Buchautor im Interview

Matthias Holland-Letz: "Stiftungen sind zutiefst undemokratisch"

15.11.2017 - Florian Schmidt

Gemeinhin wird angenommen, dass Stiftungen in der Not helfen und die Gesellschaft voranbringen. Sie fördern Wissenschaft, Bildung, Sport, Umweltschutz und Kultur. Aber tun sie das ohne Hintergedanken? Dieser Frage geht das Buch "Scheinheilige Stifter" nach. DAS MILIEU sprach mit dem Autor Matthias Holland-Letz über die Ordnung im Stiftungsdschungel, die Tricks der Superreichen und die Einflussnahme auf Mehrheitsmeinungen und politischen Entscheidungen durch Stiftungen.

DAS MILIEU: Bundespräsident Joachim Gauck sagte im September 2013: „Ich bin zutiefst dankbar, dass es Stiftungen gibt.“ Sind Sie es auch?

Matthias Holland-Letz: Nein. Stiftungen sind zutiefst undemokratisch. Außerdem stärken sie den Einfluss von jenen, die ohnehin zu den Mächtigen gehören: Von Reichen und Unternehmen. Deshalb sehe ich die Sache völlig anders als Herr Gauck. 

MILIEU: In Ihrem Buch „Scheinheilige Stifter“ sprechen Sie von einem sogenannten „Stiftungsdschungel“, der in Deutschland existieren soll. Gibt es in ihm eine höhere Ordnung oder herrscht das blanke Chaos?

Holland-Letz: Das blanke Chaos ist es nicht. Vielmehr ein buntes Durcheinander. Da gibt es kirchliche Stiftungen, parteinahe politische Stiftungen, Bürgerstiftungen, gewerkschaftsnahe Stiftungen, staatliche Stiftungen, große Stiftungen und kleine Stiftungen. Man muss schon sehr genau hinschauen, um zu erkennen, dass sich hier eine Gruppe tummelt, die besonders viel Einfluss hat. Es sind schwerreiche unternehmensnahe Stiftungen wie die Robert-Bosch-Stiftung, die Bertelsmann-Stiftung, die Krupp-Stiftung oder die Possehl-Stiftung.  

MILIEU:  Reiche Menschen haben viel Geld und können dadurch gesellschaftlich gesehen viel bewegen. Aber warum müssen sie Stiftungen gründen, um Einfluss nehmen zu können?

Holland-Letz: Eine Stiftung bringt viele Vorteile.  Das beginnt damit, dass der Begriff Stiftung positiv besetzt ist. Ich stifte, also tue ich etwas Gutes. Das sorgt schon mal für ein gutes Image. Wer stiftet, erweitert außerdem sein persönliches Netzwerk. Ein Beispiel: Da gibt es einen Unternehmer aus der Papierindustrie, der eine Stiftung zur Förderung von Bildung, Wissenschaft und Kultur gründet. Der lernt jetzt Menschen kennen, zu denen er bislang keinen Kontakt hatte: Menschen, die an der Schule, an der Uni und im Kunstbetrieb was zu sagen haben. Von denen wird unser Stifter hofiert, denn er vergibt ja Fördergelder über seine Stiftung. So entsteht Einfluss. Und da die Stiftung als gemeinnützig anerkannt ist, wird das Ganze noch erheblich vom Steuerzahler gefördert. Wer eine Million Euro in eine gemeinnützige Stiftung steckt, bekommt fast die Hälfte vom Fiskus zurück. Das sind fette Subventionen, finanziert von uns allen.   

MILIEU: Stiftungen fördern „bürgerliches Engagement“ und „Ehrenamt“.  Muss das alles zwangsläufig negativ sein? 

Holland-Letz: Grundsätzlich ist das natürlich eine gute Sache, wenn sich Frauen und Männer ehrenamtlich engagieren. Aber ich finde es fatal, wenn das Ehrenamt als Lückenbüßer dienen muss. Schauen Sie sich Pflege-Einrichtungen an, Krankenhäuser, öffentliche Schulen, Jugendzentren, Kultureinrichtungen. Da fehlt oft das Geld, um dringend benötigte Hauptamtliche einzustellen – und Ehrenamtler sollen es dann richten, für lau. Das hat damit zu tun, dass die Politik in den letzten 20 Jahren dafür gesorgt hat, dass Unternehmen und Wohlhabende weniger Steuer zahlen müssen. Denken Sie nur an die Senkung der Körperschaftssteuer im Jahr 2000, die den Kommunen Steuerausfälle in Milliardenhöhe beschert hat. Und im selben Jahr hat die Bundesregierung unter Gerhard Schröder begonnen, die Steuerprivilegien für Stiftungen massiv auszubauen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat diesen Trend fortgeführt. Also Sozialstaat runter, Förderung von Reichen und Großunternehmen rauf – und wo sich Lücken auftun, springt das Ehrenamt ein, mit freundlicher Unterstützung von Stiftungen. Das kann es doch nicht sein.

