
Qamar Mahmood: "In einer Offline-Welt würde ich Brötchen verkaufen"
01.06.2017 -DAS MILIEU: Was würdest du als Mediendesigner in einer Welt tun, in der es keine Stromversorgung, keine Computer und kein Internet mehr gibt?
Qamar Mahmood: Mehr Zeit mit meiner Familie verbringen. Scherz beiseite, als kommerzieller Designer ist es meine Aufgabe, den Nutzen von Produkten und Dienstleistungen zu verdeutlichen, eben diese wettbewerbsfähig zu machen und den Verkauf anzukurbeln. In einer sogenannten analogen Offline-Welt wäre es z. B. meine Aufgabe, das Angebotsschild einer Bäckerei so zu formulieren, dass die Menschen die Brötchen eher hier kaufen und nicht woanders. Daher würde ich beim Verkauf von Waren und Dienstleistungen helfen, wenn es keine Computer oder Internet mehr gäbe.
MILIEU: Wie würdest du die Brötchen an den Kunden bringen, wenn alle Brötchen nahezu gleich geformt und zubereitet sind?
Mahmood: Dann würde ich die Geschichte über die Bäckerei und über die Menschen, welche die Brötchen jeden Morgen frisch zubereiten, erzählen. Wir kaufen mit einer Ware ja nicht nur den vorübergehenden Nutzen, sondern ein Stück menschliche Beziehung. In Werbespots wird ja nicht gezeigt, wie nährreich und gut ein Kaffee ist, sondern wie die Menschen aussehen, die den Kaffee trinken. Und so wie diese Menschen möchte man oft sein – der Kaffee sorgt dann unterbewusst dafür.
MILIEU: Deine Arbeit besteht darin, das äußere Erscheinungsbild ständig zu optimieren. Wir empfinden es als oberflächlich, wenn ein Mensch nach seinem Aussehen, ein Buch nach seinem Umschlag beurteilt wird. Kannst du verstehen, wenn Menschen den Inhalt vor das Design setzen?
Mahmood: Auch wenn wir es als oberflächlich empfinden, ist es letzten Endes unser erstes Entscheidungskriterium – wenn auch nur unterbewusst. Wir reden uns gerne ein, dass es von moralischem Wert wäre, auf Äußerlichkeiten nicht so sehr zu achten, dafür aber mehr auf die inneren Werte. Aber dann müssten doch die meisten Menschen, die hohe charakterliche und moralische Maßstäbe erfüllen, ein ungepflegtes Erscheinungsbild haben.
Die Menschen zeigen sich immer von ihrer besten Seite, weil diese die einzige ist, die Bestand hat und uns die Verbindung zu anderen Menschen erleichtert. Die beste Seite ist auch die einzige, in der wir selbstbewusst bleiben.
Wenn Design nur der Dekoration dient, dann ist es verwerflich, wenn es aber dazu dient, den Inhalt eines Buchs, die Botschaft und den Nutzen eines Produkts zu verdeutlichen, dann hilft es den Menschen weiter.
Beispielsweise hat ein Stuhl die Form, die unserem Gesäß entsprechend, ergonomisch zugänglich ist. Da sie über Jahrhunderte hinweg den eigentlichen Sinn immer erfüllt hat, ist das Design in seiner Grundform gleichgeblieben. Und wir beurteilen ja Dinge als schön, an die wir uns gewöhnt haben und die uns an einen Teil unseres Lebens zurückerinnern. Gleiches gilt auch für die Büroklammer – ich hätte liebend gerne den Menschen kennengelernt, der die Büroklammer entworfen hat. Ein Stück Draht so zu verbiegen, dass es einen Stapel Papier zusammenhält – einfach unglaublich!
Wir sind von so viel Design umgeben in unserem Alltag, dass wir es gar nicht wahrhaben wollen – und wären diese „oberflächlichen“ Feinheiten nicht gewesen, wären wir von der Zahnbürste bis zum Abendessen an allem verzweifelt, weil es nicht nutzbar oder bedienbar wäre.
MILIEU: Hast du oft das Gefühl, dass dein Job unterschätzt wird?
Mahmood: Ständig – nahezu ohne Ausnahme. Logos, Website – hauptsächlich digitale Inhalte sind nicht etwas, was man anfassen kann oder in Händen hält. Die Wertschätzung lässt dadurch erheblich nach. Der Wert des Smartphones, des Notebooks oder der gedruckten Broschüre ist fühlbarer als der des Inhalts.
Aufgrund der mangelhaften Qualität innerhalb der Branche ist es aber einfacher geworden, sich durch die eigene Qualität und „Handwerkskunst“ von der Konkurrenz abzuheben und schließlich schätzen Kunden am Ende des Tages immer, wie gut sie beraten und betreut werden.
