Journalisten im Interview

Meike Büttner: "Ich zweifle an unserer Gesellschaft"

15.01.2015 - Anna Alvi & Alia Hübsch-Chaudhry

Die Masse scheint sich einig: das Attentat in Paris, das vor wenigen Tagen von islamistischen Terroristen begangen wurde, sei ein Anschlag auf die Meinungsfreiheit und das Wertefundament unserer Gesellschaft gewesen. Doch eine Journalistin weigert sich dagegen. DAS MILIEU sprach mit Meike Büttner über ihre Sicht der Dinge, über Satire als Form von visueller Gewalt und was unsere Gesellschaft tatsächlich in Gefahr bringt.

DAS MILIEU: Es dauerte keine lange Zeit nach dem Attentat in Paris, als jeder plötzlich „Charlie Hebdo“ sein wollte und sich mit dem Magazin identifizierte. Unzählige Tweets wurden gesendet und riesige Massenkundgebungen mit dem Spruch „Je suis Charlie“ veranstaltet. Fanden Sie das sehr merkwürdig? Und wie haben Sie die Situation erlebt? Schließlich haben Sie in derselben Zeit einen Artikel mit einem dem völlig entgegenstehenden Credo „Ich bin nicht Charlie Hebdo“ veröffentlicht.

Büttner: Mir fiel zuallererst eben diese Massenidentifikation auf. Und das ist etwas, wovor ich mich im Grunde immer grusele, weil ich das hauptsächlich aus totalitären Systemen kenne und mich damit einfach grundsätzlich nicht anfreunden  kann. Was meine persönliche Identifikation damit angeht, ist sie natürlich genau so unwichtig, wie die Identifikation derer die das tun. Aber ich kann einfach nicht so gut in einem Massengeschrei mit einstimmen.

DAS MILIEU: Dort schreiben Sie auch: „Die Entindividualisierung ist immer auch ein Mittel des Fundamentalismus.“ Gehört zur Identitätsstiftung nicht auch die soziale Anerkennung, das gesellschaftliche Miteinander? Was ist mit dem verbindenden, einheitsstiftendem Charakter des Kollektivs, der Masse?


Büttner: Natürlich, unbedingt! Aber Solidarität bedeutet für mich, dass ich mich mit Werten identifizieren kann, die auch nicht meine sind und ich mich dann einheitlich auf eine Meinung einigen muss. Solidarität bedeutet, dass auch wenn ich anderer Meinung bin, ich trotzdem meine Verbundenheit zu diesen Menschen ganz menschlich zeigen kann. Was ich gesagt habe, hat so einen entsetzlichen Shitstorm ausgelöst, dass hier ja offenbar dieses solidarische Prinzip gar nicht enthalten ist.

DAS MILIEU: Wie sind Sie mit den Reaktionen zu Ihrem Artikel, wie dem Shitstorm, den Sie soeben erwähnten, zurecht gekommen? Welche Lektion über unsere Gesellschaft lernen Sie daraus?

Büttner: Das ist auch nicht mein erster Shitstorm gewesen. Ich sag mal so, das tut immer weniger weh von Mal zu Mal. Aber das geht natürlich nicht ganz weg, denn man kann sich an sprachliche Gewalt nicht wirklich gewöhnen. Am Anfang, bei meinem aller ersten Shitstorm, da war ich noch recht eingeschüchtert. Inzwischen zweifle ich nicht mehr sofort an mir selbst, ich zweifle an unserer Gesellschaft, weil ich nicht verstehen kann, welche Art von Meinungsäußerung viele Menschen für legitim halten. Ich finde, dass es für unsere Gesellschaft ein sehr sehr trauriges Zeichen ist. Das ist eben doch sehr unsolidarisch und da sieht man die geringe Bereitschaft, sich auch auf Dinge einzulassen, die einem selbst nicht passen.


DAS MILIEU: Ist das Attentat in Paris ein Angriff auf die Meinungsfreiheit gewesen oder auf demokratische Werte?


