebrochen werden. Wenn die Regierung die Möglichkeit hat, über Tricks mit der Geheimschutzordnung den Parlamentariern relevante Informationen zur vernünftigen Entscheidungsfindung vorzuenthalten, muss diese dringend geändert werden. Dies muss auch eine Lehre aus dem NSU-Skandal sein.


DAS MILIEU: Apple sammelt mit seinem neuen IPhone 5S ab sofort auch Fingerabdrücke, verspricht aber seinen Kunden eine Verschlüsselung der biometrischen Daten. Der Skandal um die gespeicherten Bewegungsprofile hat damals bei Apple-Fans einen riesen Eklat ausgelöst. Wie hoch ist nun die Wahrscheinlichkeit, dass die Fingerabdrücke am Ende bei der NSA landen?


Barenhoff: Wir wissen, dass Unternehmen mit dem Sitz in den USA gezwungen werden, der NSA eine Hintertür offen zu lassen. Selbst Konzerne wie Yahoo und Apple, die mit ihren Rechtsabteilungen versucht hatten zu klagen, sind gescheitert. Es ist im Moment leider davon auszugehen, dass die NSA Zugriff auf die gesammelten Fingerabdrücke haben wird.


DAS MILIEU: Sind die Bürgerinnen und Bürger nicht selbst Schuld, wenn sie sich freiwillig in die Hände solcher Unternehmen begeben und damit das Risiko eingehen,  dass ihre persönlichen Daten ausgespäht werden?


Barenhoff: Nein, ich möchte nicht in einer Gesellschaft Leben, wo ich Angst haben muss, dass sich Firmen oder staatliche Institutionen an intimste Details meiner Persönlichkeit bedienen. Das Grundgesetz sieht schon den Schutz der persönlichen Daten durch das Brief- und Fernmeldegeheimnis vor. Die “Krypto-Parties”, welche die Piraten im Moment veranstalten, um aufzuklären, wie man technisch seine Daten schützen kann, sind leider viel mehr so etwas wie "digitale Notwehr". 


Wir müssen internationale Datenschutzstandards schaffen, um den Bürger vor Schnüffelei aus der privaten Wirtschaft und dem Staat zu schützen. Leider hilft das im Zusammenhang mit den Geheimdiensten wie der NSA oder dem britischen GCHQ wenig, da diese sich nicht an Datenschutzgesetze halten. Hier ist das Kind schon so weit in den Brunnen gefallen, dass wir etwas wie "internationale Abrüstungsabkommen für Überwachungsinfrastruktur" auf der Ebene der internationalen Beziehungen machen müssen. Wir befinden uns längst in einem kalten Überwachungskrieg.


DAS MILIEU: Würden Sie insofern der Überlegung zustimmen, dass nicht nur die Politik die Verantwortung für den massiven Datenklau trägt, sondern zumindest auch der Einzelne, der wohl wissend zu freizügig mit seinen persönlichen Informationen umgeht?


Barenhoff: Die Hauptschuld trägt die Politik, genauer gesagt, all die Bundesregierungen oder ihre Institutionen. Wie die eigenen Nachrichtendienste, die von den millionenfachen Grundrechtsverletzungen deutscher Staatsbürger entweder nichts wussten, also in der Spionageabwehr vollständig versagt haben, oder, was noch viel schlimmer wäre, es billigend in Kauf genommen haben. 


An diesem Fall, wie aber auch am NSU-Skandal zeigte sich, dass die parlamentarische Kontrolle der Regierung versagt hat. Ich erhoffe mir von einem Einzug der Piraten in den Bundestag, dass sie Verkrustungen im Parlament aufbrechen. Dass sich mit der Unterschrift unter einen Koalitionsvertrag gleich am Anfang die Hälfte der Mitglieder des Deutschen Bundestages aus ihrer Funktion "Kontrolle der Regierung" für die nächsten vier Jahre verabschieden, ist eines der strukturellen Probleme an dieser Stelle.


DAS MILIEU: Aktuell steht in den Medien das Thema Syrien hoch im Kurs. Außer Acht gelassen werden dabei oft die Aktivisten und Aktivistinnen, die mit ihren Blogs die Welt tagtäglich an ergreifenden Information bereichern. Stehen Sie und Ihre Partei, die netzpolitisch mehr Transparenz einfordern will, in Kontakt mit diesen Menschen?


Barenhoff: Ja, ich weiß von Mitgliedern, die auch schon bei den letzten politischen Krisen und Konflikten, wie in Nordafrika oder jüngst in der Türkei, auch direkt mit Leuten vor Ort in Verbindungen stehen. Gerade hier wird deutlich, wie wichtig es sein kann, anonym im Internet kommunizieren zu können, um Aufklärung und Transparenz herzustellen. Dies kann aber in Syrien schnell auch Gefängnis oder sogar Tod für Quellen und Informanten bedeuten.


DAS MILIEU: Wie steht Ihre Partei zur Syrien-Frage: Militäreinsatz oder diplomatische Lösung?


Barenhoff: Wir lehnen eine militärische Intervention als "Strafaktion" ab, da etwas Derartiges weder vom humanitärem Völkerrecht, noch von der UN Charta vorgesehen ist. Des Weiteren ist in keiner Form klar, wie eine militärische Intervention irgendetwas an der Lage der Zivilbevölkerung ändern würde. Vielmehr gehört genauso ein Fall vor den internationalen Strafgerichtshof.


DAS MILIEU: In Ihrem Wahlprogramm fordern Sie bedingungsloses Grundeinkommen. Wie hoch soll das sein?


