Türkisch-deutscher Unternehmer im Interview

Remzi Aru: "Deutsche Parteien halten sich gern Haustürken"

01.08.2016 - André Gottwald

Er gilt als einer der bekanntesten Fürsprecher Erdogans in Deutschland. Anfang diesen Jahres publizierte er das Buch "Türkei - Feindbild Europas". DAS MILIEU sprach mit Remzi Aru, dem Unternehmer und Gründer der Partei ADD, über die deutsch-türkischen Beziehungen, die Flüchtlingskrise, Erdogans Politik und seine neu gegründete Partei.

DAS MILIEU: Derzeit beschäftigen sich die deutschen Medien sehr ausgelassen mit der angespannten Situation zwischen der Türkei und Deutschland. Was stört oder interessiert Sie derzeit am meisten an den politischen Beziehungen der beiden Partnerländer?
 
Aru: Es leben sehr viele türkischstämmige Menschen in Deutschland und daher muss es ja im Allgemeinen im deutschen Interesse sein, dass diese eine Teilhabe besitzen, gehört werden und man sich mit ihnen auseinandersetzt. Im Moment sieht es allerdings nicht danach aus.

Es ist ja so, dass es türkischstämmige Politiker gibt, die eigentlich diese Aufgabe haben, aber offensichtlich - was sich nach der Armenien-Resolution-Abstimmung gezeigt hat - ist, dass diese eher das, was die deutsche Politik denkt, in die türkische Gesellschaft hineintragen.

Demokratie heißt aber das, was die Menschen denken, in die Politik hineinzutragen. Da haben wohl die Politiker etwas grundsätzlich falsch verstanden. Daher kommt auch der Ausdruck, den ich mitgeprägt habe „Haustürke“. Das bedeutet, dass sich Parteien „Haustürken“ halten, bei denen kein Mensch weiß, wie diese auf ihre Positionen gekommen sind und somit hundertprozentig nicht das widerspiegeln, was die eigentlich hier lebenden Türken denken und wollen.

Das ist auch einer der Gründe, warum ich eine Partei gegründet habe. Entscheidungen, die an Menschen vorbei gehen, sollen auch einen politischen Preis haben. Mein Wunsch ist es, tatsächlich eine Schnittstelle herzustellen und mit den Leuten zu kommunizieren. In erster Linie wird es immer so dargestellt, als wäre die von mir gegründete Partei wie Erdogans Partei oder als ein verlängerter Arm in Deutschland, was allerdings kompletter Mumpitz ist. Der größte Widerstand kommt von Leuten, die der türkischen Politik sehr nahe stehen und im Laufe der Jahre versucht haben, türkischstämmige Menschen zu instrumentalisieren. Nun müssen diese allerdings feststellen, dass sie keine Antworten auf die Fragen haben, die betroffene Menschen stellen und merken dabei, dass ihnen diese Klientel davonläuft. Ähnlich ist es auch bei den deutschen Parteien im Moment der Fall. Die Menschen, die hier ihren Lebensmittelpunkt haben, wollen ihren Teil zu dieser Gesellschaft beitragen und wollen nicht das Instrument von irgendwelchen politischen Interessen anderer Länder sein. Sie wollen auch nicht als Wahlvieh missbraucht werden zur politischen Selbstdarstellung von einem Herr Cem Özdemir. Sie wollen einfach Lösungen haben.

DAS MILIEU: Im Juni 2016 hielt der Deutsche Bundestag eine Debatte über die sogenannte Armenien-Resolution. Aus dem dortigen Disput über den "Völkermord" heraus spannte sich das politische Klima zwischen den beiden Ländern zunehmend an, nicht zuletzt dadurch, dass die Türkei den Ausdruck Völkermord entschieden ablehnt. Was denken Sie über diese Unstimmigkeit bezüglich der Armenien-Resolution?

Aru: Weil es ein juristischer Begriff ist. Sie können Völkermord begehen, ohne dass nur ein einziger Mensch Nasenbluten bekommt. Und sie können keinen Völkermord begehen, indem sie Millionen Menschen umbringen. Hier geht es eigentlich nicht darum, den Armeniern zu helfen und die Geschichte zu beleuchten, sondern vielmehr Erdogan eins auszuwischen. Letztendlich sind die Opfer dieser Resolution auch die Armenier, auf deren Rücken mal wieder ganz schäbig Politik gemacht wurde. Wenn die Politiker tatsächlich daran interessiert wären, dabei etwas zu klären, würden sie vermittelnd eingreifen und nicht auf diese Weise. Diese wissen nämlich ganz genau, dass es eine schwere Provokation gegenüber der Türkei darstellt, auf welche diese natürlich reagieren wird.

