Gesellschaft

Nuhr weiter so?

15.11.2014 - Alia Hübsch-Chaudhry

Wir haben uns wohl nichts mehr zu sagen. Oder es wurde schon alles gesagt. Bitte sehr. Nuhr weiter so. Das jedenfalls kommt mir in den Sinn, wenn ich Richard Herzinger lese, der für die WELT lautstark verkündet: „Ein Satireverbot kann da nur akzeptieren, wer sich der Dauerausrede der Dauerbeleidigten beugt: Das alles habe mit dem Islam doch gar nichts zu tun“

Angesichts dessen, stellt sich die Frage, warum wir überhaupt noch miteinander sprechen. Der Muslim steht von Anfang an auf der Schusslinie. Egal ob es stimmt oder nicht stimmt, was er über den Islam sagt.

Wir haben es mit einem „vorauseilenden Hören“ zu tun, demzufolge jede Antwort, wie plausibel sie auch sein mag, die falsche Antwort ist. Der Religionsphilosoph Rosenzweig sprach in diesem Zusammenhang auch von der theoretischen Unmöglichkeit des Übersetzens, im Akt des dialogischen Sprechens: „Wer spricht, übersetzt aus seiner Meinung in das von ihm erwartete Verständnis des Anderen […]. Wer hört, übersetzt Worte, die an sein Ohr schallen, in seinen Verstand, also konkret geredet: in die Sprache seines Mundes.“

Es geht nicht um Meinungsfreiheit


Stellen wir uns zum Beispiel einen Augenblick lang vor, dass a) der Islam mit der eigentlichen Wurzel des Problems nichts zu tun hat und b) der Islamismus auch nicht. Stellen wir uns einfach mal vor, es geht um irgendetwas, das wir für wahr erachten, egal was. Zum Beispiel der Satz: „Rosen haben Stacheln und sind schön.“ Sprechen wir mal von Ästhetik. Wenn auch Religion heutzutage niemand mehr so recht verstehen will (vom Islam ganz zu schweigen) - wer Ästhetik, die sich in der Kunst manifestiert, nicht verstehen will, gilt als Banause. Als Unwürdiger, weil er jemand ist, der sich der positiven Sicht der Dinge absichtlich verschließt. Alles, was wir als wertvoll, wahr und schützenswert erachten, dazu gehört die Vollkommenheit unberührbarer Natur, wird ästhetisiert. Dies, indem wir es als solches erkennen, benennen und aussprechen. Und besonders dann, wenn wir von Satire sprechen, müssen wir eines wissen: Die Kunst ist ihr erstes Opfer. Oder besser gesagt: Es geht der Satire nicht um Meinungsfreiheit oder um Wahrheit, es geht ihr um den Lacher. Adorno hat es sehr schön zusammengefasst, wenn er schreibt: „Die Kunst, die Pathos braucht, fürchtet und flieht die respektlose, pathosvernichtende Komik. […] Schließlich will sie nicht, wie der Witz, lediglich kurz wahrgenommen und belacht werden. Sondern angestarrt, angekauft und ausgestellt. Und […] ernst und tief und schürfend. Währende der Witz nur auf ein einziges Deutungsergebnis zielt: den Lacher. Was soll man da noch über seine äußere Form reden?“1

Was passiert also, wenn Nuhr sagt: „Die Frau im Islam sei nur frei darin, selbst zu entscheiden“ oder wenn er behauptet, der Islam sei „nur da tolerant, wo er nicht an der Macht ist“? Wie kann und soll diese Form von Kritik verstanden werden, vor allem, wenn sie immer und immer wieder in neuen Statements aufgegriffen wird?

Die Komik des Vernichtens


Der Islam, so viele Räume er haben mag, ist kein leeres Haus. Er wird von Menschen bewohnt, die sich mit ihm identifizieren. Mit Menschen, die Allah als einen Gott, als den einzig anbetungswürdigen betrachten, wie es ihr Glaubensbekenntnis besagt. Die eine tiefe Weisheit im Islam erkennen. Spiritualität, Leben  und Ehrfurcht vor der Schöpfung.

Doch genau dann, wenn Satire beginnt, das für heilig Erklärte anderer zu zerstören und niederzumachen, wird sie gefährlich. Weil sie das fruchtbare Sprechen  unterbindet, indem sie die Aussagen des Gegenübers verneint, sie verschmäht. Nicht ohne Grund ist es Muslimen noch nicht einmal erlaubt, über die Götter anderer Religionen zu spotten, obwohl es als größte Sünde im Islam angesehen wird, Allah Nebengötter beizugesellen und als schlimmste Lüge und reine Illusion gilt. So heißt es im Heiligen Quran: „Und schmähet nicht die, welche sie statt Allah anrufen, sonst würden sie aus Groll Allah schmähen ohne Wissen. Also ließen Wir jedem Volke sein Tun als wohlgefällig erscheinen. Dann aber ist zu ihrem Herrn ihre Heimkehr; und Er wird ihnen verkünden, was sie getan.“ (6:109)

Er erkennt, dass, wenn wir das Gegenüber verneinen, es uns verneint. Wenn wir das Vertrauen in die gute Absicht des Gegenübers verlieren, verliert das Gegenüber das Vertrauen in unsere gute Absicht. Jeder Versuch zu sprechen und gehört zu werden ist automatisch zum Scheitern verurteilt. Mit wem sollen wir sprechen, wenn wir nur uns selbst hören wollen? Spricht unser Gegenüber nicht das aus, was wir hören wollen, spricht es in unseren Ohren überhaupt nicht. Wir sind tot.

