Eine Frage des MILIEUs

"Sollten Ärzte beim Sterben helfen?"

15.02.2018 - Dr. Thomas Sitte

Das ist überhaupt keine Frage. Selbstverständlich ja. Ich selber habe in den letzten Tagen vielfach beim Sterben geholfen. Bei mehr als einem hochbetagten vielfach erkrankten Menschen, der einfach keine Kraft mehr zum Weiterleben hatte. Bei jüngeren Menschen im „besten Alter“, bei denen nach schwersten Hirnschäden klar war, dass sie so nicht weiterleben wollten. Auch bei Kleinkindern, Säuglingen, die lebensverkürzend erkrankt unter heftigsten Beschwerden litten.

Von der Wiege bis zur Bahre

Keine Frage. Wir müssen als Ärzte unseren Patienten beistehen, so gut wir es können. Von der Geburt bis zum Tod und darüber hinaus sind wir ihnen verpflichtet. Unsere Aufgabe ist es Gesundheit zu fördern, Krankheiten vermeiden zu helfen. Unsere Aufgabe ist es, Krankheiten heilen zu helfen. Und natürlich ist es auch unsere Aufgabe, Kranke, die nicht mehr geheilt werden können, bei ihrem Sterben zu helfen, Ihnen beizustehen, vielleicht ihnen Kraft zu geben, ihr Leiden zu lindern. Es ist wunderbar zu sehen, wieviel Lebensqualität auch in schwierig erscheinender Lage dann wiedergewonnen wird. Es wirkt für damit nicht Erfahrene wie ein Wunder, wenn sie sehen, dass die Kranken nicht nur besser sterben, sondern auch länger und besser leben können, wenn sie von echten, engagierten Experten exzellent begleitet werden und nicht einfach nur eine Morphininfusion angehängt wird, um das Leiden zu beseitigen, indem man das Leben beendet.

Wenig Expertenwissen, viel Verwirrung

Nur leider gibt es noch viel zu wenige dieser Experten, ihre Arbeit wird auch viel zu wenig angemessen medial dargestellt, so dass die Bevölkerung immer noch viel zu wenig von dieser Möglichkeit weiß. Was medial überzeugend aufbereitet und oftmals leider überhöht dargestellt wird, ist die Lebensverkürzung als scheinbar humane Tat von Ärzten und anderen. Ich weiß aus meiner Arbeit, dass es NICHT notwendig ist, Leben zu verkürzen, um Leiden zu lindern. Ich weiß aus täglichen Erfahrungen, dass wir keine ärztliche Beihilfe zur Selbsttötung, Tötung auf Verlangen oder gar Mitleidstötungen brauchen, um Schmerzen oder Atemnot zu lindern, Wunden zu versorgen oder Einsame und Verzweifelte zu trösten.

Es erscheint mir geradezu grotesk, wenn ich in einer Zeitung zwei Berichte am selben Tag lese. Der erste handelt davon, ob nun in Deutschland Menschen ein Recht darauf haben, Natriumpentobarbital als Selbsttötungsmittel der ersten Wahl verschrieben zu bekommen. Der andere handelt von den großen Problemen in den Vereinigten Staaten, gute Tötungsmittel zu finden, damit zum Tode Verurteilte eine Giftspritze vom Arzt erhalten können und der Staat zugleich garantiert, dass diese auch wirklich totsicher sind und die Verurteilten dadurch völlig ohne Leiden sterben.

Wofür ich als Arzt ganz sicher nicht zuständig bin, ist es, Menschen zum schnellen Tod zu helfen, die ihre Lebensbilanz nur noch negativ sehen, vielleicht einsam, lebensüberdrüssig, depressiv sind und wegen ihrer verschiedenen großen und kleinen Problemen meinen ihrem Leben ein Ende setzen zu müssen. DAS konnten sie schon immer auf die verschiedenste Art und Weise und das können sie auch zukünftig ohne Arzt.

Körperliches Leiden bei schwerster Krankheit zu lindern und so beim Sterben zu helfen ist möglich. Leider sind die Möglichkeiten kaum bekannt, zu wenig Experten haben die notwendigen Erfahrungen und in vielen Regionen der Welt sind selbst die einfachsten und preiswerten medizinischen Möglichkeiten der Leidenslinderung nicht verfügbar.

Ja, ich kämpfe dafür, dass wir Ärzte und auch jeder Laie, Sterbehelfer sein können. 

Alphabetisierungskampagne zur Palliativversorgung

Und ja, ich kämpfe dafür, dass die Gesellschaft, die Entscheider, jeder Einzelne weiß, dass Lebensverkürzung zur Leidenslinderung nicht notwendig ist. Dafür bin ich nun Mitglied einer kleinen Expertengruppe im Vatikan, die mit dem PAL-LIFE-Project Mittel und Wege aufzeigt zu einer globalen „Alphabetisierungs-Kampagne“ zur Health-Literacy über Palliativversorgung.

Dr. med Thomas Sitte ist ein Palliativmediziner und Schriftsteller zahlreicher Bücher und Publikationen zur Palliativmedizin und Demenz. Er hat unter anderem die Deutsche PalliativStiftung (DPS) ins Leben gerufen. Er setzt sich für die Verbesserung der Hospizarbeit und Palliativversorgung für schwerkranke und sterbende Menschen in Deutschland ein.

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