Ich wurde zum Beispiel mal beauftragt, ein Logo zu entwerfen und habe nach dem ersten Briefing drei Entwürfe abgeliefert. Der Kunde bestand anschließend darauf, mindestens 15 verschiedene Entwürfe zu bekommen und sich dann ein Logo aussuchen zu können. Als ich ihm klarmachte, dass er dann aber auch für die Arbeit an 15 Logos bezahlen muss, da der gesamte Prozess Bestandteil der Logo-Erstellung ist – kam mir nur Unverständnis entgegen.
MILIEU: Gab es einen Schlüsselmoment, an dem du wusstest: "Ich will Designer werden!"
Mahmood: Ein Schlüsselmoment nicht. Es entstand eher aus einer Ziellosigkeit. Ich hatte nach dem Schulabschluss verschiedene Praktika absolviert, z. B. in einem Autohaus, bei einer Krankenkasse, in der Gastronomie, in einer Werbeagentur usw. Da ich irgendwie für alle Branchen arbeiten wollte und für mich der Verkauf von Interesse war, wurde die berufliche Perspektive durch viel PC-Knowhow deutlicher.
MILIEU: Woran erkennst du gute Designer und ein gutes Design?
Mahmood: Gute Designer erkennt man am besten daran, dass sie ihre gewohnten Ansätze von Projekt zu Projekt wieder verwerfen und sich neu erfinden. Das ist ein sehr anstrengender und mühsamer Prozess – vor allem, wenn man bedenkt, dass in meiner Branche sehr viel in Vorleistung ohne Bezahlung gearbeitet wird. Daher ist der Respekt vor Designern, deren Handschrift von Arbeit zu Arbeit immer wieder neu definiert wurde, immer groß.
Gutes Design ist es, wenn das Design selbst in den Hintergrund rückt – wenn es den Zweck erfüllt. Henry Ford hat mal gesagt „Wenn ich die Menschen gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie sich schnellere Pferde gewünscht“.
Wenn man durch Design Menschen für ein Produkt begeistern kann, wovon sie noch nicht einmal wussten, dass es Bestandteil ihres Lebens sein könnte und es anschließend nicht mehr wegzudenken wäre. Das sind aber oft sehr subtile Eigenschaften beim Design und nicht pauschal in Worte zu fassen.
MILIEU: Wenn du im Netz eine drittklassige Grafik siehst, die von einem Laien entworfen wurde, welche Mängel fallen dir als erstes auf?
Mahmood: Da gibt es einmal die Arbeiten, die aus falscher Motivation und falsch definierten Zielen schlecht sind. Wenn sich zum Beispiel jemand versucht, als etwas zu präsentieren, was er nicht ist. Derartige Arbeiten wirken unglaubwürdig, unseriös und unprofessionell.
Und dann gibt es die Arbeiten, die nicht professionell sind, aber ehrlichen Inhalt präsentieren und nichts vortäuschen. Die Google-Suchmaschine wurde in ihrem Ursprung sehr zweckgemäß (mit einem einzelnen Suchfeld und Suchschaltfläche) erstellt und blieb in ihrer Basis bis heute unverändert. Die Konkurrenz, wie Lycos, Yahoo, MSN damals haben um die Suche herum ein kommerzielles Newsportal aufgebaut. Google war unprofessionell und amateurhaft im Erscheinungsbild, dafür aber auf das nötigste reduziert und dadurch greifbarer für die damals noch „nicht-digitalen“ Menschen.
MILIEU: Wie entwickelt man den Blick für das gute Design?
Mahmood: Für meinen Teil gibt es ein paar einfache Methoden, die auf ein einziges Ziel hinauslaufen – nämlich der Fokussierung auf den Inhalt und der Kernbotschaft.
Da hilft es, wenn man viele Designarbeiten betrachtet und analysiert, warum sie gut sind und gut wirken – dadurch entwickelt sich ein kommunikationsorientiertes Verständnis für Design.
Zweitens, an der Kultur der Zielgruppe teilhaben, um deren Verhalten zu begreifen. Das mache ich z. B. mit Büchern, Musik und Filmen. Bücher regen das Vorstellungsvermögen an und man trainiert das eigene Skillset bzgl. „Storytelling“. Musik zeigt, wie Dinge, die visuell nicht greifbar sind, rein durch Akustik und Worte wirken. Und Filme sind im Grunde die kombinierte Erfahrung aus Akustik und visueller Sprache.
Ich hatte einmal bei einem Projekt Bilder, die visuell sehr in die farbliche Sprache der Filmreihe „Der Pate“ angesiedelt waren. Bei der Schriftart für das Projekt ließ ich mich dann von der Schrift im Vorspann des Films inspirieren. So ergab sich ein wohlgeformtes Gesamtbild, welches die Menschen bereits von dem Film kannten und das Projekt dadurch vertrauter wirkte.