 

Bei dem Begriff Völkermord sind die Türken sehr empfindlich und allein das hat mir mindestens zwei bis drei Prozent Wählerstimmen eingebracht. Jedes Mal wenn dieses Thema hoch kommt, werden die Leute sich daran erinnern, obwohl noch kein einziges rechtskräftiges Urteil darüber gefällt wurde. Auch sind die Türken darüber empört, dass in über tausend Kilometern Entfernung ein sogenanntes politisches Urteil gefällt wurde, welches jedoch nicht bewiesen ist. Die Türkei konnte nicht einmal mit einer Klage widersprechen, da es ja kein rechtliches Urteil gibt. Meiner Meinung nach wurde dieser Beschluss kurzerhand verfasst, um Erdogan eins auszuwischen. Herr Özdemir hat jedenfalls damit jegliche Legitimation und Perspektive der türkisch-stämmigen Menschen verloren.

DAS MILIEU: Der türkische Präsident kritisierte Özdemir: "Da kommt ein Besserwisser und bereitet etwas vor, das er dem deutschen Parlament vorschlägt. Ein Türke, sagen manche. Ach was, Türke. Ihr Blut sollte einem Labortest unterzogen werden." Machen Ihnen Erdogan's Aussagen über deutsche Politiker mit türkischen Hintergrund Sorgen?

Aru: Dieser Satz ist in der Türkei eine Redewendung und bedeutet, dass jemand charakterlos ist (unreines Blut). Ähnlich würde man dazu im Deutschen allgemein gebräuchlich sagen können „der hat getürkt“. Übersetzt man nun diese deutsche Redewendung so eins zu eins ins Türkische, dann wären dort wahrscheinlich auch alle erbost. Übrigens denke ich auch, dass es nicht gerade ein Zufall war, wie deutsche Leitmedien solche Aussagen übersetzen. Normalerweise arbeiten dort genug Experten, die wissen sollten, wie man so etwas interpretiert. Deshalb denke ich, dass es der blanke Vorsatz war und man mal wieder versucht, Öl ins Feuer zu gießen. Sowas ist meiner Meinung nach unverantwortlich.

DAS MILIEU: Vor ein paar Monaten gab es einen weiteren Zwischenfall. Der ZDF-Moderator Jan Böhmermann verfasste ein "Schmähgedicht", was für große Furore in den Medien gesorgt, die nicht unbedingt zu Gunsten des Präsidenten ausfiel. Wie würden Sie als hypothetischer Staatspräsident in einem solchen Fall handeln?

Aru: Erdogan wird immer dafür kritisiert, dass er viele Leute verklagt und vor Gericht zieht. Wenn man sich nun an die Türkei erinnert vor der Ära Erdogans, wäre sowas nicht passiert. Vielmehr wäre dann nachts die „Geheimpolizei“ gekommen und die Person wäre dann für immer verschwunden. Man würde wahrscheinlich irgendwo einbetoniert werden und niemand hätte je wieder ein Wort von ihnen gehört. Interessanterweise wurden diese Zeiten nie von Deutschland kritisiert und es wurde auch nie die Demokratie in Frage gestellt.
Aus deutscher Sicht mag es zwar so aussehen, dass Erdogan ein Klagehansel ist, aber ich persönlich habe kein Problem damit, wenn jemand die juristischen Möglichkeiten, die er hat, voll ausschöpft. Dabei wird auch nicht erwähnt, dass die meisten seiner Klagen im Sande verlaufen und von Richtern abgewiesen werden. Lediglich wird immer nur darauf hingewiesen, dass Erdogan jeden verklagt, was allerdings eines jeden Bürgers Recht ist.

Der krasse Kontrast zeigt sich auch noch einmal in der Türkei bevor Erdogan Präsident wurde. Als die Regierung im Sommer 2002 anfing, hatte das Militär in der Türkei noch eine sehr mächtige Stellung. Somit konnte was immer man auch sagte tödlich enden. Dies ging sogar bis zur Hinrichtung von Politikern. Wenn man auf solche Zeiten zurückschaut, gleicht es schon fast einem Quantensprung, dass ein Staatspräsident, der so massiv von allen Seiten beleidigt wurde, sich auf Klagen beruft. Es wäre eigentlich auch kein Problem, wenn man eine solche Satire über Obama oder Netanjahu machen würde. Dann würde ich sagen: so ist halt der deutsche Humor. Aber das würde sich niemand trauen.