MILIEU: Sie sprechen in Bezug auf diese Stiftungen von zu vielen Privilegien, aber zu wenig Kontrolle. Wie drückt sich das genau aus?

Holland-Letz: Was kaum jemand weiß: Eine gemeinnützige Stiftung darf bis zu einem Drittel ihrer Einnahmen dafür verwenden, den Stifter und dessen Familie „in angemessener Weise“ zu unterhalten. So steht es im Gesetz. Das ist ein Sonderrecht ersten Ranges. Einem gemeinnützigen Verein, der Überschüsse an seine Mitglieder ausschüttet, dem würde das Finanzamt schnell die Gemeinnützigkeit entziehen. Und, wie gesagt, der Fiskus fördert Stiftungen massiv. Auch Spendenzahlungen an die Stiftung darf ich steuerlich geltend machen. Die Stiftung hat außerdem das Recht, alle Einnahmen, die sie mit ihrem Stiftungsvermögen erwirtschaftet, steuerfrei zu kassieren. Und allein der Stifter bestimmt, wer in den Genuss der Stiftungsförderung kommt – und wer leer ausgeht. Auch das ist ein Privileg. Und die Kontrollen…Es stimmt, Stiftungen müssen ihre Zahlen der Stiftungsaufsicht und dem Finanzamt vorlegen. Aber es gibt kein Gesetz, das die Stiftung zwingt, die Öffentlichkeit über ihr Vermögen, über ihre Einnahmen und Ausgaben zu informieren. Es gibt auch kein Gesetz, das der Stiftung vorschreibt, einen bestimmten Prozentsatz ihres Stiftungsvermögens pro Jahr zugunsten der Allgemeinheit auszugeben. Wie viel die Stiftung ausschüttet, darf sie selbst bestimmen. Verboten ist nur, gar nichts auszuzahlen. Das ist in den USA anders geregelt. Hier muss eine gemeinnützige Stiftung jedes Jahr fünf Prozent ihres Stiftungskapitals in die Hand nehmen und in gemeinnützige Projekte stecken. 

MILIEU: Können Sie Beispiele nennen, wann und wo Stiftungen es geschafft haben, Mehrheitsmeinungen oder bedeutende politische Entscheidungen zu beeinflussen?

Holland-Letz: Oh, da gibt es einiges. Der arbeitgebernahe „Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft“ und die Bertelsmann-Stiftung spielten eine große Rolle, als es ab den späten 1990er Jahren darum ging, die Hochschulen zu deregulieren. Also den Hochschulen mehr Autonomie zu geben und Vertretern der Wirtschaft mehr Einfluss zu ermöglichen. Die Deutsche-Telekom-Stiftung oder die Vodafone-Stiftung setzen sich heute dafür ein, dass der Staat digitale Bildung und das Internet in Schulen stärkt. Das zielt auf ein Geschäftsfeld, auf dem die Deutsche Telekom und Vodafone auch in Zukunft viel Geld verdienen wollen. Denn die Schülerinnen und Schüler von heute sind die Kunden von morgen. Stiftungen sind untereinander gut vernetzt. Gemeinsam haben sie eine Schlagkraft, die im Politikbetrieb der Hauptstadt Berlin oder in den Landeshauptstädten Wirkung erzielt.

MILIEU: In der politischen Kabarettsendung „Die Anstalt“ vom 7. November 2017 wurde ein Zusammenhang zwischen dem Erstarken einiger Stiftungen mit zunehmenden Forderungen nach Privatisierungen, Steuersenkungen und Sozialstaatsabbau hergestellt. Trifft das Ihrer Meinung nach zu?