Büttner: Ich bin gar nicht bereit dazu, das irgendwie zu kommentieren, weil wir das einfach nicht wissen. Die vermeintlichen Täter sind inzwischen tot und es gab nie ein Beweisverfahren. Die Geheimdienste wissen dann angeblich im Nachhinein  sofort, mit wem sie es zu tun hatten. Da fragt man sich dann vielleicht auch, wieso dann vorher nie irgendetwas anderes passiert ist, warum man da nicht besser aufgepasst hat. Ich möchte mich da wirklich nicht herausnehmen, dass ich die Wahrheit kennen würde. Die kennen wir ja nun mal alle nicht. Solange nichts bewiesen wurde, durch entsprechende juristische Verfahren, können wir nicht sagen, dass es ein Angriff auf die Meinungsfreiheit war.


DAS MILIEU:  Fakt ist, dass der islamistische Terror in Europa als stärkste  Bedrohung wahrgenommen wird…

Büttner: Diese Tat die da verübt wurde, wird behandelt als größter islamistischer Anschlag im 21.Jahrhundert in Europa. Dabei wird natürlich Breivik völlig ausgeklammert, der als christlicher Fundamentalist 77 Menschen getötet hat. Das ist so viel mehr und es gab ja auch zu dieser Zeit kein: „Ich bin Norwegen!“ oder irgendein Status dieser Art. Das scheint mir sehr verdrängt worden zu sein.


DAS MILIEU: Sie haben ja auch kritisiert, dass einerseits dieser Anschlag in Paris so viel Aufmerksamkeit erhält und andererseits in Nigeria 2000 Menschen durch einen Anschlag von Boko Haram getötet wurden, was aber plötzlich kaum jemanden interessierte.


Büttner: Ja, genau. Da liegt nämlich eigentlich die tatsächliche Bedrohung. Denn wer jetzt im Moment den  islamistischen Terror so grausam findet, der ist eigentlich ein Heuchler, wenn er nicht dafür kämpft, alle Grenzen zu öffnen und beispielsweise auch die Nigerianer oder die Syrer bei uns aufzunehmen und sie vor diesem Terror zu beschützen. Aber es scheint die Menschen nur dann zu berühren, wenn sie den Platz schon mal gesehen haben. Weil sie dann um ihr eigenes Leben fürchten; was ich auch ein bisschen arrogant finde, dann den Tod der Menschen zu okkupieren. Zum Glück kennen ja die wenigsten von uns die Frequenz des Herzschlages im Angesicht des Todes. In so einem Fall ist es, glaube ich, eher persönliche Angst gewesen, als tatsächliche Solidarität mit Opfern von Terror.


DAS MILIEU: Es heißt ja auch oft, weil das Attentat in Paris stattfand, sei es quasi vor unserer Haustür geschehen und damit umso erschreckender. Als ob das hinsichtlich der Opfer des Terrors und der Anzahl der Toten einen Unterschied machen würde, wo das Attentat stattfand…


Büttner: Ja, richtig. Das sehe ich genauso. Es macht eben überhaupt keinen Unterschied. Aber wir mit unserer eurozentrischen Arroganz finden uns selbst offenbar wichtiger als so viele Menschen die täglich auf der Welt durch Terror sterben. Das ist alles in meinen Augen kein Zeichen echter Toleranz, sondern eher für Angst. Für Angst, die auch verstärkt wird, durch Politik und Medien in solchen Momenten.

DAS MILIEU: Terroristen nutzen ja gezielt Gewalt als Mittel, um das Weltgeschehen zu erschüttern und die Gesellschaft zu spalten. Die steigende Islamfeindlichkeit und Ausländerfeindlichkeit in Europa bestätigen dies. Auch Karikaturen provozieren und verletzen religiöse Gefühle von Menschen. Ist Satire eine Form von visueller Gewalt? Produziert sie Hass?

Büttner: Es wird ja ständig Tucholsky zitiert, "Satire darf alles". Tucholsky hat aber auch an anderer Stelle in einem Brief an Ossietzky geschrieben: "Satire hat auch Grenzen  nach unten". Und solange Satire nicht Personen, sondern Positionen angreift, und das eben immer von unten nach oben tut, finde ich durchaus, dass das unter Kunstfreiheit fallen darf und dass das eine legitime Form des Ausdrucks ist. Die Grenze ist aber ganz klar nach unten. Es kann nicht sein, dass eine Redaktion aus lauter weißen Westeuropäern Minderheiten im eigenen Land verunglimpft. Solange jedoch Minderheiten Mehrheiten oder Machthabende damit kritisieren, finde ich das völlig legitim. Aber umgekehrt kann es einfach nicht sein.

