Kolumne: Lupus Oeconomicus

Personalmangel – der demografische Wandel ist da!

01.07.2022 - Nicolas Wolf

Ob Flughäfen oder Krankenhäuser – vielerorts fehlt es an Mitarbeitern. Das hängt natürlich einerseits mit dem Corona-Virus zusammen, das immer noch um sich greift. Vielleicht ist es aber auch ein Anzeichen dessen, was sich „demografischer Wandel“ nennt.

Liebe Leserin, lieber Leser,

Wenn Sie eine Liste derjenigen Berufe erstellen müssten, in denen derzeit Personalmangel herrscht, welche würden Ihnen da einfallen?

Hier ein paar Vorschläge meinerseits:

§  KrankenpflegerInnen

§  AltenpflegerInnen

§  DoktorInnen

§  Kindergartenpersonal

§  Flughafenpersonal

§  LehrerInnen

§  Verwaltungsbeamte

§  PolizistInnen

... und vielleicht könnte man noch LastwagenfahrerInnen dazu zählen, wobei ich da kürzlich gelesen habe, dass sich die Lage etwas entspannt.

Nun ist es natürlich so, dass man in Deutschland (wie in anderen Ländern sicherlich auch) sich gerne über alles Mögliche beklagt und noch lange nicht alles so heiß gegessen wird, wie es gekocht wird. Aber dennoch bleibt das Gefühl, dass hier tatsächlich etwas im Gange ist und uns salopp gesagt die Leute ausgehen.

Ich bin mit diesem Gefühl nicht allein. Journalisten bei der Zeit scheinen das ähnlich zu sehen und fordern mehr Automatisierung und mehr Einwanderung. Das sehe ich ähnlich – aber bevor wir über Lösungen sprechen, vielleicht ein paar Worte zu den Ursachen.

Temporär oder strukturell?

Für mich steht außer Frage, dass die Corona-Pandemie bei dem Ganzen eine Rolle spielt. Das Covid-Virus grassiert noch immer und sorgt für Krankheitsausfälle. Dies betrifft derzeit vor allem Krankenhäuser und den Flugbetrieb. Und bezüglich Letzterem steht auch fest, dass Flughäfen und Airlines während der Pandemie massiv Personal abgebaut haben, was man nun nicht mal so eben wieder rückgängig machen kann.

Auf gewisse Weise wäre es beruhigend, wenn wir es hier allein mit einem Covid-Phänomän zu tun hätten. Doch ich befürchte, dass wir es mit einer strukturellen Herausforderung zu tun haben und unser „System“ an seine Grenzen stößt. Damit meine ich nicht den Kapitalismus, der hier vor unseren Augen in marxistischer Manier an seinen inneren Widersprüchen zerbricht, sondern die Art und Weise, wie wir als Gesellschaft mit etwas ganz anderem Umgehen: dem demografischen Wandel.

„Demografischer Wandel“ als Thema ist viel besprochen und für die meisten wahrscheinlich kein attraktiver Gesprächsstoff. Mancheiner sieht darin eine Ausrede die Rente zu kürzen oder das Renteneintrittsalter zu senken. Für viele ist es bestimmt zu abstrakt oder etwas, das weit in der Zukunft liegt. Doch was, wenn diese Zukunft jetzt ist?

Wenn das Problem nicht mehr Arbeitslosigkeit ist, sondern Arbeitermangel

Die Arbeitslosigkeit liegt in Deutschland bei knapp 5 %, in der Eurozone insgesamt bei circa 8 % – da war sie zuletzt vor der Finanzkrise. Wann immer ich die Gelegenheit habe mit Geschäftsführern von Unternehmen (in erster Linie Mittelständler) zu sprechen, was hin und wieder vorkommt, dann ist seit geraumer Zeit „geeignete Mitarbeiter zu finden“ verlässlich eine der genannten grössten Herausforderungen. Fakt ist: Es gehen jährlich eine ganze Menge Menschen in den Ruhestand, die dann als Arbeitskräfte fehlen. Junge Menschen rücken zwar nach, aber in einer alternden Gesellschaft halt nur in bedingtem Maße. Was zudem hinzukommt: Man hat als Rentner in Deutschland ja in vielen Fällen ein recht angenehmes Leben, vor allem wenn das Haus abbezahlt und die Kinder längst ausgezogen sind. Etwas früher in den Ruhestand zu gehen, auch wenn man dann Abstriche bei der Rente hinnehmen muss, ist für viele eine attraktive Option. Doch gilt umgekehrt nicht, dass ein Anreiz bestünde, seinen Renteneintritt weiter in die Zukunft zu verschieben. In den USA kehren aufgrund der boomenden Job-Nachfrage Menschen aus dem Ruhestand zurück. Hätte man dazu in Deutschland überhaupt einen Anreiz?

