Ernährungswissenschaftlerin im Interview

Miriam Eisenhauer: "Wir wollen verführt werden"

01.04.2015 - Sumbal Jawid

Ein Überangebot an modifizierten Nahrungsmitteln dazu immer mehr fettleibigere Menschen in Deutschland. Und wieso glauben wir, dass gesunde Ernährung teuer ist? DAS MILIEU sprach mit Miriam Eisenhauer, Autorin des Bestsellers “Prinzip GESund“ und Ernährungswissenschaftlerin darüber, warum gesunde Ernährung nicht teuer sein muss. Was die Gründe für emotionales Essen bei Jugendlichen sind und warum wir unbedingt aufhören müssen Kalorien zu zählen.

DAS MILIEU: Was sind die Hauptursachen von Übergewicht bei Jugendlichen?

 

Eisenhauer: Hauptursachen sind natürlich eine falsche, zu zuckerhaltige Ernährung und dass wir zu oft snacken. Oftmals handelt es sich auch um einen Bewegungsmangel. Die Ernährung spielt aber die größere Rolle.

 

DAS MILIEU: Was ist der am weitesten verbreitete Irrglaube zum Thema gesunde Ernährung in unserer Gesellschaft?

 

Eisenhauer: Der am weitesten verbreitete Irrglaube ist, dass man immer noch an Kalorien glaubt. Kalorie ist die Messeinheit für Wärmeabstrahlung, also für Verbrennung. Bei uns im Körper wird nichts verbrannt, es geht um Botenstoffe. Ein bestimmter Botenstoff, das Insulin, wird von der Bauchspeicheldrüse produziert. Er ist ein aufbauender, fetteinlagernder Stoff. Das bedeutet, dass wir Fett einlagern, wenn wir zu zuckerhaltig und zu oft essen. Und da kann es auch mal sein, dass wir Fett anbauen, obwohl wir beim Kalorienwert unter unserem Normalwert liegen. Wir ernähren uns dann einfach falsch.

 

DAS MILIEU: Woher kommt die steigende Zahl an Übergewichtigen?

 

Eisenhauer: Von der falschen Ernährung. Das Essen hat zu wenige Ballaststoffe, gleichzeitig ist es aber sehr zuckerhaltig. Wir essen zu häufig, oftmals keine Mahlzeiten, sondern Snacks, Bonbons und trinken zwischendurch Säfte. Ein Irrglaube ist, dass wir denken Obst wäre so gesund, dass man es maßlos essen und Smoothies ständig trinken könnte. Dazu kommt halt noch das falsche Wissen über die Kalorien. Das alles sorgt dann dafür, dass der Mensch übergewichtig wird. Gerade bei Jugendlichen sind die sogenannten „Diäten“ noch tragischer, also Radikal-Kuren, die dann am Ende zum Jo-Jo-Effekt führen. Viele meiner Klienten haben durch Diäten zugenommen.

 

DAS MILIEU: Ist Übergewicht bei Jugendlichen auch eine Reaktion auf andere Probleme, z.B. problematische, gesellschaftliche oder familiäre Strukturen?

 

Eisenhauer: Ja, absolut! Wenn man sich traurig fühlt, dann belohnt man sich gerne mit Süßigkeiten. Fühlt man sich einsam, dann nascht man und versüßt sich so das Leben. Es ist oft ein Ersatz für bestimmte Dinge die im Leben fehlen und dieses Verhalten fängt in der Jugend schon an. So verhalten sich auch schon traurige Kinder, da das Naschen ja ein schönes Gefühl in uns erweckt. In der Jugend setzt sich das fort und oft machen die Jugendlichen das dann auch als Erwachsene. Deshalb ist es immer gut drauf zu schauen, was im Umfeld los ist, wenn jemand wirklich zu viel Süßes isst. Wenn einfach mal so genascht wird, dann ist es kein Indikator dafür, dass in der Familie was schief läuft. Falls aber jemand wirklich sehr viel nascht und Süßes ohne Genuss in sich hineinschaufelt, dann kann man fast immer davon ausgehen, dass im Umfeld etwas nicht stimmt.

 

DAS MILIEU: In wie fern kann man die Eltern für das Übergewicht ihrer Kinder verantwortlich machen?

 

Eisenhauer: Nicht nur die Eltern, sondern das ganze Umfeld und die Art und Weise wie wir sozialisiert werden. Auch das was die Werbung uns zeigt, spielt eine große Rolle bei den Jugendlichen. Wie sich "coole" Kids dort ernähren, wird nachgeahmt. Wenn ein junges Kind Übergewicht hat, dann kann man schon eher auf die Eltern gucken: Wie ernähren sich die Eltern? Was sind das für Vorbilder? Was wird zu Hause gekocht? Am Anfang ist es die Familie, später das Umfeld. Natürlich kann man ab einem gewissen Alter die Jugendlichen ein Stück weit in die Eigenverantwortung nehmen. Bei den ganz jungen Kindern bringt das noch nichts, denn sie haben noch nicht das nötige Verständnis.