DAS MILIEU: Wie viel Macht hat Satire, wenn sie eingesetzt wird um Menschen zu verletzen?

Büttner: Viele! Vor allem, weil es sich so wahnsinnig schnell reproduziert. Und das ist ja auch eine ganz einfache Bildsprache, die versteht jeder. Da braucht man nicht lange darüber nachdenken und da braucht man kein besonderes Reflexionsvermögen oder Intellekt dazu. Das ist ein Zug, auf den man so schnell aufspringen kann, ohne länger darüber nachzudenken. Insofern hat das schon ein gewaltiges Potenzial, einen Mob zu erschaffen.

DAS MILIEU: Sie zitieren auch, Tim Wolff, Chefredakteur der „Titanic“, nach dem Komik ein Mittel ist um Distanz zu bedrückenden Ereignissen zu schaffen. Worin liegt das befreiende Element der Komik, generell der Kunst?

Büttner: Das ist ja auch ein Gefühl, das wir denke ich, alle kennen und im privaten Umfeld und die meisten Menschen, hoffe ich doch, auch so pflegen. Dinge die ich nicht ändern kann, über die muss ich es irgendwie schaffen lachen zu können. Es gab zum Beispiel eine Karikatur, in den letzten Tagen, ich weiß leider nicht, wer die gezeichnet hat. Darin sieht man eine arabische Stadt, die unter Beschuss ist. Man sieht ein Flugzeug, das eine Bombe abwirft und im Vordergrund sitzt ein Pärchen am Tisch. Die Frau trägt ein Kopftuch und sagt zu ihrem Mann: „Es ist wirklich furchtbar, was die armen Franzosen für eine Bedrohung ihrer Existenz erleben müssen.“ Das war beispielsweise ein Moment in den letzten Tagen, wo ich auch lachen konnte. Das befreit mich dann auch in einer gewissen Weise. Das trifft nämlich dann den Kern dessen, was ich eben sagte: Diejenigen, die tatsächlich unterdrückt werden, werden hier in den Fokus gerückt.

DAS MILIEU: Reden ist Silber, Schweigen Gold: Wann trifft diese Weisheit am ehesten zu?

Büttner: Im Grunde genommen sollen ja alle Äußerungen von publizistischer Seite her helfen dabei aufzuklären und an Machtverhältnissen zu rütteln. Solange man dazu die Sprache, das Werkzeug, die Möglichkeit hat, soll man sich bitte äußern. Mein Schreiben hat sich in den letzten Jahren auch sehr verändert. Ich habe früher viel polemischer geschrieben, als ich das heute tue. Und deshalb habe ich mich über die Reaktion auf  meine Kolumne ziemlich gewundert. Ich fand sie ziemlich harmlos, schon eher langweilig und war daher völlig überrascht, wie die Reaktionen ausfielen. Schweigen müssen wir vielleicht gar nicht, aber vielleicht könnten einige von uns lernen, ihre Sprache ein bisschen friedlicher zu gestalten und manche Witze verkneifen wir uns ja auch im Privaten, weil wir wissen, dass sie Gefühle verletzen. Da gibt es ja diesen Spruch: Ich verliere lieber einen guten Freund, als eine schlechte Pointe. So sollte es halt nicht sein!

DAS MILIEU: Wenn Sie denn die Möglichkeit hätten den Politikern etwas in diesem Zusammenhang zu raten, was wäre es?

Büttner: Da gibt es natürlich vieles. Wenn wir wirklich etwas gegen Terror tun wollen, dann müssen wir die Menschen davor schützen, und dass überall auf der Welt und nicht nur in Europa. Es ist blanker Hohn, wenn wir von der Kunstfreiheit und der Freiheit der Presse sprechen und im nächsten Atemzug, dann über mehr Überwachung nachdenken. Wenn wir eine echte Freiheit wollen, dann lässt die sich sicher nicht mit solchen Maßnahmen herstellen.

DAS MILIEU: Vielen Dank für das Gespräch, Frau Büttner!

Autoren benötigen Worte.
Worte benötigen Zeit

Unterstützen