Rezension

Massenmigration als Waffe

01.06.2016 - Dr. Burkhard Luber

“Ein Flüchtling ist etwas Besonderes, zehn Flüchtlinge sind langweilig, hundert Flüchtlinge eine Bedrohung”. Ist die Flüchtlingskrise keine humanitäre Katastrophe sondern eine perfide politische Strategie? Zwar gibt es auch diese Facette in der gegenwärtigen politischen Debatte, dass es zum Beispiel dem russischen Präsidenten durchaus gelegen komme, die EU heillos zerstritten über der Ansicht zu sehen, wie mit den Millionen auf unseren Kontinent strömenden Flüchtlinge angemessen zu verfahren sei, aber so scharf wie Kelly M. Greenhill in ihrem Buch “Massenmigration als Waffe” hat das bisher noch niemand formuliert.

Nun ist das Erscheinen der amerikanischen Original-Ausgabe schon sechs Jahre her und damals konnte man noch schwerlich die internationale Flüchtlingsdimension absehen, so wie sie sich aus dem bald danach ausbrechenden Syrienkonflikt entwickeln würde. Trotzdem kommt die deutsche Übersetzung der Analyse von Greenhill zweifellos zu einem guten Zeitpunkt in der jetzigen Flüchtlingskrise und der deutschen Debatte darüber. Sein Anspruch ist drei Leerstellen in der Literatur über internationale Beziehungen zu füllen: über Normen, über Migration und über Nötigung.

Nachdem Greenhill eine statistischen Überblick über Migrationsbewegungen seit den 50er Jahres des vorherigen Jahrhunderts gegeben hat, vertieft die Autorin ihr Thema durch drei Fallstudien, unter denen im Folgenden auf den Kosovo-Konflikt näher eingegangen wird, der in der bundesrepublikanischen öffentlichen Debatte und in der deutschen Politik zweifellos ein höchst kontroverse Ereignis gewesen ist. Es ist Greenhills großes Verdienst hier eine Reihe gängiger Vorurteile und Falschinterpretationen in den deutschen Medien und Politik zu widerlegen, insbesondere die falsche Interpretation dass Milosevic den Kosovo durch eine gezielte Säuberungskampagne albanischfrei machen wollte. Stattdessen stellt die Autorin klar, dass Milosevic die Kosovo-Befreiungsarmee UCK besiegen wollte, die zu Beginn ihrer Überfälle gegen die jugoslawischen Sicherheitskräfte selbst von den USA noch als terroristische Organisation eingestuft wurde, Zug um Zug jedoch aus amerikanischen Opportunitätsgründen toleriert und zum Schluss von den USA sogar als Verbündete behandelt wurde. Als im Laufe des Krieges Milosevic im Zuge des vereinbarten Waffenstillstandes seine Truppen aus dem Kosovo zurückzog, stellte die UCK keinesfalls ihre militärischen Aktionen ein sondern verstärkte ihre Terrorakte. Erst mit dem Beginn der Nato-Bombardierungen setzte die ethnische Säuberung ein. Milosevic trieb Flüchtlingskontingente nach Belieben durch das jugoslawische Territorium, aber sein Flüchtlingspoker ging nicht auf. Die Nato-Allianz ließ sich durch seine Flüchtlingsmanöver nicht bluffen. Vom Willen durchdrungen unter keinen Umständen in diesem Krieg nachzugeben, nahm die Nato auch beträchtliche zivile Opfer bei ihren Bombenangriffen billigend in Kauf. Der allseitigen Gewinner des Krieges war die UCK, die sich mit Nato- und medialer Unterstützung in der Öffentlichkeit von einer Terrororganisation zu einem respektablen westlichen Bündnispartner mauserte. So blieb aus diesem Krieg die fatale Lektion zurück, dass es nur einer geschickten Propaganda bedürfe, um nach einer anfänglichen Phase von Provokationen gegen eine Zentralregierung sich danach, wenn die Regierungstruppen folgerichtig zurückschlagen, als Opfer zu präsentieren.

Aus diesem und zwei anderen Fallbeispielen leitet Greenhill am Ende ihres Buches folgende Empfehlungen ab, wie mit Massenmigrationen als Waffen umzugehen sei:

Man muss die “Spielregeln” in dieser Auseinandersetzung beherrschen.
Man muss die Macht der Migrationswaffe unterminieren.
Man muss versuchen, die Akteure in der Auseinandersetzung abzulösen

Alles in allem ein sehr materialreiches, klug geschriebenes Buch, das angesichts der immer größer werdenden internationalen Flüchtlingsproblematik sicherlich noch länger aktuell bleiben wird.

 

 


Kelly M.Greenhill: Massenmigration als Waffe. Vertreibung, Erpressung und Außenpolitik. Kopp Verlag. 429 Seiten. Januar 2016. 22.95 Euro. Januar 2016

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