 

DAS MILIEU: Kommentieren Sie bitte folgende Aussage:Gesunde und ausgewogene Ernährung ist viel zu teuer!

 

Eisenhauer: Das stimmt nicht, wir können uns auf jeden Fall günstig und gesund ernähren! Das ist auch in meinem Buch “Das Prinzip GESund“ beschrieben. Eine Kombination aus Sättigungsbeilage, sprich Stärkeprodukte, Eiweißprodukte und Gemüse. Gemüse können wir saisonal kaufen. Auch bei unseren Discountern ist das Gemüse nicht so teuer. Die Stärkebeilage könnten Nudeln, Kartoffeln oder Reis sein. Das ist alles ebenfalls nicht teuer und kann gut zu Hause gelagert werden. Bei der Eiweißbeilage gibt es in der Tat teure Produkte. Die kommen meist vom Tier. Zu viel Fleisch ist aber ohnehin nicht gesund. Das gleiche gilt für Milchprodukte, aber ein normales Maß von beidem ist in Ordnung. Deshalb empfehle ich pflanzliche Eiweißbeilagen. Das sind Hülsenfrüchte, Nüsse, Kerne und gerne auch mal Tofu. Und wenn Sie eine Tüte Linsen kaufen, hält das richtig lange als Eiweißbeilage. Wenn man hingegen Essen geht, ist das verhältnismäßig teuer und Hausmannskost günstiger. Beim Kochen zu Hause kann man viel günstiger leben als mit Fast Food.

 

DAS MILIEU: Gibt es einen Zusammenhang zwischen einem Überangebot an Nahrungsmitteln und Fettleibigkeit?

 

Eisenhauer: Ja, absolut! Es gibt ein Überangebot an Nahrungsmitteln. Man kann sie überall kaufen, weil wir abhängig davon sind. Wir sehen es auch ständig und denken es ist okay, weil da oft noch etwas draufgemalt ist, was gesund aussieht. Und dann wird’s gekauft und gegessen. Es muss ein bewussteres Essen stattfinden, um in dieser Gesellschaft nicht auf die Werbung hereinzufallen. Wir müssen uns über unsere Hunger-und Sättigungszustände bewusster werden.

 

DAS MILIEU: Denken Sie, dass die Gesellschaft mehr über Ernährung aufgeklärt werden muss und dass an Schulen ein Unterrichtsfach speziell für gesunde Ernährung eingeführt werden soll?

 

Eisenhauer: Ja, finde ich absolut! Und an vielen Schulen wird es ja auch schon eingeführt. Im Rahmen des Biologie-Unterrichts wird dann über gesunde Ernährung gesprochen, aber ich finde es müsste sehr viel mehr vorgelebt werden. Ich selbst habe auch lange Zeit an Schulen gearbeitet und habe Projekte mit Schülern gemacht, wo wir selber gesunde Ernährung zubereitet und auch andere Schüler aufgeklärt haben. Wenn Schüler selbst dazu befähigt werden, dann nehmen sie es viel eher an, als wenn man mal im Unterricht erklärt, ob etwas gesund oder ungesund ist. Wenn die Schüler das selber anpacken können, sehe ich sehr gute Chancen!

 

DAS MILIEU: In wie fern kann man die Lebensmittelindustrie zur Rechenschafft ziehen, wenn es um übermäßig modifizierte, ungesunde Produkte geht, die schon fast keine Lebensmittel mehr sind?

 

Eisenhauer: Ja, das ist immer eine Frage von Angebot und Nachfrage. Auf der einen Seite bietet die Industrie katastrophale Produkte an und schreibt Sachen drauf, wo man denkt “Meine Güte wer glaubt so was?“. Aber wir fragen halt bei so etwas nicht nach. Wir haben ganz einfach den inneren Wunsch verführt zu werden. Wir glauben von Nahrungsergänzungsmittel, dass wir dadurch fitter, gesünder und schlanker werden. Und dann kaufen wir es, weil wir uns wünschen, dass sich diese Versprechen erfüllen. Da müssen wir auch ein Stück weit an uns selber arbeiten. Falls wir nach gesunden, ehrlichen Produkten verlangen, wird die Industrie sie produzieren. Es wird immer nur das angeboten, wonach gefragt wird.  

 

DAS MILIEU: Vielen Dank für das Gespräch, Frau Eisenhauer!

 

 

 

 

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Weitere Infos: VITALIQ - Ernährungsberatung Eisenhauer

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