Beobachtung

Schmetterlinge

01.06.2022 - Raimund Rolsberg

Dass ich heute kurz eingeschlafen bin, so in der Nachmittagssonne, wäre von keiner Bedeutung, obwohl es schon sehr lange her ist, dass ich einen traumlosen Schlaf am Nachmittag hatte.

Ich fühle mich wohl.

Es ist diese Art von Schlaf, der selten von jemandem Besitz nimmt, der einem danach erholt erwachen lässt.

Jedenfalls finde ich mich auf der Liege mitten am Nachmittag wieder und sehe da im Zustand zwischen Schlaf und Wachsein einen weißen Schmetterling vor meinen Augen fliegen. Er setzt sich in meine unmittelbare Nähe, so nah und sanft, dann fliegt er weiter und ist für mich unerreichbar in die Ferne verschwunden.

Sanft schließe ich das Augenlicht, das ist sehr einfach und denke daran, dass in der Kindheit die Tage voller Schmetterlinge waren. Es waren unzählige, welche sich auf der Wiese in Steinbach niederließen. Sie bildeten mit ihren Flügeln ein wahres Meer der Farben.

Keiner fürchtete sich vor ihnen.

Manchmal brauchte ich nur meine Kinderhände auszubreiten und hatte einen Schmetterling in meiner Handhöhle. Ich nahm ihn dann mit ins Haus und zeigte diesen durch ein leichtes Anheben der Finger. Dann ging ich zum Fenster und schenkte den Schmetterling seine Freiheit.

Als Jugendlicher hatte ich oft "Schmetterlinge im Bauch", damit meint man nicht, dass wir sie aßen, sondern verliebt zu sein.

Am schönsten war es, wenn diese Verliebtheit erwidert wurde und man mit seiner Liebsten gemeinsam Schmetterlinge auf einer Wiese beobachtete.

Jetzt fehlen mir manchmal diese Augenblicke der Harmonie. Mir fehlen auch die Schmetterlinge. Vor einigen Jahren war ich im Schmetterlingshaus in Wien und konnte keinen einzigen sehen. Ich habe mich wirklich bemüht, da war aber keiner.

Auch auf den Wiesenwegen und Wäldern haben sich alle versteckt.

Aber nun habe ich einen unerwartet gesehen. Es ist vielleicht der weiße Schmetterling meiner Kindheit, den ich damals kurz anrührte, und wiederum die Freiheit schenkte.

Vielleicht hat er sich bei mir revanchiert und er führt mich an längst verloren geglaubte Blumenwiesen und bunte Momente, um mir eine Art der Freiheit zu schenken.

Vielleicht führt er mich auch in eine Zeit, wo jeder Lebensmoment mit Schmetterlingen im Bauch und im Lebenslicht verbracht wird. Wer weiß das schon?

Daran denke ich, während der Schmetterling wiederzusehen ist und ich noch ein weiteres Mal in der Sonne einschlafe.

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