Sprachkolumne

Menschen gegen Tiere: Wie unsere Sprache unseren Umgang mit nichtmenschlichen Tieren rechtfertigt

01.06.2021 - Daniela Ribitsch

Wie, liebe LeserInnen, würden Sie die Beziehung zwischen Menschen und nichtmenschlichen Tieren beschreiben? Ich würde sie als paradox bezeichnen.

Sie fragen sich jetzt wahrscheinlich, wie ich auf eine solche Charakterisierung komme. Schauen wir uns dazu ein paar der sprachlichen Kategorien an, in die wir nichtmenschliche Tiere, je nach Verwendungszweck in unserer menschlichen Gesellschaft, stecken:

•   Haustiere lieben wir über alles und behandeln sie sogar wie unsere eignen Kinder oder unsere besten FreundInnen.

•   Emotionale Unterstützungstiere helfen Menschen mit einer psychischen Erkrankung, sich emotional besser zu fühlen, und werden, ebenso wie Haustiere, heiß geliebt.

•   Therapietiere helfen Menschen mit motorischen, kognitiven und sozial-emotionalen Einschränkungen und werden ebenfalls heiß geliebt.

•   Geflügel bezeichnet eine Vielzahl an Vögeln, die wir ihres Fleisches, ihrer Eier und ihrer Federn wegen züchten.

•   Mastrinder sind Färsen* und Bullen, die wir so schnell wie möglich mästen und zu Fleisch und Leder verarbeiten.

•  Versuchstiere existieren, damit wir in der biologischen, medizinischen und kosmetischen Forschung an ihnen herumexperimentieren können.

Während wir nichtmenschlichen Tieren, die in die Kategorie Haustiere, emotionale Unterstützungstiere oder Therapietiere fallen, Namen geben und sie wie Familienmitglieder behandeln, bleiben jene, die in die Kategorie Geflügel, Mastrinder oder Versuchstiere fallen, Teil einer riesigen namenlosen Masse und erfahren Leid und Tod statt Liebe. - Wenn das nicht paradox ist, was dann?

Doch genau diese sprachlichen Kategorien ermöglichen es uns, nichtmenschliche Tiere auf der einen Seite zu lieben und sie auf der anderen Seite zu quälen und zu töten. Welche nichtmenschlichen Tiere in welcher Kategorie landen ist allerdings unsere willkürliche Entscheidung. Hunde beispielsweise sind in unserer Kultur geliebte FreundInnen, während ihr Fleisch in einigen asiatischen Ländern als Delikatesse gilt. Wenn Sie bei diesem Gedanken erschaudern, fragen Sie sich doch, aus welchem Grund unsere Kultur Kälber, Puten, Hühner und Schweine als Essen klassifiziert. Denn letzten Endes ist unsere Essenswahl genauso willkürlich wie die Entscheidung, Hunde zu verspeisen.

 
Tierstereotype

Doch nicht nur teilen wir nichtmenschliche Tiere in sprachliche Kategorien ein, sondern wir sprechen ihnen auch bestimmte Eigenschaften zu, die sich in unserem alltäglichen Sprachgebrauch widerspiegeln. Welche Eigenschaften kommen Ihnen beispielsweise bei Eulen, Schlangen und Haien in den Sinn? Normalerweise gelten Eulen als weise, Schlangen als böse und hinterlistig und Haie als blutrünstige Killermaschinen. Was fällt Ihnen zu Fledermäusen, Delfinen, Pferden und Wölfen ein? Fledermäuse werden typischerweise als blutsaugende Kreaturen dargestellt, Delfine als spielfreudige, dem Menschen wohlgesinnte Geschöpfe, Pferde als tapfer und treu und Wölfe als edle und zugleich bestialische Rudeltiere.

Diese und viele andere solcher Charakteristika sind eigentlich Stereotype, also starre, stark verallgemeinerte Vorstellungen, die wir bestimmten Spezies zuschreiben. Oder anders gesagt: Wir nehmen an, dass ein bestimmtes Merkmal auf jedes einzelne Wesen innerhalb einer Spezies zutrifft. Während es sich bei einigen Stereotypen um Übertreibungen gewisser Merkmale oder Verhaltensweisen handelt, haben andere Stereotype keinerlei Basis.

