Gesellschaft

Selfie-Hype – Im Rausch einer Selbstinszenierung

01.03.2015 - Sumbal Jawid

Gute Lichtverhältnisse, ein Smartphone - kurz auf den Auslöser drücken und fertig ist das perfekte Selbstportrait auf Armeslänge. Besser bekannt als “Selfie“. Für die ganz Eitlen unter uns ist es natürlich nicht nur eine Aufnahme. Manchmal kommt dabei noch ein Selfie-Stab zum Einsatz, um ja auch das Bestmögliche von sich zu präsentieren. Und danach vielleicht noch etwas aufhellen, ein wenig retuschieren und fertig ist das noch perfektere Selfie für eine digitale Scheinwelt.

Jetzt mal Hand aufs Herz: sich von seiner Schokoladenseite zu präsentieren machen wir doch alle gerne, dagegen ist auch nichts einzuwenden. Das ist vollkommen natürlich, einfach menschlich. Ein wenig Selbstverliebtheit ist auch ganz gesund! Das Netz bietet uns heute zahlreiche Möglichkeiten, um uns selbst in Szene zu setzen. Die Smartphone-Kamera bringt das Ganze nochmal auf einen anderen Level: Wir können uns überall fotografieren und das mit anderen teilen. Der Darstellung im Netz sind dabei keine Grenzen gesetzt. Jeder darf mitmachen. Wer kontrolliert denn schon Altersgrenzen oder die unzähligen Beiträge der Nutzer auf ihren Inhalt? Es kostet außerdem nichts, aber letztlich zahlen wir den Preis mit unserer kostbaren Zeit.


Oversharing wird das ständige Teilen von Selfies auf sozialen Netzwerken inzwischen genannt. Es ist ein Bilderrausch, dem wir verfallen, ohne uns darüber bewusst zu sein. Obsessive Selbstbeschäftigung. Ein Massentrend oder Massenproblem? Ist es Eigen-PR oder Selbstinszenierung? Schummeln und lügen wir im Netz mehr? Oder haben wir gar Minderwertigkeitskomplexe? Oder ist dies alles womöglich einfach nur ein harmloser Trend, der so schnell wie er gekommen ist, sich auch wieder verabschieden wird? Das Selfie-Schießen ist zweifellos fester Bestandteil unserer digitalen Alltagskultur geworden.

 

Früher waren Fotos etwas eher Intimeres, sie waren mehr für den Privatgebrauch gedacht oder fürs Familienalbum. Seine Fotos mit einem Klick ins Netz zu stellen, um dabei womöglich Likes zu ergattern, ist eine fragwürdige Sache. Wir lassen uns überwiegend von Personen, die wir nicht einmal persönlich kennen, bewerten. Wieso müssen wir uns denn überhaupt bewerten lassen? Wieso stellen wir uns wie ein Produkt dar?  


Wir müssen unterscheiden: Es ist nichts daran auszusetzen sich ab und zu abzulichten und das zu teilen. Es hat sicherlich auch den einen oder anderen positiven Effekt. Doch es wird anscheinend zu etwas ganz Falschem: zu einem Geltungsdrang. Was wollen wir mit der Darstellung unserer Person erreichen? Wollen wir Likes, Aufmerksamkeit oder womöglich von jemanden entdeckt werden? Oder haben wir einfach zu viel Zeit?


Was bedeutet denn eigentlich ein Like? Es kann so vieles bedeuten: Mir gefällt einfach nur dein Bild und ich habe keine weiteren Absichten. Ich like dein Bild, weil du meins geliked hast. Ich möchte dich kennenlernen. Ich gebe dir durch mein Like ein klein wenig Selbstwertgefühl. Ich suche selber Aufmerksamkeit und gebe dir meine (vielleicht erhalte ich sie von dir zurück). So in etwa läuft es.
Aber es ist eher ein gesellschaftliches Problem. Man macht da einfach mit, ein heimlicher Wettbewerb, dessen man sich bewusst werden sollte. Es ist ein still und heimlich in unseren Köpfen ausgetragener Konkurrenzkampf, denn was löst es in unseren Köpfen unbewusst aus, wenn jemand mehr Likes hat als wir oder auch weniger? Es kann gut vorkommen, dass man denkt, die Person sei automatisch begehrter als wir. Bei zu wenigen Likes nimmt man die Person wahrscheinlich eben nicht so ernst wie eine mit vielen Likes. Denn oberflächlich gesehen sieht alles zwar nach Spaß und Unterhaltung aus, psychologisch gesehen ist es aber eher belastend, dass man ständig verglichen wird und sich selber ständig vergleicht.

