Kolumne: Lupus Oeconomicus

Reden wir mal über… „Bedingungsloses Grundeinkommen“

01.10.2021 - Nicolas Wolf

Mitte September schrieb mir unsere Chefredakteurin Olivia, dass sie ein Interview mit Thomas Straubhaar zum Thema „Bedigungsloses Grundeinkommen“ führen würde. Sie fragte mich nach meiner Meinung dazu, was wohl damit zusammenhängen muss, dass ich mich hier auf dasmili.eu als Wirtschaftskolumnist anschicke. Ob mich das ausreichend befähigt um mich dazu zu äußern, sei mal dahin gestellt. Dennoch: hier die Antwort.

Ein paar Dinge vorneweg. Erstens habe ich das Interview mit Thomas Straubhaar, welches der Aufhänger dieser Kolumne ist, noch nicht lesen können. Deshalb möchte ich mich hier auch eher allgemein mit dem Thema beschäftigen und nicht einen bestimmten Vorschlag diskutieren. Zweitens, obwohl ich der Idee eines „Bedingungslosen Grundeinkommens“ zu diesem Zeitpunkt eher skeptisch gegenüberstehe, lehne ich sie nicht grundlegend ab. Im Gegenteil: Ich bin davon überzeugt, dass sie eines Tages umgesetzt wird. Doch bis dahin – so zumindest mein Dafürhalten – ist es noch ein wenig hin. Und mit diesen zwei vorweg geschickten Disclaimern, hier meine Position oder eher: Gedanken zum „Bedingungslosen Grundeinkommen“.

Eine Frage der Definition

Die Frage, was ich denn so von einem „Bedingungslosen Grundeinkommen“ halten würde, erinnert mich an eine andere, die mir vor Kurzem gestellt wurde, nämlich die nach meiner Haltung zu einer Vermögenssteuer. Das Problem: Obwohl ich mir wie viele andere sicherlich auch etwas unter beiden Begriffen vorstellen kann, sind sie letztendlich doch leider sehr vage. In seinem Bestseller „21 Lektionen für das 21. Jahrhundert“ greift Yuval Noah Harari (ja ich weiß, wirklich belesene Schreiberlinge zitieren Nietzsche, Wittgenstein und Knausgård) genau jenen Punkt auf und fragt sinngemäß, was „bedingungslos“ und „Grund-“ denn eigentlich genau bedeuten. Oder genauer formuliert: Wer soll denn alles „bedingungslos“ monatlich einen fixen Geldbetrag erhalten und wie hoch soll dieser ausfallen? Sollte man es ab der eigenen Geburt bekommen? Oder wenn man sechzehn oder achtzehn Jahre alt ist? Sollten es 500, 1000 oder 1.500 Euro im Monat sein? Soll ein „Grundeinkommen“ lediglich sicherstellen, dass man sich eine Bleibe, Kleidung und Essen leisten kann, oder darüber hinausgehen und auch ein wenig Komfort bieten? Und zu guter Letzt: Müsste man Staatsbürger sein, um ein Grundeinkommen zu beziehen oder sich lediglich legal in Deutschland aufhalten? All dies sind keine Detail- sondern Grundsatzfragen und sie verdeutlichen: „Bedingungsloses Grundeinkommen“ bedeutet nicht „Bedingungsloses Grundeinkommen“. Das ist kein Argument dafür oder dagegen, soll aber signalisieren, dass ich keine pauschale Meinung dazu habe und ich mich im Fall der Fälle lieber mit konkreten Vorschlägen auseinandersetze.

Die Frage nach dem „Warum“

Ich muss schmunzeln, wann immer in Diskussionsrunden jemand meint, man müsse „die Reichen“ stärker besteuern und alle Gesprächsteilnehmer ihrer Ideologie entsprechend dann losdebattieren. Dabei täte es manchmal gut zu fragen: Warum? Welches Ziel soll mit diesem Vorschlag verfolgt werden? Genau das Gleiche gilt auch für das Bedingungslose Grundeinkommen. Man kann ja dafür eintreten und es gut finden, aber ich wüsste gerne, welcher Gedanke dahinter steckt. Geht es darum Armut zu bekämpfen oder das Sozialversicherungssystem zu vereinfachen? Steht dahinter die Annahme, ein Gros der Bevölkerung werde von technologischer Arbeitslosigkeit aufgrund von Künstlicher Intelligenz und Automatisierung bedroht? Mich überzeugt das Argument nicht, man müsse einen Politikvorschlag lediglich anhand seiner Inhalte bewerten und nicht daran, welche Absicht damit verfolgt wird. Denn selten wird etwas genauso implementiert, wies es konzipiert wurde, sodass der „Geist“ einer Idee dann zum Leitfaden wird. Außerdem kann es ja sein, dass es geeignetere Mittel als das Bedingungslose Grundeinkommen gibt, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, wobei „geeigneter“ natürlich im Auge des Betrachters liegt. Jedenfalls ist es wahrscheinlich, dass der eine oder andere das Anliegen teilt, das auch Befürworter des Grundeinkommens motiviert, jedoch einen anderen Weg wählen würde.