Und dann ist da noch die Rolle des Staates als Arbeitgeber. Hierzu die Annekdote eines Bekannten, der sein Berufsleben als Lehrer verbracht hatte. Er unterrichtete zuletzt einen Abiturjahrgang, erreichte aber zum Halbjahr sein gesetzliches Renteneintrittsalter. Er bat seine Schule, ihn bis Ende des Schuljahres weiterzubeschäftigen, um seine Abituranwärter auf die Abschlussprüfung weiterhin vorbereiten zu können. Die Anforderungen und Hürden, die ihm dafür seitens der Bürokratie auferlegt wurden, sorgten letztlich dafür, dass er sich zum Halbjahr als Pensionär in den Ruhestand verabschiedete. Vielleicht ist das ein Einzelfall, aber hier eine Vermutung: Viele staatliche Stellen haben enge Budgets und müssen sparen. Wenn jemand dann dankenswerterweise in Rente geht, dann zahlt zwar immer noch der Steuerzahler, allerdings aus einem anderen Topf. Die Behörde (oder welche öffentliche Institution auch immer) freut sich derweil, dass sie eine Personalstelle eingespart hat, die sie nicht nachbesetzt.

Ich weiss nicht, ob an dieser „These“ etwas dran ist. Aber wenn ich mir meine Liste am Anfang dieser Kolumne ansehe, dann finden sich darin viele Berufe, bei denen der Staat oder die „öffentliche Hand“ der Arbeitgeber sind, bzw. solche, wo der Staat enge Rahmen festlegt. Es ist doch so: Ein  Privatunternehmen wird im Zweifelsfall einfach mehr Geld auf den Tisch legen, wenn es meint, einen Mitarbeiter vom Ruhestand abzubringen und noch ein paar Jahre länger zu bleiben. Öffentliche Arbeitgeber können dies nicht und stehen auch nicht unter Wettbewerbsdruck, ihre Dienstleistungen zu verbessern. Wenn die Bearbeitung eines Antrags dann längert daürt, weil es zu wenige Beamte in der Dienststelle gibt, dann ist das eben so. Und wenn ein Lehrer 35 statt 30 Kinder in der Klasse hat, dann gibt es auch dafür nicht wirklich ein Korrektiv.

Wie immer: keine einfachen Lösungen

Natürlich könnte man argumentieren, dass wir als Gesellschaft einfach mehr Geld für Beamte, LehrerInnen, KrankenpflegerInnen usw. locker machen müssen, um mehr von ihnen einzustellen und um generell diese Berufe attraktiver zu machen. Doch das würde höhere Steuern bedeuten und zwar wahrscheinlich in der Breite – nicht nur für jene, die geläufig als „Reiche“ bezeichnet werden. Nun gut, so könnte manch anderer meinen, dann „automatisieren“ wir halt, steigern die Produktivität. Doch das ist leichter gesagt als getan: Natürlich ist Produktivität eine tolle Sache, die allem voran im produzierenden Gewerbe seit der industriellen Revolution erheblich gestiegen ist und Grundlage unseres Wohlstands ist. Doch die Pflege Kranker und das Unterrichten an Schulen sind leider nur schwer zu automatisieren und hier auf einen großen Produktivitätsschub zu hoffen ist illusorisch.

Das grundlegende Dilemma des demografischen Wandels wird daher immer offensichtlicher und spürbarer. Mit einer alternden Gesellschaft steigt die Nachfrage nach Gesundheits- und Pflegedienstleistungen und weil eben jene Bereiche sehr arbeitsintensiv sind, ist es schwer den steigenden Kosten mit „Produktivität“ entgegenzuhalten. Immer mehr Gelder fließen also in eben diese Bereiche und anderer Stelle muss der Staat sparen, weil man das Schulwesen oder die Polizei auch nicht einfach mal so automatisieren und „produktiver“ machen kann. Bestimmt könnte man in der Verwaltung vieles digitalisieren, aber diese Welt und ihre Bürokratie sind komplex und am Ende vieler administrativer Prozesse wird wahrscheinlich auf lange Zeit immer noch ein Mensch stehen.  Automatisierung und Produktivitätsgewinne sind gut und schön und zweifelsohne die Triebfeder von Fortschritt und Wohlstand, aber sie helfen auf Sicht wahrscheinlich nicht in genau jenen Bereichen, wo der Schuh drückt. Daran wird auch ein höherer Mindestlohn als Produktivitätsanreiz wahrscheinlich wenig ändern [1]. Und das heißt entweder höhere Steuern oder mehr Einwanderung. Wir haben die Wahl - ich für meinen Teil votiere für Letzteres.

 


[1] Es gibt das Argument, dass höhere Loehne Unternehmen einen Anreiz böten, mehr Arbeit zu automatisieren. Es ist fraglich, ob die Kausalität tatsächlich so herum verläuft oder höhere Produktivität höhere Löhne ermöglicht.

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