DAS MILIEU: In Zeiten der Flüchtlingskrise ist eine engere Zusammenarbeit zwischen der EU und der Türkei sowie zwischen Deutschland und der Türkei unabdingbar. Im Gespräch für weitere Kooperationen stehen Forderungen wie eine türkische Visa-Freiheit oder ein schnellerer EU-Beitritt. Inwiefern finden Sie solche Forderungen gerechtfertigt?

Aru: Gar nicht. Serbien zum Beispiel braucht kein Visum für Deutschland und Serbien hat ein niedrigeres Bruttosozialprodukt als die Türkei. Dabei geht es eigentlich auch gar nicht darum, irgendwelche Sachen zu regeln. Sondern es geht einfach nur um eine Demütigung der Menschen. Visa-Freiheit heißt Reisefreiheit und gerade jemand wie Frau Merkel sollte wissen, was Reisefreiheit bedeutet. Sie kommt ja bekanntlich aus der DDR, wo es diese nicht gab.

Ich glaube auch, dass irgendwelche Zahlungen, die an die Türkei zu leisten sind, nicht als Forderungen bezeichnet werden können, sondern hier vielmehr Ursache und Wirkung zusammentreffen. Deutschland kann nicht Waffen-Exportweltmeister sein und gleichzeitig die strategischen und kaufmännischen Gewinne einfahren wollen, ohne die Kosten des Verursachten zu tragen. Das funktioniert nicht.

Daher haben wir auch als Partei die Forderung gestellt, dass wir diese Sachen miteinander verknüpfen wollen. Im Klartext soll das heißen, dass diejenigen kostenmäßig beteiligt werden sollen, die derartige Missstände verursachten. Vergleichbar wie beim CO2 Handel wollen wir eine Richtlinie aufstellen, die pro Flüchtling circa 1500 Euro monatlich vorsieht. Das angenommen, könnte man sagen, Deutschland nicht mit 6 Millionen Euro dabei ist, sondern pro Monat mit ein paar Milliarden.

DAS MILIEU: In Deutschland werden auch Stimmen, die es für unzulässig und falsch betrachten, eine Kooperation mit einem Land aufrechtzuerhalten, in dem immer noch Menschenrechtsverletzungen stattfinden. Jedoch wird aus der Not die Tugend. Denken Sie weitere Konflikte im Mittleren Osten öffnen der Türkei das Tor zur EU und zur Lockerung der Beitrittskriterien?

Aru: Welche Menschenrechtsverletzungen meinen Sie?

DAS MILIEU: Laut Amnesty International werden reihenweise Journalisten sowie politische Gegner in der Türkei weggesperrt.

Aru: Die türkische Perspektive ist natürlich eine andere. In türkischen Massenblättern wird zum Beispiel veröffentlicht: „ Wer tötet Erdogan?“ oder als direkte Aufforderung, „Tötet diesen Mann!“ Dem wird natürlich nachgegangen. Genauso würden sie mit dem Presserat oder dem Verfassungsschutz Probleme bekommen, wenn sie ähnliche Texte kostenlos in der Rigaer Straße in Berlin verteilen würden über die Bundeskanzlerin. Wenn das dann eine Verletzung von Menschenrechten ist, dann bin ich bei Ihnen.

DAS MILIEU: Meinen Sie nicht, dass Amnesty als weltweite Organisation das nicht ohne triftigen Grund schreibt?

Aru: Da müsste man sich mal anschauen, wer den Artikel verfasst hat. Die Türkei will einfach nur gleichbehandelt werden. Dabei sollten die gleichen Regeln in Israel, den USA und anderen Ländern angelegt werden. Speziell in Ländern, wo es keine Visa-Bestimmungen gibt - also Länder, die ohne Visa einreisen können, wie die Emirate, wo Leute noch ausgepeitscht werden, ihnen die Hände abgehackt werden, aber trotzdem Visafrei in die EU einreisen dürfen. Die Türkei beobachtet solche Dinge sehr genau und stellt fest, dass in der Türkei keine Hände abgehackt werden.

DAS MILIEU: Was denken die Türken über die deutsche Flüchtlingspolitik?

Aru: Die Türken dachten bisher Deutschland ist ein Land, was sehr gut entwickelt und besonders moralisch ist. Nun aber hat sich während der Flüchtlingskrise gezeigt, dass die Türkei ungefähr dreimal so viele Flüchtlinge aufnimmt wie ganz Europa, welches der Nation ein enormes Selbstbewusstsein gibt. Im Gegensatz dazu ist es gerade lächerlich zu sehen, wie sich Deutschland und andere EU Länder sich aufführen und die ganze EU so wegen einer Million Flüchtlingen destabilisiert wird. Bekanntlich gibt es ja sogar EU Länder die sich weigern, 400 Flüchtlinge aufzunehmen. Das ist ungefähr soviel, wie die Türkei in ungefähr einer Minute aufnimmt.