Da Tierstereotype tief mit unserer Kultur verknüpft sind, ist es nur natürlich, dass sie auch in unserer Sprache nur allzu präsent sind. Zum Beispiel:

•   mutig wie ein Löwe

•   fleißig wie eine Biene

•   schlau wie ein Fuchs

•   stark wie eine Ochse

Wir bedienen uns dieser Vergleiche, um andere Menschen zu loben oder um ihre positiven Eigenschaften zu beschreiben. Die meisten Vergleiche mit nichtmenschlichen Tieren rufen allerdings sehr negative Bilder hervor. Hier ein paar Beispiele:

•   schwarzes Schaf der Familie

•   blind wie eine Fledermaus

•   wie ein Elefant im Porzellanladen

•   dreckig wie ein Schwein

•   wie ein Schwein fressen

•   behaart wie ein Gorilla

•   lahme Ente

•   komischer Vogel

•   langsam wie eine Schnecke

•   stur wie ein Esel

Obwohl es richtig schmerzhaft sein kann, als „dreckiges Schwein“ oder „behaarter Gorilla“ bezeichnet zu werden, entweichen solche Vergleiche oftmals viel zu leicht unseren Lippen. Beobachten Sie sich selbst, liebe LeserInnen, und Sie werden überrascht sein, wie oft Sie solche Vergleiche tatsächlich anstellen. Und das nächste Mal, wenn Ihnen „lahme Ente“ oder „sturer Esel“ in den Sinn kommt, versuchen Sie doch, diese Vergleiche durch eine sanfte und zugleich tierfreie Alternative zu ersetzen. Fällt Ihnen eine ein? Aus eigener Erfahrung kann ich Ihnen sagen, dass das - leider - alles andere als leicht ist. Sie werden überrascht sein!

Menschliche Tiere

Wir haben also gesehen, wie sehr unsere Haltung gegenüber nichtmenschlichen Tieren in unserer Sprache verankert ist. Daher ist es auch kein Zufall, wie strikt wir mit den beiden Wörtern Menschen und Tieren zwischen uns und denen unterscheiden. Denn ganz ehrlich: Würde es Sie sehr verletzen, wenn Sie als Tier bezeichnet werden würden? Höchstwahrscheinlich ist Ihre Antwort auf diese Frage ein klares „Ja!“, da ja das Wort Tier, wie wir eben besprochen haben, äußerst negative Bilder hervorrufen kann. Wer von uns will schließlich schon zugeben, so dumm wie ein Tier zu sein, sich wie ein Tier zu benehmen oder wie ein Tier die angeborenen Triebe nicht unter Kontrolle zu haben?

Die in unserem Sprachgebrauch so strikte Unterscheidung zwischen Menschen und Tieren lässt uns nur allzu gerne vergessen, dass wir biologisch gesehen selbst Tiere sind, genau genommen Säugetiere. Als solche haben wir mit anderen Säugetieren etwa das Stillen unserer Babys, die Sauerstoffaufnahme durch die Lunge, die konstant warme Körpertemperatur und die Körperbehaarung gemein. Und wie andere Tiere werden auch wir von Instinkten und Trieben wie Angst, Paarungsverhalten, Sex und Überlebenstrieb geleitet. Doch anstatt mit den Bezeichnungen menschliche Tiere und nichtmenschliche Tiere auf unsere Mitgliedschaft im Tierreich zu verweisen, verwenden wir die beiden Wörter Menschen und Tiere, um eine klare Grenze zwischen uns und denen zu ziehen.

Ehrlicherweise müssen wir jedoch zugeben, dass wir nicht viel von unseren Tiergenossen wissen. Freilich studieren wir sie, aber wir sprechen ihre Sprachen nicht und tun uns überhaupt schwer damit, sie zu verstehen. Das bedeutet allerdings nicht, dass ihr Leben weniger wert ist. Anstatt immerzu Beweisen für unsere Einzigartigkeit als Menschen nachzujagen, sollten wir anerkennen, dass sie  wie wir  Gefühle und Emotionen haben und sowohl Freude als auch Leid empfinden können. In unserem täglichen Sprachgebrauch sollten wir daher nicht nur aufmerksam die von uns geschaffenen sprachlichen Kategorien (Haustiere, Masttiere etc.) und damit unseren Umgang mit den darin eingeteilten nichtmenschlichen Tieren hinterfragen, sondern wir sollten auch von Tierstereotypen in der Sprache und unserer Kultur ablassen und zudem die Bezeichnungen Menschen und Tiere gegen die Begriffe menschliche Tiere und nichtmenschliche Tiere austauschen - als dringend notwendige Erinnerung daran, dass wir Menschen trotz unserer „zivilisierten“ Lebensweise immer noch viele Gemeinsamkeiten mit unseren Verwandten im Tierreich teilen.

 

*Bis zur Geburt ihres ersten Kalbes wird eine Kuh Färse genannt.

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