Am wohlsten fühlen sich Selfies auf Instagram

 

Wenn wir über Selfies, über Selbstportraits reden, dann kommen wir an dem “sozialen“ Netzwerk Instagram nicht vorbei. Inwiefern das Netzwerk sozial ist, darüber lässt sich streiten. Wahrscheinlich wäre es mit den Selfies ohne Instagram anders. Eifrig auf Likes warten und wenn dann weniger kommen als erwartet, dann wird aus Frust der ein oder andere Beitrag auch mal gelöscht und manch einer beginnt womöglich auch mal zu zweifeln, vielleicht auch an sich selbst. Wie viele Likes sind zu viel und wie viele Likes zu wenig? Gibt es überhaupt zu viele oder zu wenige Likes, also eine Überbewertung bzw. Unterbewertung?


Wir posten auf den sozialen Netzwerken nicht unbedingt das, was uns gefällt, sondern das, was gefragt ist, das, was andere sehen möchten, denn sonst bekommen wir nicht genügend Likes. Wir machen es anderen recht und nicht uns selbst. Wir überlegen uns, wie andere uns wahrnehmen sollten. Ein zweites Ich fürs Netz? Wir sind Schauspieler und Instagram ist die Bühne, die Follower sind unsere Zuschauer, sie applaudieren, wenn ihnen etwas gefällt, mit einem Like, denn online muss sich jeder vermarkten. Aber: Hört sich das nicht ganz nach Werbung für ein Produkt an, wie eine Produktbewertung? Wir sind aber keine Produkte!


Schein oder Sein?


Das Gefährliche an der Sache ist, dass Selbstinszenierung keine klaren Grenzen hat. Da klopft niemand kurz an und warnt uns: “Sie stellen sich sehr realitätsfern dar, bitte passen Sie auf!“ Es ist wie eine Droge, es macht süchtig, denn bewundert werden möchten wir doch alle und Instagram & Co bieten diese Möglichkeit. Erhält man den Erfolg einmal, möchte man immer mehr. Das kennen wir aus der Psychologie. Es entwickeln sich Scheinidentitäten, denn es ist doch alles oft gestellt, was auf den ersten Blick nach Zufall aussieht und vor allem scheint es niemanden zu interessieren, wie viel “Wahrheit“ in einem Bild steckt. Und was ist mit den Bildbearbeitungen? Wie weit ist das Bild wirklich real und was ist Bearbeitung? Dafür gibt es keine klare Definition, jeder darf da selber entscheiden. Ein Leben geprägt von Bewunderung und Bestätigung und vor allem Realitätsferne. Wir posten nur Schönes, denn wir setzen unsere rosarote Brille auf und wenn dann etwas nicht so Schönes erscheint, ist man fast schockiert.

Narzissmus


Während Fotografien früher aus Naturaufnahmen bestanden, aus Gruppenfotos und Familienbildern, ist der Inhalt heute meistens wir selbst! Die ganze Thematik erinnert uns doch sehr an den jungen Narziss aus der griechischen Mythologie, der Inbegriff der Selbstverliebtheit. Es gibt viele Versionen, wie seine Geschichte endete.