Barenhoff: Für das bedingungslose Grundeinkommen gibt es verschiedene Konzepte, interessanterweise in fast allen anderen politischen Parteien. Die Piraten fordern, dass der Bundestag eine Enquete-Kommission einsetzt, die alle vorhandenen Konzepte aufarbeitet und durchrechnet. Dann soll es eine Volksabstimmung darüber geben, ob und wenn ja, welches Konzept umgesetzt werden soll. Allgemein, nach groben Überschlagsrechnungen, finde ich persönlich einen monatlichen Betrag von 1000 Euro pro Bürger als Kulturminimum gut handhabbar.


DAS MILIEU: Sie bezeichneten die Rentenpolitik der letzten Jahre als verfehlt. Was wollen Sie besser machen? Was ist der wesentlichste Unterschied der gegenwärtigen Rentenpolitik zur Ihrem Programm?


Barenhoff: Die Vorschläge im Rentenmodell der Piraten orientieren sich am Schweizer Rentenmodell, wo alle Bürger in denselben Topf einzahlen, unabhängig davon ob sie Angestellte, Beamten, Richter, Künstler oder Ärzte sind. Mittel- bis langfristig sollte aber auch die Rente in einem bedingungslosen Grundeinkommen aufgehen.


DAS MILIEU: Piraten sehen Ihre Partei als sozial-liberal. Wie nah stehen Sie damit der politischen Mitte und wer käme für eine Koalition in Frage?


Barenhoff: Ich kann mir kaum vorstellen, dass eine Bundestagsfraktion der Piraten einen Koalitionsvertrag unterschreiben würde. Sich politisch für 4 Jahre festzuschreiben, dass man allem zustimmt, was sich eine Bundesregierung so ausdenkt, halte ich für fatal; vor allem ohne zu wissen, was in den nächsten vier Jahren passiert. 


In NRW hatten wir zuletzt eine Minderheiten-Regierung, welche aus meiner Sicht sehr gut funktioniert hat. Bündnisse wurden überparteilich in konkreten Sachfragen geschlossen und das Parlament und die Regierung waren trotzdem handlungsfähig. So wurde in dieser Zeit z.B. positiv über die kontrovers debattierte Frage abgestimmt, die Studiengebühren abzuschaffen. 

 

Eine solche Konstellation wäre aus meiner Sicht, zumindest für die Piraten, das optimale "Biotop". Ich glaube aber auch, dass dies auf Bundesebene zwar ein Experiment, aber für unsere Demokratie ein gewaltiger Schritt in die richtige Richtung wäre.


DAS MILIEU: Glauben Sie, dass Ihre Partei jemals einen Bundespräsidenten oder Bundeskanzler, also einen Piratenkapitän stellen wird? Wie viel Pirat würde noch in ihm stecken, wenn er die höchste Ebene der Realpolitik betritt?


Barenhoff: Ich könnte mir schon vorstellen, dass die Piraten sowohl eine kompetente Bundesregierung als auch einen kompetenten Bundespräsidenten vorschlagen könnten. Was mir aber im Moment viel spannender zu sein scheint, betrifft das protokollarisch zweit-höchste Amt in unserem Staate, das des Bundestagspräsidenten. Sollten die Piraten im nächsten Bundestag eine Fraktion bilden, würden sie einen stellen. Da die Piraten innerparteilich kein Delegationssystem kennen, waren wir herausgefordert, unsere Parteitage bis zuletzt für 2000 Teilnehmer hoch zu skalieren. Dabei haben sich einige Versammlungsleitungs-Talente und Geschäftsordnungs-Nerds hervorgetan - Hier darf man gespannt sein (lacht).


DAS MILIEU: Hypothetische Frage: In einem Ihrer Wahlwerbespots fordern sie mehr Privatsphäre. „Ich bin kein Terrorist“, sagt dort ein Pirat. Ich habe einen arabischen Namen. Würde sich die Wahrscheinlichkeit, dass die NSA mich ausspioniert, mit einer Stimme für Ihre Partei wirklich verringern oder dient das nur der Stimmenjagd?


Barenhoff: Allein vermutlich noch nicht, aber wenn sie ggf. in Hamburg Elektrotechnik studiert haben, oder sich offen zum Islam irgendwo bekennen, stehen die Chancen vermutlich hoch. Der absurdeste Fall, der mir bisher bekannt ist, ist der eines US Marine-Soldaten muslimischen Glaubens, der für die US Streitkräfte im Irak und Afghanistan tätig war. Dieser Soldat ist dann auf der No-Fly List gelandet, weil er sich zum Islam bekannte und von der Army selbst eine Nahkampfausbildung bekommen hatte.


DAS MILIEU: Vielen Dank für das Interview, Herr Barenhoff!

           

Markus Barenhoff ist seit 2012 der stellvertretende Vorsitzende der Piratenpartei Deutschland. Außerdem ist er Freiberuflicher Hacker und A-Punk bei alios engineering. Der selbstständige Software-Entwickler schloss sich der Partei bereits kurz nach der Gründung im Jahre 2006 an und engagiert sich zu Themen der Netzpolitik. Zur Bundestagswahl 2013 ist er als Listenkandidat der Piratenpartei in Nordrhein-Westfalen aufgestellt. Barenhoff ist darüber hinaus Mitglied im Chaos Computer Club (CCC) und seit 2011 Vize-Vorsitzender des “12 Miles Ahead” Vereins, indem sich Aktivisten für die weltweite Förderung freier Kommunikationsstrukturen einsetzen.

 

Das Interview führte Walid Malik am 13. September 2013.

 

Foto: © Piratenpartei Deutschland

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