Rapper im Interview

Samy Deluxe: "Es ist unmöglich geworden, Wissen zu zensieren"

01.06.2019 - Hamed Chaudhry

Er ist ein Veteran des deutschen Hip-Hop. Während andere längst in der Versenkung verschwunden sind, rappt er noch immer. Mit über einer Million verkauften Tonträgern zählt er zu den erfolgreichsten deutschen Rapmusikern. DAS MILIEU sprach mit dem Rapper Samy Deluxe über die Identitätskrise in seiner Jugend, über kommerziellen Erfolg und seinen Lebenssinn.

DAS MILIEU: Du wurdest in Hamburg als Sohn einer deutschen Mutter und eines sudanesischen Vaters geboren. Welchen Bezug hast du zu deinen Eltern?  

Samy Deluxe: Zu meiner Mutter habe ich einen sehr großen Bezug. Und da sie auch ein Teil meines Managements ist, haben wir durch die Arbeit sicher viel mehr miteinander zu tun als es normalerweise der Fall wäre. Wir haben uns immer gut verstanden und sie mich auch immer supportet. Dagegen war mein Vater, seitdem ich denken kann, nie für mich da. Wir hatten auch nie richtig Kontakt. Einmal bin ich für drei Wochen in den Sudan geflogen, um mit ihm Zeit zu verbringen und meine Verwandten kennenzulernen. Doch das hat die Bindung zu meinem Vater nicht gerade enger gemacht, weil er in meiner Jugendzeit komplett gefehlt hat. Nach diesem Besuch hatte ich lange Zeit keinen Kontakt mehr zu ihm bis er vor neun Jahren starb.

MILIEU: Wie hättest du in der Zeit seines Fehlens deine Identität beschrieben? 

Samy Deluxe: Suchend. Das ist das richtige Wort. Ich bin sehr monokulturell aufgewachsen. Das war in einem Teil von Hamburg, der farblich nicht sehr durchmischt war. Und es war für mich gefühlt so, dass es in meiner Kindheit und meiner Jugend keinen Zeitpunkt gab, an dem nicht kommentiert werden musste, dass ich anders war und anders aussehe als alle anderen. 

MILIEU: In der Schule warst du ein richtiger Rebell, aber auch ein Fiesling?

Samy Deluxe: Ich war nie gewalttätig. Ich mochte es nie, Leuten weh zu tun. Ich hatte eher Probleme mit Autoritäten, die sich nur aufgrund des Berufstandes als Autoritätsperson ansehen. Nur weil du ein Lehrer bist, darf ich dich als Schüler nicht hinterfragen. Wenn ich smart genug bin und eine Lücke im System oder einen Widerspruch sehe, dann muss ich das auch äußern dürfen. Und da bin ich oft an Grenzen gestoßen, womit ich den Leuten das Leben immer etwas schwieriger gemacht habe. 

MILIEU: Du hattest überhaupt keine Lust auf Schule. In der elften Klasse hast du sie endgültig abgebrochen. Was war das für ein Tag als du diese Entscheidung gefällt hast und was hattest du stattdessen vor? 

Samy Deluxe: Ich war schon 13 Jahre lang in der Schule als ich dann die elfte Klasse abgebrochen habe. Die siebte und die zehnte Klasse hatte ich wiederholen müssen. Aber zu deiner Frage: Das ist wie, wenn du einen Lotto-Gewinner fragst. (lacht) Das war gefühlt der beste Tag in meinem Leben. Die zwei Wochen danach waren so gut, weil man immer noch in dem Rhythmus drin ist und ganz genau weiß, am Dienstagmorgen hätte ich jetzt eigentlich Mathe-Unterricht und die sitzen gerade alle da und ich kann in meinem Bett liegen. Das war auf jeden Fall ein gutes Gefühl. 

Das hielt nicht lange an, weil meine Mutter und mein Stiefvater mich sehr schnell vor die Wahl stellten: entweder du machst den Haushalt mit oder du ziehst aus. Dann bin ich ausgezogen. Meinen Schulabbruch habe ich damals damit begründet, dass ich lieber Musik machen möchte und das Angebot in der Schule für mich keinen Sinn macht. 

MILIEU: Hattest du in dieser Phase Vorbilder?

Samy Deluxe: Es gab immer Vorbilder, aber ich habe das immer sehr differenziert betrachtet. Ich wollte nie, in allen Facetten wie irgendjemand anderes sein. Was ich fokussiert habe, waren einzelne Facetten von Menschen, die ich beeindruckend oder inspirierend fand. Von denen lies ich mich anstecken.

MILIEU: Wie realistisch war dein neues Berufsziel „Rapper“? 

Samy Deluxe: Gar nicht. Ich entschied mich dazu, in einer Zeit Rapper zu werden, in der es diesen Beruf noch nicht einmal gab. „Ich werde Rapper“ war 2008 so wie wenn jemand heute sagt „Ich studiere Jura“. Da wurde man zweifelnd angeschaut. Es war sehr gewagt, ohne irgendwelche Sicherheiten diesen Weg aus purem Idealismus zu gehen. Das Ding wurde aber überraschenderweise riesengroß. Es wurde sogar zu einem Teenie-Ding mit kreischenden Fans vor der Bühne. Und dann kam das viele Geld.

