Rezension

Politische Streitfragen

15.01.2015 - Dr. Burkhard Luber

Nicht immer gelingt es Wissenschaftlern, ihr Fach auch für ein größeres Publikum attraktiv aufzubereiten. Egbert Jahn, emeritierter Professor für Politikwissenschaft, hat sich in seinem jüngsten Buch mit Erfolg um Lesbarkeit und die Präsentation interessanter Themen der internationalen Politik bemüht. Statt ermüdendem Zwang zur Vollständigkeit oder abstrakter Systematik greift Jahn mitten in die internationale Thematik, wobei er weder vor wenig bekannten noch unkonventionellen Themen zurückschreckt.

Jahn geht der Behauptung nach, Kriege habe es schon immer gegeben und seien auch in der weiteren Geschichte der Menschheit unvermeidlich. Jahn spart auch nicht das sensible Thema “Deutschland - Israel - Nahost” aus und beschäftigt sich in einem Text mit dem bekannten Thema des sog. “Clash of Civilizations”. Schließlich finden sich in dem Buch auch Ausführungen zu dem wenig bekannten Friedenskongress der Sozialistischen Internationalen 1912.

Die Texte des Buches sind Manuskripte, die den Vorlesungen des Autors an den Universitäten Frankfurt und Mannheim zugrunde lagen. Sie sind deshalb “wissenschaftlich”, da sie den historischen Hintergrund der jeweiligen internationalen Konflikte beleuchten, die Streitfragen präsentieren und einen Blick auf die mögliche künftige Entwicklung des Konflikts werfen. Jahn tritt aber dankenswerterweise in seinem Buch nicht als neutraler Forscher auf, sondern gibt bei jedem seiner Aufsätze in einem jeweils besonders gekennzeichneten Absatz seine persönliche Empfehlung, wie mit dem Konflikt seiner Meinung friedenspolitisch umgegangen werden sollte. Zur Illustration nachfolgend vier Beispiele aus dem Buch:

Sorgfältig geht Jahn der Behauptung nach, dass es Kriege immer gegeben habe und dass es Kriege immer geben werde, solange die Menschheit existiert. Dieser verbreiteten Auffassung tritt Jahn mit einer Fülle historischen Materials entgegen. Fazit: Keineswegs wurzelt der Krieg in der Natur des Menschen, was zwar keine Gewissheit bietet, Frieden dauerhaft zu erreichen, wohl aber eine Voraussetzung für möglichen Frieden bildet. Die Forschung zu Tieren, Menschenaffen und Frühmenschen zeigt, dass es in diesen Epochen zwar durchaus individuelle Tötungen gab, dass aber der Krieg als gesellschaftliche Institution erst ein Phänomen des homo sapiens ist. Verallgemeinernd kann man sagen, dass es weder Krieg noch Frieden vom Anfang an in der Menschheitsgeschichte gab, sondern es herrschte kollektive Gleichgültigkeit, wenn Menschen getötet wurden. Daraus folgt, dass Frieden nicht als Rückkehr zu irgendeinem früheren Zustand der Menschheit vorstellbar ist, sondern nur als ein willentlicher Kulturakt in der Zukunft. Krieg ist nicht im Wesen, in der Natur oder in der Psyche des Menschen verankert, sondern ein gesellschaftliches Phänomen.

In einer anderen Vorlesung beschäftigt sich Jahn mit dem Gedicht von Günter Grass “Was gesagt werden muss”, in dem der Schriftsteller sich kritisch zur Politik und Atommacht Israel äußert. Jahn verneint zwar nicht die Berechtigung, dass Grass sich pointiert in diese Debatte einschaltet, er zeigt aber, dass Grass wenig faktenorientiert argumentiert.

Außerdem setzt sich Jahn kritisch mit dem westlichen Interventionskrieg in Mali auseinander. Auch in Mali wiederholt sich das altbekannte Muster von Interventionskriegen in Übersee: Keine präzisen Militärziele, kein klar definierter Zeithorizont, keine politische road map. Statt vorschnell zu militärischen Mitteln zu greifen, wäre es nach Jahn sinnvoller, ein umfangreiches wirtschaftliches Entwicklungsprogramm zu betreiben, das den extremen Kräften in Mali den Boden entzieht und der hohen Arbeitslosigkeit und der Zerstörung der landwirtschaftlichen Produktionsflächen infolge der Klimaveränderung entgegenwirkt.


Mit kritischem Blick blickt Jahn hundert Jahre nach dem Basler Friedenskongress der Sozialistischen Internationalen im Jahr 1912 auf die Kriege und Friedensbemühungen in den vergangenen hundert Jahren: Es gab zwei verheerende Weltkriege. Von Abrüstung kann keine Rede sein. Die Vernichtungskapazitäten werden ständig ausgeweitet. Frieden ist deshalb für Jahn allenfalls als Resultat von Aktivitäten von Regierungen der Nationalstaaten und bürgerkriegsfähigen Organisationen erreichbar. Klassische pazifistische Bewegungen, die auf Gewaltfreiheit setzen, können zwar diktatorische Regime delegitimieren und im extremen Fall auch stürzen. Die in der Bevölkerung tief verankerte Auffassung, dass der Frieden bewaffnet sein muss, können sie aber keinen ernsthaften Widerstand entgegen setzen.

Egbert Jahn hat in diesem Sammelband vierzehn interessante Fragestellungen aus der internationalen Politik gut aufbereitet und dargestellt. Wer jenseits von Fernsehen, Internet-Portalen und Zeitungen detaillierter in dieses Themengebiet einsteigen will und an Hintergrundswissen interessiert ist, sollte dieses Buch lesen.

 

 


Egbert Jahn: Politische Streitfragen. Band 4: Weltpolitische Herausforderungen.

Springer Fachmedien Wiesbaden

2015. 281 Seiten. 34.99 Euro (Softcover), 26.99 (E-Book)

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