Detailfragen

Der Teufel steckt ja bekanntermaßen im Detail. Und beim Stichwort „Bedingungsloses Grundeinkommen“ schießen mir gleich mehrere Detailfragen durch den Kopf, die zwar nicht so grundlegend wie jene, die eingangs erwähnt wurden, aber ebenfalls von großer Bedeutung sind:

    •   Was passiert mit anderen Sozialleistungen? Würde ein Bedingungsloses Grundeinkommen auch Arbeitslosengeld und Renten ersetzen?

    •   Wie würde ein Grundeinkommen finanziert werden? Würde es komplett gegenfinanziert werden oder auch durch Schulden? Wenn ersteres zutrifft, durch welche Steuern genau? Muss zwecks Finanzierung an anderer Stelle gespart werden?

    •   Wie sollen Einkommen besteuert werden, die über das Grundeinkommen hinausgehen?

All dies läuft letzten Endes auf die Frage hinaus, welche Verteilungseffekte ein Bedingungsloses Grundeinkommen hätte. Denn zweifelsohne würde es manche besser, andere schlechter stellen verglichen mit dem Status Quo – zumindest, was das Nettoeinkommen angeht. Mich würde schon interessieren, wer in welche Kategorie fällt, bevor ich mich zum Unterstützer einer bestimmten Version des Bedingungslosen Grundeinkommens wandel.

Unterm Strich

Laut Textverarbeitungssoftware habe ich nun fast 800 Wörter in diesem Aufsatz verwendet, um am Ende nichts weiteres zu tun, als darauf hinzuweisen, dass man bei einer Idee wie dem Bedingungslosen Grundeinkommen „genau hingucken muss“ und „es auf die exakte Ausgestaltung ankommt“. Das ist offensichtlich, nicht sonderlich originell und weicht ja auch irgendwo der Eingangsfrage aus. Deshalb hier nun ein Paragraph dazu, warum ich bisher kein glühender Verfechter eines Grundeinkommens bin.

Unabhängig von dem tatsächlichen Vorschlag scheint mir eines klar: Ein Bedingungsloses Grundeinkommen wäre sehr teuer. Ich habe dazu einmal ein paar Milchmädchenrechnungen in Excel gemacht und je nach Annahme würde es die Sozialausgaben Deutschlands locker um 30% bis 100% erhöhen. Da die Bundesrepublik bereits ungefähr eine Billion Euro, also ungefähr 30% der Wirtschaftsleistung, für Gesundheit, Rente, Familien und Arbeitslose aufwendet, würde ein Grundeinkommen den Sozialstaat auf 40% bis 60% des BIPs anschwellen lassen. Das kann man wollen und für nicht bedenklich halten und vielleicht kann man auch auf dem Papier ein Steuerkonzept erstellen, das ein solches Vorhaben finanziert. Die Frage ist bloß, ob der Kuchen vorher genauso groß ist wie hinterher.

Was ich damit sagen will: Wenn man massiv die Abgaben erhöht und gleichzeitig per Grundeinkommen für eine Vielzahl an Menschen arbeiten weniger attraktiv macht, erwirtschaftet man als Staat dann nach wie vor genug um sich eben jenes Grundeinkommen zu leisten? Klar, wer zu den Topverdiener zählt oder seinen Beruf als Herzensangelegenheit versteht, der wird an seinem Arbeitsverhalten wahrscheinlich wenig ändern, ob er nun monatlich pauschal tausend Euro vom Staat überwiesen bekommt oder nicht. Aber wie sieht es mit all jenen aus, die normalerweise zwischen tausend und zweitausend Euro im Monat verdienen? Wie viel von ihnen würden sich dazu entschließen entweder ganz aufhören zu arbeiten oder zumindest ihre Stundenzahl deutlich zu reduzieren? Steht uns dann als Volkswirtschaft immer noch ausreichend Arbeitskraft zur Verfügung um all die Waren und Dienstleistung zu produzieren, auf denen unser Wohlstand basiert?

Das ist die Gretchenfrage und wenn man ein Experiment à la Bedingungsloses Grundeinkommen wagt und sich dann herausstellt, dass die Antwort „nein“ lautet, dann hat man ein Riesenproblem in der Form von Stagflation, also der Kombination aus steigenden Preisen (Inflation) und einer schrumpfenden oder nicht weiter wachsenden Wirtschaft (Stagnation). Natürlich kann man versuchen menschliche Arbeitskraft durch Roboter, Automatisierung und Künstlicher Intelligenz zu ersetzen, was ja bereits vor allem in der Industrie passiert ist. Doch auf viele Tätigkeiten im Dienstleistungsbereich trifft das bisher noch nicht zu. Meine große Sorge ist daher, dass arbeiten eben (noch) nicht optional und eine Frage von Lust anstatt von Notwendigkeit ist, und wir uns ein Bedingungsloses Grundeinkommen faktisch nicht leisten können. Vielleicht funktioniert dies auf dem Papier, wenn man annimmt, dass es in keiner Weise die Wirtschaftsleistung beeinflusst, doch das wage ich zu bezweifeln. Vielleicht aber kommt irgendwann der Tag, an dem Roboter und KI soviele Dinge für uns erledigen, dass ein überwältigender Teil der Bevölkerung beruflich wirklich nichts mehr zu tun hat. Dann werde ich mich gerne auf die Seite der Befürworter eines Bedingungslosen Grundeinkommens schlagen. Bis dahin scheint es mir noch eine Weile, aber ich lasse mich gerne vom Gegenteil überzeugen. 

Autoren benötigen Worte.
Worte benötigen Zeit

Unterstützen