MILIEU: Mit deinem Debüt-Album ging 2001 deine steile Karriere los und es kam das erste große Geld. Was war das für ein Gefühl für dich? 

Samy Deluxe: Das war bei mir damit verbunden, dass ich in meinen jungen Jahren ein Kind kriegen und verheiratet sein wollte. Ich hatte eine Frau, die gerne Geld ausgegeben hat – lieber als ich. Klar, ich kaufte mir mehr Platten als zuvor oder Klamotten, aber ich hatte zu der Zeit noch keinen Führerschein. Es gab keine Schnittstellen, um extrem durchzudrehen. Das hat mir aber meine Ex-Frau dann schon leichter gemacht. Sie brauchte irgendwann teure Gucci-Taschen oder Familien-Urlaube. Da floss dann auf jeden Fall das ganze Geld hin. Aber diese Jahre des schnellen Erfolgs sind sehr verschwommen. So geht es den meisten, die das erleben.

MILIEU: Wie lange ging das gut?

Samy Deluxe: Nur ein paar Jahre. Dann war Steuertime. Ich hatte das meiste Geld schon ausgegeben und jetzt stand ich vor einem riesigen Schuldenberg. Da hat man 13 Jahre in der Schule verbracht und keiner hat einem je erzählt, wie das Steuersystem funktioniert. Später kam auch noch die Scheidung dazu, die viel Zeit und Nerven gekostet hat. 

Ich hatte keinen konstanten Aufstieg, aber auch nie das Gefühl, dass es vorbei sein könnte, weil es zwischendurch viele Erfolge gab. Es gab immer Ideen für neue Alben. Auch wenn die Leute das letzte Album nicht mochten, wusste ich selbst das die großen Hits in mir liegen und ich dafür gemacht bin, große Hallen zu füllen. Das hat mich immer positiv gestimmt.

MILIEU: Wenn man sich deine Texte aus der Anfangszeit anhört, gehen die teilweise in eine komplett andere Richtung als, sagen wir: vor 2009. Oder?

Samy Deluxe: Nein, ich glaube eher, dass sich der Schwerpunkt verlagert hat. Ich bin ein Baukasten bestehend aus so vielen unterschiedlichen Bausteinen, die in der Theorie nicht unbedingt zusammenpassen. Meine große Bandbreite sieht man an meinem SAMTV Unplugged- Konzert. Das war von Anfang an so, aber der Schwerpunkt in den ersten Jahren war sicher der kiffende Battle-Rapper.

MILIEU: Wenn du dir unsere heutige Gesellschaft anschaust. Welche Entwicklungen bereiten dir die größten Sorgen?

Samy Deluxe: Mein Nachname ist Sorge. Ich habe so viele Sorgen. Ich habe mich in meinem Leben mit so vielen Sorgen beschäftigt, dass ich jetzt anders an die Dinge herangehe. Ich schaue mir lieber an, was mir Hoffnung macht. Klar, es gibt genug Dinge, die für mich problematisch in dieser Welt sind, viele Strukturen, die sich eingefahren haben, aber es gibt positives Potenzial. Es gibt viele coole junge Leute, die das Internet und die sozialen Medien nutzen. Es ist unmöglich geworden, Wissen zu zensieren.

Ich blicke relativ realistisch auf die Welt und glaube, dass das Gute und Schlechte immer in einer Balance sind. Ich kenne Menschen, die im Hinblick auf den Terrorismus meinen, dass wir heute in schrecklichen Zeiten leben, nie sei es unsicherer gewesen als heute. Ich denke mir dann immer: hast du nicht mit deinen Eltern oder Großeltern gesprochen? Die sind doch im fucking Weltkrieg aufgewachsen! Wir sind alle privilegierte Ar***löcher, die in ihrem Leben nichts Schlimmes erlebt haben, gemessen an dem, was die Generationen zuvor erlebt haben. Jeder kennt nur das, was ihn von der Geburt bis ins Jetzt umgibt. Menschen sind halt so, dass sie sagen: wo gibt’s denn in Deutschland Ghettos? Fahr mal nach Rio in die Favelas! Schau mal, wie es den Leuten dort geht und fühle dich dadurch besser. Diese Aussage verbessert aber die Situation der Betroffenen hierzulande nicht.

MILIEU: Was verleiht deinem Leben Sinn?

Samy Deluxe: Kunst zu schaffen. Früher hätte ich länger gezögert und gesagt, dass das wichtigste die Familie und Freunde sind, weil man damit indoktriniert wird. Das ist ja auch alles cool so, aber mich hat noch nie ein anderer Mensch langfristig so glücklich gemacht, wie der Fakt, dass ich aus dem Nichts Dinge erschaffen kann. Mich vor eine Wand hinzustellen auf der nichts ist und dort in zwei Stunden ein riesengroßes buntes Graffiti zu erschaffen oder ins Studio zu gehen, wo nur Stille ist in zwei Stunden einen Song zu kreieren, das fasziniert mich. Ich will so viel wie möglich davon schaffen und damit das soziale Engagement verbinden.

MILIEU: Vielen Dank für das Interview, Samy! 

 

 

Transkribiert von Tayyeba Raja.

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