MILIEU: Was würdest du als die größte(n) Herausforderung(en) für einen Designer bezeichnen?
Mahmood: Die größte Herausforderung ist es, motiviert zu bleiben und die Begeisterung aufrecht zu erhalten für viele kleine Dinge, die aber einen großen Unterschied machen. Bei all der Diskussion um Budget, Deadlines, Freigaben und Feedback mit dem Kunden, bleibt immer ein Stück emotionale Bindung zu der Arbeit auf der Strecke.
Ich mache, wenn möglich alle zwei Monate, an einem Wochenendtag eine „Kreativnacht“ für mich selbst, in der wild darauf los skizziere und neue Formkombinationen und Farben zusammenwerfe. Da dieser Vorgang sehr ziellos abläuft, entstehen dabei keine verwendbaren Resultate, aber die Skizzen hebe ich mir alle (mit Datum versehen) auf. Beim nächsten Projekt habe ich immer einen kreativen und unverbrauchten Pool an Ideen, auf den ich zurückgreifen kann.
Die Zeit für solche Dinge muss man sich nehmen und es ist in der Tat eine Herausforderung, neben den ganzen Kundenwünschen und der Beratung den kreativen Geist aufrechtzuerhalten.
MILIEU: Als du vor rund vier Jahren vom Gründer des MILIEU dafür angefragt wurdest, ein Design zu entwerfen, warum hast du zugesagt?
Mahmood: Ich hatte den Gründer vorher für ein Projekt kritisiert, dessen Design mir nicht gefiel. Ich fand ihn sehr sympathisch dafür, dass er die Kritik nicht persönlich nahm und mich nun mit seinem nächsten Projekt beauftragte. Die Idee war sehr gut und die Gründer waren sehr kompetent und meines Erachtens nach, äußerst fähig, die Idee entsprechend gut in die Tat umzusetzen.
Und ich habe natürlich sehr viel Mitspracherecht, wenn es um das Design ging, erhalten. Das war für den kreativen Teil der Entscheidung sehr maßgebend.
MILIEU: Von vielen Lesern bekommen wir immer wieder die Rückmeldung, dass unser Design angenehm, stilvoll, schön bis wundervoll aussieht. Wie erklärst du dir diese Urteile?
Mahmood: Ziel war es, die Website bedienbar zu machen und zwischen den Inhalten und der Optik der Website keinen Bruch oder Widerspruch zu erkennen. „Der Stuhl sollte nicht hinken beim Sitzen“. Wenn Menschen der Website solche Attribute zuordnen, dann kann es daran liegen, dass die Seite sehr unaufdringlich wirkt und die Menschen sehr angenehm durch die Inhalte begleitet.
MILIEU: Es geht ein Auftrag ein, der Kunde schildert seine groben Vorstellungen und du setzt dich für die Umsetzung vor deinen PC. Hast du dann sofort ein Urbild vor dem geistigen Auge, von dem du ein Abbild anfertigst?
Mahmood: Die konkrete Vorstellung habe ich schon während der ersten Besprechung. Ich formuliere dann während des ersten Briefings die Fragen gleich so, dass ich die möglichen Optionen im Kopf aussortiert werden können. Was ich umgehend anfertige, ist eine Skizze mit Stift und Papier, da alle Vorstellungen und Ideen verfliegen können. Am PC geht es nur noch um die digitale Umsetzung der Idee. Je genauer die Fragen im Briefing waren, umso schneller lässt es sich dann am PC arbeiten.
MILIEU: Wenn man sich die lange Liste der Referenzen anschaut, die du mittlerweile vorweisen kannst, dann kann man dich zweifellos als erfolgreichen Designer bezeichnen. Was wünschst Du dir gerne beruflich irgendwann mal zu erreichen?
Mahmood: Meine Familie, vor allem meine Kinder (fünf und drei Jahre alt) sehen ihren Vater immer als jemanden, der viel am Computer arbeitet. Das kann sehr langweilig, monoton und spießig wirken. Ich hoffe, dass ich bis zum Jugend-Alter meiner Kinder genug gute Referenzen vorweisen kann, die meine Kinder dann verstehen und stolz darauf zurückblicken können, dass ihr Vater daran mitwirken konnte. Das wäre die größte Genugtuung, die ich beruflich erreichen könnte.
MILIEU: Was, wenn sie mit Design nichts anfangen können?
Mahmood: Dann hoffe ich, dass Sie mich als einen Vater, der sich Mühe gegeben hat, in Erinnerung behalten.
MILIEU: Vielen Dank für das Gespräch, Qamar!
Photo: Christoph Gabler