Offenbarung als Ausdruck von Leben


Dabei geht es Gott darum, ähnlich wie es in der Kunst und Sprache theoretisch beansprucht wird, sich in seiner Wahrheit zu zeigen, sich zu öffnen und mitzuteilen. Ähnlich wie das gewährte Zwiegespräch Gottes mit Abraham, dem Stammesvater aller monotheistischen Religionen, ein Geschenk des Lebens war,  ist der Heilige Quran als Offenbarung ein reiner Ausdruck eines lebendigen Schöpfers und des Lebens. Ein Leben, das arm an Kommunikation ist, ist arm an Leben. Voraussetzung dafür, dass der Gläubige in Kontakt mit Gott treten kann, ist sein absolutes Vertrauen zu ihm und demnach seine Offenheit. Die direkte Anrede Gottes wird somit zum Beginn des Gebetes, der Vereinigung mit dem einzig absolut Anerkennungswürdigen: Allah – der Inhaber des Höchsten, Schönsten, Besten. Und damit des Unaussprechlichen, weil Unbegreiflichen.

Doch wie funktioniert hier das Sprechen? Der Mensch relativiert sich selbst in Anbetracht der Größe Gottes und macht sich klein. Er wächst und lernt, indem er sich der unüberblickbaren Wahrheit Gottes hingibt und sich selbst als fehlerhaft begreift. Es ist kein blindes Vertrauen. Die Wahrheit bewahrheitet sich in der Offenbarung selbst, in der überwältigenden Form des Zwiegespräches, in der Erscheinung mit der Schönheit Gottes selbst, die keinen Raum mehr für Zweifel lässt.

Die Entwertung von Worten


Wozu führt es aber, wenn man dem gewöhnlichen Muslim nicht mehr glauben will, wenn dieser sagt, der Terror, die Frauenunterdrückung, das Töten, habe nichts mit dem Islam zu tun? Vor allem dann, wenn Muslime in der Glaubenspraxis sich selbst nicht darüber einig zu sein scheinen, wie sie ihre Religion verstehen sollen?

Es kommt zu einer Entwertung von Worten, zu dem oben genannten Tod des Sprechens. Dann, wenn Worte nicht mehr reichen, drücken Tränen und Gewalt die Gefühle der Menschen aus. Wenn Menschen die Kontrolle über ihr Leben und  ihre Wertschätzung fürchten, wenn sie ihre Anerkennung und Machtposition wahren möchten, beginnen sie zu zerstören, so Sigmund Freud. Kein Muslim ist grundlos wütend oder verbittert. Wem nützt es, den Muslim als Dauerbeleidigten zu diffamieren? Sogar wenn es wahr wäre: Ist es damit getan? Sind wir einander nähergekommen, haben wir einander verstanden?  Irgendetwas muss vorgefallen sein, das diese Gefühle nährt.

Die Verantwortung der Muslime


Und doch kommt das ewige Missverständnis zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen nicht von ungefähr. Die Muslime untereinander haben selbst aufgehört miteinander zu sprechen. Abspaltungen, Kriege, Hass und Ignoranz innerhalb der muslimischen Gemeinschaft. Wie sollen wir Menschen ernst nehmen, die sich selbst nicht ernst nehmen, die ihren Werdegang nicht verstehen oder sagen, was sie nicht tun? Der Muslim Hazrat Mirza Bashir ud-Din Mahmud Ahmad (ra) schrieb dazu treffend: "Ein Volk, das seine Geschichte nicht kennt, kann  keine Fortschritte erzielen.“

Ein Großteil der Muslime hat das spirituelle Wissen, das im Islam vorhanden ist und begründet wird, nicht mehr angemessen gewürdigt. Hat es nicht mehr angemessen gelehrt und beschützt, wie etwas Wertvolles beschützt werden sollte? Schließlich setzt Zunahme an Unwissen Wissenszurücknahme voraus. Es dauert also womöglich eine gewisse Zeit, bis das Vertrauen zu Muslimen wiederhergestellt werden kann.

Mehr als tausend Worte


Doch bereits jetzt ist es möglich, den Anspruch des Islams in seiner Gänze zu verstehen. Wer in sich hineinhorcht, der kann sich sein eigenes Bild machen: Welche Muslime sind es, die das tun, was sie sagen und die mit ihrem Auftreten allein sprechen? Umso mehr Muslime wir kennen, die mit ihrem eigenen Vorbild das Vertrauen der Zuhörer gewinnen, umso zuversichtlicher können wir sein, dass wir voneinander lernen und einander bereichern. Taten sind es, die unseren Worten Kraft verleihen. Worte beginnen dann zu wirken, wenn sie Werke werden. So wie die überwältigende Erscheinung der Natur uns die Sprache verschlagen kann, weil sie zu wahr ist, um nicht schön zu sein.


 

 

 

 

 

 

 

Foto: © Andre Zehetbauer

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