So etwas macht die Türkei sehr stolz auf sich selbst, jedoch sieht man auch, wie Europa nur noch als Finanzgemeinschaft zusammengehalten wird und es wohl offenbar keine Solidargemeinschaft mehr gibt. Es wird untereinander über ein paar Flüchtlinge gestritten um die Frage, wer diese aufnimmt. Der größte Punkt ist dabei das Geld. Es geht immer nur um das Geld, was Flüchtlinge alles kosten, aber zugleich profitiert man strategisch von Waffenexporten und unterstützt Länder, die für Flüchtlingsströme sorgen.

Ein anderer großer Kritikpunkt ist das "Wording" speziell bei dem Begriff Schlepper. Es werden hier diejenigen kriminalisiert und als böse dargestellt, die eigentlich nur die Leute von A nach B transportieren. Früher hießen diese Menschen in Deutschland Fluchthelfer, die Menschen von Ost- nach West-Deutschland brachten. Den Ausdruck Schlepper finde ich absolut falsch, wenn man bedenkt, dass diese Menschen anderen helfen auf ihrem Weg nach Europa.

DAS MILIEU: Wie ist die allgemein türkische Perspektive auf eine Lösung für die Flüchtlingskrise?

Aru: Wenn man über die Perspektive spricht, muss man bedenken, wie sich die Flüchtlingskrise bisher entwickelt hat. Erdogan hat schon 2011, als die ersten 300 Flüchtlinge in die Türkei kamen, für eine Pufferzone plädiert. Und damals gab es noch keinen IS und keine PKK. Die Idee war eine Zone von beispielsweise 100 Kilometern zur Grenze, die entmilitarisiert ist und wo Flüchtlinge sich vorerst niederlassen können.

Mehr über die türkische Perspektive können Sie auch auf meiner Homepage nachlesen. Dort finden sie auch Berichte aus den aktuellen Tagesthemen. Das Perverse ist ja eigentlich, dass das Land, was seit Hunderten von Jahren die Strukturen aufgebaut hat im osmanischen Reich und die meiste Erfahrung mit der Bevölkerung, den Kulturen usw. hat, am wenigsten gefragt und gleichzeitig kriminalisiert wird.

Im Prinzip versucht man gerade Erdogan als Bösewicht, als Diktator und anderes zu verunglimpfen. Dabei schadet man sich eigentlich nur selbst, da die Türkei es gewöhnt ist, mit solchen Sachen betroffen zu sein und weiß, wie man mit Flüchtlingsbewegungen umgehen muss. Ganz Europa kommt ins Wanken, solange man diese Politik so weiterführt.

Ich sage zu vielen Deutschen, wenn ihr die Türken hasst - was vollkommen legitim ist: Niemand muss einen anderen Menschen mögen, dann müsst ihr dafür sorgen, dass die Türkei maximal stabil bleibt. Wenn sich nämlich die Türkei destabilisiert und dort ein Bürgerkrieg ausbricht, weil die PKK irgendwie die Oberhand gewinnt und irgendwelche Regionen kontrolliert, dann kommen nicht nur eine Million Flüchtlinge, sondern drei bis vier Millionen türkische Menschen. Daraus können dann schnell zwanzig Millionen Flüchtlinge werden, nach Nachzug der Verwandten, die nach Europa flüchten wollen. Man müsste daher ein riesiges Interesse daran haben, mit denen zusammen zu arbeiten, die sich mit den Menschen in dieser Region am besten auskennen.

Idealerweise würde man sich zusammensetzen und über gemeinsame Lösungen nachdenken. Ähnlich wie es Erdogan 2011 schon gemacht hat. Egal was man von ihm halten mag, aber einfach aus pragmatischen Gründen sollte man diese Schritte gemeinsam gehen.

 

DAS MILIEU: Nun kam es kürzlich zu einem überraschenden Putschversuch in der Türkei. Was glauben Sie, wer dahinter steckte?

 

Aru: Ich vermute, dass es die USA waren. Gülen gilt hingegen für mich als gesichert.

 

DAS MILIEU: Warum ist der Putschversuch für Erdogan ein "Segen Gottes"?