Holland-Letz: Ja, das ist richtig. „Die Anstalt“ hat dies am Beispiel der Stiftung Familienunternehmen erklärt. Diese Stiftung unterhält ein „Haus des Familienunternehmens“ in Berlin, nur wenige Meter vom Brandenburger Tor entfernt. Vor allem von dort aus betreibt sie, ich nenne es mal so, Lobbyarbeit für das Unternehmerlager. So fordert sie seit langem, dass die Erbschaftsteuer nicht erhöht werden darf. Dazu organisiert sie Veranstaltungen, gibt Studien in Auftrag und nutzt ihre Kontakte in die Berliner Politik. Wie es aussieht, mit Erfolg. 

MILIEU: Wenn eine Stiftung dermaßen egoistisch auftritt, sogar  Wissenschaftler und Studien finanziert, die deren eigenes Interesse vertreten: Wie kann es sein, dass der Staat diese Stiftung als gemeinnützig anerkennt?  

Holland-Letz: Was als gemeinnützig anerkannt wird, das steht in einem Bundesgesetz, in der so genannten Abgabenordnung. Und deren Regelungen fallen sehr großzügig aus. Das weiß die Stiftung Familienunternehmen natürlich zu nutzen. Sie schreibt in ihrer Satzung, dass sie sich für Bildung und den wissenschaftlichen Erfahrungsaustausch auf dem Gebiet des Familienunternehmertums einsetzt. Bildung und Wissenschaft zu fördern, gilt per Gesetz als gemeinnützig – und schon gibt das Finanzamt grünes Licht und die Stiftung kann alle Steuervorteile nutzen. Grundsätzlich kann man sagen: Unsere Gesetze sind überaus stiftungsfreundlich – und das ist politisch gewollt. 

MILIEU: Sie zitieren Anwälte in Deutschland, die das Gründen von Stiftungen öffentlich als legale Form der Steuererleichterung für Unternehmen propagieren. Welche Vorkehrungen trifft das deutsche Rechtssystem, um den Staat vor profitorientierten Unternehmen unter dem Deckmantel von Stiftungen zu schützen? 

Holland-Letz: Solche Vorkehrungen sehe ich nicht. Stiftungsleute sagen, das sei doch gut, wenn sich immer mehr Unternehmen im Besitz einer Stiftung befinden. Dann fließen die Gewinne des Unternehmens an die Stiftung. Und die Existenz des Unternehmens ist langfristig gesichert – denn es gibt weder Erben, die sich in die Haare kriegen können, noch sind feindliche Übernahmen durch fremde Investoren möglich. Doch da widersprechen sogar liberale und konservative Fachleute. Sie kritisieren, dass sich stiftungsgeführte Unternehmen abschotten, nichts dürfe sich ändern, kein Investor dürfe rein. Das sei nicht marktkonform. Außerdem erlaube das Gesetz nicht, dass eine gemeinnützige Stiftung das Ziel verfolgt, den Fortbestand eines privaten Unternehmens zu sichern. Das sei nicht Aufgabe einer Stiftung, die der Allgemeinheit dienen soll. Aber soweit ich weiß, hat sich noch kein Gericht mit diesen Stiftungen beschäftigt. Mein Eindruck ist, dass die Stiftungsaufsicht hier wegschaut und gar nichts verändern will.

MILIEU: Sie haben die Bertelsmann-Stiftung jahrelang intensiv durchleuchtet. Für wie gefährlich halten Sie deren Aktivitäten für die Demokratie?

Holland-Letz: Die Bertelsmann-Stiftung besitzt ein Milliardenvermögen und hat das erklärte Ziel, gesellschaftliche Veränderungen durchzusetzen. Daraus macht sie kein Hehl. Hinzu kommt, dass die Stiftung mit dem Bertelsmann-Konzern verbandelt ist, einem der größten Medienunternehmen der Welt. Bertelsmann besitzt TV-Sender, Online-Medien, Zeitungen, Zeitschriften, Buchverlage, und das in vielen Ländern. Das führt zu einer Machtkonzentration, der sich kaum ein Politiker entgegenstellen kann. So was ist nie gut für eine Demokratie.

MILIEU: Frauen und Männer, die in der Bertelsmann-Stiftung Erfahrungen gesammelt haben, sagen Sie, sind in der Stiftungsszene heiß begehrt. Woran liegt das? 