1. Der junge Narzisst sieht sein Spiegelbild im Wasser, ohne sich dabei bewusst zu sein, dass er es ist und er kommt bei dem Versuch, seine große Liebe, das eigene Spiegelbild, zu erreichen, ums Leben. Er ertrinkt.
2. Während er sein Spiegelbild im Wasser anhimmelt, fällt plötzlich ein Blatt von einem nahegelegenen Baum auf dieses herab. Schockiert über sein verzerrtes Spiegelbild und seine Hässlichkeit nimmt sein Leben ein Ende.
3. Er sieht sein Spiegelbild im Wasser und merkt, dass es nicht möglich ist, diesem nahe zu sein. Er hat Sehnsucht nach sich selbst, nach seinem Spiegelbild und stirbt am Ende an diesem unstillbaren Verlangen, woraufhin er sich in eine Narzisse verwandelt.


Ganz gleich, welches Ende diese Geschichte nahm: Vor lauter Selbstverliebtheit und Sehnsucht nach sich selbst kommt er ums Leben. Seine krankhafte Selbstliebe hat ihn am Ende zerstört. Wann hört die Grenze zur harmlosen Selbstdarstellung auf und ab wann handelt es sich um Narzissmus? Die sozialen Netzwerke fördern den fotografischen Narzissmus. Diese Selbstverliebtheit ist genau wie bei Narziss. Vor allem junge Mädchen sind davon betroffen. Heranwachsende gewöhnen sich daran, dass es normal und fast schon ein Muss ist, sich ständig zu zeigen.

Jugendliche und Selbstdarstellung


Den vielen Herausforderungen, die die Digitalisierung und heutige Medienkultur mit sich bringen, scheinen Jugendliche am wenigsten gewachsen zu sein. Wie sollten sie denn auch, wie sollten wir denn auch? Für uns Erwachsene selbst ist es eine Herausforderung, wie wir damit umgehen. Es gibt natürlich Jugendliche, die anfälliger für narzisstische Ansätze sind als andere. Wir müssen einfach mit der Haltung “Es ist nicht alles Gold, was glänzt“ an soziale Netzwerke herangehen.


Ein gesundes Maß an Selbstbewusstsein braucht keine ständige Bestätigung. Ein gesundes Selbstwertgefühl braucht nicht unbedingt Likes. Haben Selfie-Süchtige kein oder nur ein gestörtes Selbstwertgefühl? Ja, denn ein gesundes Selbstwertgefühl entsteht nicht etwa durch die Bestätigung von anderen, sondern durch das Bewusstsein von uns selbst, das vielleicht von anderen etwas geweckt, aber nicht durch sie definiert werden kann! Aber was ist mit den Prominenten, sind sie durch soziale Netzwerke ebenfalls anfälliger für narzisstische Verhaltensweisen, weil sie ständig bewundert werden? Allen voran Kim Kardashian West, die Selfie-Queen unter den Promis. Sie gab inzwischen selbst zu, selfie-süchtig zu sein. Außerdem schlägt sie inzwischen auch Kapital aus ihrer übertriebenen Selfie-Sucht, denn sie veröffentlicht im kommenden Mai ein Buch betitelt “selfish“. Ein ca. 352 seitiges Bildband voll mit ihren Selfies.


Sich darstellen, Aufmerksamkeit erlangen und gelobt werden, das  wollen wir doch alle, aber bitte nicht mit Scheinidentitäten. Denn ein reales Kompliment ist doch viel schöner, verglichen mit einem doofen, nicht weiter erläuterten Like. Wer sich gut in Szene setzen kann, der sollte doch mal bei einer Werbeagentur vorbeischauen, dort ist diese Kreativität sicherlich besser investiert als in die Inszenierung des eigenen Selbst für fragwürdige Zwecke. Wem es Spaß macht, sich für andere darzustellen, dem empfiehlt sich eine Schauspielschule mit richtiger Bühne und echten Zuschauern, denn wir machen uns und anderen im Grunde genommen doch etwas vor, wenn wir ständig versuchen, uns neu zu inszenieren, damit wir ein wenig Aufmerksamkeit erlangen und so ein falsches Selbstwertgefühl entwickeln.

 

 

 

 

 

Foto: © Paško Tomic

 

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