 

Aru: Weil der Putschversuch Freund und Feind herauskristallisiert hat. Bei Gülen handelt es sich um eine extrem klandestin agierende Terrororganisation. Die Schuldigen herauszufinden hätte Jahrzehnte gedauert.

 

DAS MILIEU: Halten Sie die brutale Rache an den Putschisten für angemessen?

 

Aru: Die türkische Justiz kennt keine Rache. Die Putschisten werden mit rechtsstaatlichen Mitteln zur Verantwortung gezogen werden. Leider sieht man im deutschen Fernsehen nur die Bilder der Putschisten nach deren Überwältigung durch das Volk. Keine Bilder sieht man hingegen mit welcher Verachtung die Putschisten Minuten vor deren Überwältigung hunderte Menschen kaltblütig ermordet und tausende verletzt haben. Etliche, die ihre Liebsten verloren argumentierten im Affekt "nonverbal". Ich persönlich halte diese bewusste Ausblendung von wichtigen Informationen für einen Teil der neurolinguistischen Programmierung der deutschen Bevölkerung. Mit genau dieser Technik war es u.a. auch möglich, daß im dritten Reich Millionen von Menschen in Gaskammern geschickt wurden, ohne daß es in der deutschen Bevölkerung nennenswerten Widerstand gegeben hätte. Das sollte gerade jungen Menschen stark zu Denken geben!

DAS MILIEU: Auf Ihrer Homepage haben sie geschrieben: „Wir werden regelrecht gezwungen, eine eigene Partei zu gründen.“ Fühlen Sie sich von unseren Politikern sowie von Politikern mit türkischen Hintergrund nicht ausreichend repräsentiert?

Aru: Ich fühle mich von keinem Politiker repräsentiert. Auch nicht von türkischstämmigen und auch nicht von deutschen. Es ist immer wieder interessant, wenn man die Leute mit sich selbst konfrontiert. Also die Leute, die sagen, dass es ganz wichtig ist, eine ethnische Partei zu haben wie die HDP, die internationalistisch für Kurden einsteht.

Das sind dieselben Leute, die sagen, das würde dem Zusammenhalt in der Gesellschaft schaden, wenn eine Partei kommen würde, die im Verdacht steht, türkisch zu sein. Dieser Widerpruch kommt von Leuten, die in die Türkei reisen und Wahlkampf für die HDP machen, die nicht müde werden, zu betonen wie gut diese ist. Das sind dieselben Leute, die sagen, um Gottes Willen die Türken sollen sich doch lieber in den großen Parteien engagieren anstatt selbst eine Partei zu gründen. Dabei wollen wir nur die Interessen der Menschen vertreten, die hier leben. Leider kann mir auch niemand diesen Wiederspruch auflösen. Was anscheinend für die Türkei gut sein soll, ist für Deutschland ganz schlecht.

DAS MILIEU: Mit Ihrer Parteigründung sprechen Sie hauptsächlich deutsche Bürger mit türkischen Wurzeln an. Wie wollen Sie weitere Wähler gewinnen, um auf Landesebene erfolgreich zu sein?

Aru: Wir werden auch auf Bundesebene erfolgreich sein, spätestens zu den nächsten Wahlen, also in das Europaparlament kommen wir 2019 auf jeden Fall rein. Das schaffen wir relativ locker. Wir werden natürlich auch versuchen, schon bei den Bundestagswahlen 2017 erfolgreich zu sein. Ich denke mal zwei bis drei Prozent haben wir schon relativ sicher und wenn wir es dann noch bis dahin schaffen, über die Kommunikation auch bei der Mehrheitsbevölkerung Stimmen zu bekommen, also bei eigentlichen CDU Wählern, dann sollte es für eine Beteiligung auf Bundesebene reichen. Auch werden wir unseren kulturellen Hebel einsetzen. Türken sind sehr familienbedacht. Wir werden uns viel um ältere Leute kümmern, die in Altersheimen und ähnlichen Einrichtungen sind und von ihren Kindern abgeschoben wurden, weil diese sich ja um ihren Hund kümmern müssen. Ich denke, da haben wir eine sehr starke Basis von Menschen, die sich um unsere älteren Mitmenschen kümmern werden.
Somit bin ich recht zuversichtlich, dass wir die fünf Prozent Hürde überspringen können.

Danach wird auch die Wahlarithmetik zeigen, inwiefern man mit anderen Parteien zusammenarbeiten kann, um an der Macht teilzuhaben und damit sagen zu können, was man sich konkret wünscht.

DAS MILIEU: Vielen Dank für das Interview, Herr Aru.

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