Holland-Letz: Die Bertelsmann-Stiftung arbeitet hochprofessionell. Außerdem hat sie bereits in den 1990er Jahren begonnen, mit Studien und Tagungen Lobbyarbeit für den Ausbau des Stiftungswesens zu machen. Wer hier mitgearbeitet hat, besitzt viel Knowhow und dürfte manches Insiderwissen haben. Hinzu kommen vielfältige Kontakte zu anderen Stiftungen. Das macht diese Frauen und Männer für andere Stiftungen offenbar höchst interessant.  

MILIEU: Gewerkschaften, Globalisierungskritiker, Kulturschaffende und Kommunen kritisierten das Freihandelsabkommen TTIP. Warum hat  sich die Bertelsmann-Stiftung so sehr für TTIP eingesetzt?

Holland-Letz: Ich vermute, dass die Bertelsmann-Stiftung hier die Interessen des Bertelsmann-Konzerns im Auge hatte. Der Medienkonzern Bertelsmann macht seine Geschäfte vor allem in Europa und in den USA. Er hätte davon profitiert, wenn das TTIP-Abkommen so genannte nicht-tarifäre Handelshemmnisse beseitigt hätte. Dann wäre womöglich der Datenschutz gelockert worden. Und für Medienunternehmen ist es wichtig, Datenspuren, die die Kunden hinterlassen, auswerten zu können. Zum Glück ist TTIP vorerst vom Tisch.  

MILIEU: Was denken Sie, inwiefern die Mitarbeiter der Stiftungen selbst - angesichts ihres vielfältigen Angebots - wissen für welche höhere Agenda sie arbeiten?

Holland-Letz: Nach meiner Erfahrung wissen viele es nicht – oder sie wollen es nicht wissen. Wir dürfen nicht vergessen, dass viele Stiftungsprojekte für sich gesehen ja der Gesellschaft einen Nutzen bringen. Für ein solches Projekt zu arbeiten, bereitet vielen Menschen Freude und Genugtuung.  Zu erkennen, dass der Stiftungsboom von Politikern geschaffen wurde, die den neoliberalen Umbau von Staat und Gesellschaft betreiben, das würde die Motivation vieler Stiftungsmitarbeiter doch sehr schmälern.  

MILIEU: Es gibt ausländisch gesteuerte Stiftungen, besonders aus den USA, die auf die deutsche Politik und Gesellschaft Einfluss ausüben. Ist das eine Gefahr für unsere Souveränität?

Holland-Letz: Es ist richtig, große US-Stiftungen wie die Gates-Foundation, die Ford-Foundation, die Rockefeller-Foundation oder das Stiftungsnetzwerk von George Soros arbeiten in vielen Ländern, auch in Deutschland waren sie tätig oder sind es heute noch. Damit  üben Menschen Einfluss aus, die von niemandem gewählt wurden. Und das muss man kritisch sehen. Ich würde aber nicht so weit gehen zu sagen, dass US-Stiftungen unsere Souveränität gefährden.  

MILIEU: Der Einfluss von Stiftungen wächst am öffentlichen Radar vorbei seit Jahren stetig an. Warum bekommt dieses Thema so wenig Aufmerksamkeit?

Holland-Letz: Wenn Medien berichten, geht es meistens um einzelne Stiftungsprojekte. Dazu werden die Glücklichen präsentiert, die in den Genuss von Fördermitteln kommen. Das schafft schöne Stories und liefert prima Bilder. Tiefer zu bohren, mal zu fragen, wer die Stiftung lenkt oder welche Steuervorteile Stiftungen genießen, das erfordert Recherche und kostet Arbeitszeit. Und das glauben viele Medien, nicht mehr leisten zu können. Ein großer Missstand, finde ich.    

MILIEU: Sie mussten einen eigenen Verlag gründen, damit Ihr Buch erscheinen konnte. Warum hat kein Verlag zugegriffen?

Holland-Letz: Die Sachbuch-Sparte eines renommierten Verlags hätte das Buch gerne herausgebracht. Aber dann konnte sich der Sachbuch-Leiter im Verlag nicht durchsetzen. Es hieß, ein solches Buch würde nicht genügend Käufer finden. Aber Fakt ist auch, dass viele Verlage mit Stiftungen zusammenarbeiten – oder gar eigene Stiftungen haben. Da passt ein stiftungskritisches Buch natürlich nicht ins Sortiment.

MILIEU: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Holland-Letz!

 

Matthias Holland-Letz: Scheinheilige Stifter. Wie Reiche und Unternehmen durch gemeinnützige Stifter noch mächtiger werden, Köln 2015, Seite 114.

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