
"Sorgen deutsche Waffenexporte für Flüchtlingsströme?"
01.01.2018 -„Sorgen deutsche Waffen für Flüchtlingsströme?“ Diese Frage ist eine rein rhetorische. Wie bereits die Vorgängerregierungen leistete auch die CDU/CSU-SPD-geführte Bundesregierung unter Führung von Angela Merkel und Sigmar Gabriel von 2013 bis 2017 aktiv Beihilfe zur Eskalation der Gewalt und zur Stabilisierung autokratischer, repressiver und diktatorischer Regime in Ländern, aus denen Menschen massenhaft fliehen mussten. Mit ihren milliardenschweren Rüstungsexportgenehmigungen an menschenrechtsverletzende und kriegführende Regierungen und Regime, trug und trägt die Bundesregierung massiv zum Fluchtgrund Waffenhandel bei. Die Folgen dieser ebenso verantwortungslosen wie menschenverachtenden Regierungspolitik sind fatal: Allein nach Deutschland flohen in den vergangenen Jahren mehr als zwei Millionen Menschen.
Dabei kann die Bundesregierung auf eine langjährige Tradition von Waffenausfuhrgenehmigungen zurückblicken. Allein in den Achtziger- und Neunzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts ermordete die türkische Armee Zehntausende Kurd*innen im Südosten des Landes – maßgeblich mit Waffen von Heckler & Koch (H&K). Mehr als eine Million Menschen aus Türkisch-Kurdistan flohen maßgeblich vor dem Einsatz deutscher Maschinenpistolen des Typs MP5 und Sturmgewehre des Typs G3, in Lizenz von H&K und der Bundesregierung gefertigt bei MKEK in Ankara. Die allermeisten der Geflüchteten kamen nach Deutschland. Vielfach nicht wissend, dass sie in einem Land von Repressoren- und Diktatorenfreunden Schutz suchten.
Was hat die Bundesregierung aus den Schandtaten der Vergangenheit gelernt? Augenscheinlich nichts, wie ein Blick auf die derzeitige Rüstungsexportpolitik verrät.
SIPRI schlägt Alarm: 2016 stark steigende Rüstungsexporte aus Deutschland
Die aktuellen Zahlen zum Waffenhandel mit Großwaffensystemen (wie Kampfpanzer und -flugzeuge sowie Militärhelikopter) sind ernüchternd. Im Dezember 2017 publizierte das Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI die globale Rüstungsexportbilanz für das Vorjahr. Demnach verkauften international agierende Rüstungskonzerne 2016 weltweit weitaus mehr Kriegswaffen als in den Jahren zuvor. Der Umsatz der Top 100 stieg bei Waffen und militärischen Dienstleistungen auf nunmehr 374,8 Milliarden Dollar (fast 318 Milliarden Euro). Erstmals – nach fünf Jahren verminderter Waffentransfers – nahmen die Rüstungsverkäufe 2016 wieder zu – laut SIPRI um 1,9 Prozent im Vergleich zu 2015 und um 38 Prozent im Vergleich zu 2002.
Besonders dramatisch ist die Entwicklung in Deutschland. Hierzulande steigerten Waffenschmieden ihre Rüstungsexporte um insgesamt 6,6 Prozent auf rund sechs Milliarden Dollar. Die Speerspitze bildeten dabei die Düsseldorfer Rheinmetall AG mit einem Zuwachs um 13,3 Prozent, gefolgt vom Kampfpanzerbauer Krauss-Maffei Wegmann in München und Kassel mit einem Plus von 12,8 Prozent.
Beide Unternehmen hätten von der Nachfrage nach Waffen profitiert, analysiert der SIPRI-Experte Pieter Wezeman die aktuelle Entwicklung. Wezeman nennt neben den Empfängerregionen in Europa und in Südostasien vor allem den Mittleren Osten. Wahrlich ein lukrativer Absatzmarkt dank der dort tobenden Kriege.
Deutsche Kriegswaffenexporte an Diktatoren, Repressoren und Warlords
Überraschend erscheinen diese SIPRI-Zahlen nicht, erschreckend sind sie dennoch. So offenbarte bereits ein Blick in den regierungsamtlichen Rüstungsexportbericht 2016 der Großen Koalition Monate zuvor eine fortgesetzt düstere Entwicklung. Allein der Wert der erteilten Einzelausfuhrgenehmigungen betrug 6,848 Mrd. Euro – das zweithöchste Volumen, das jemals gemessen worden war.
Auch die Empfängerländer deutscher Kriegswaffentransfers sprechen für sich: So wurden umfangreich Ausfuhrgenehmigungen für Staaten im Maghreb, dem Nahen und Mittleren Osten erteilt: für Algerien 846,5 Mio. Euro, Ägypten 337,0 Mio. Euro, den Irak 10,9 Mio. Euro, Israel 2,8 Mio Euro, Jordanien 10,1 Mio. Euro, Oman 7,1 Mio Euro, Saudi-Arabien 21,3 Mio. Euro und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) 13,2 Mio. Euro. Unter den Top 10 deutscher Empfängerländer befanden sich mit Saudi-Arabien, den VAE und Ägypten drei Staaten, die sich im Krieg mit dem Jemen beteiligten.
Allen voran die exorbitant hohen Steigerungen der Genehmigungen für den Export sogenannter Kleinwaffen (von Pistolen über Maschinenpistolen bis hin zu Sturm-, Maschinen- und Scharfschützengewehren) sprach für sich: Im Jahr 2016 wurden Kleinwaffenexporte im Wert von 46,89 Mio. Euro erteilt – im Vergleich zum Vorjahr eine Steigerung um sage und schreibe 47 Prozent. 2016 wurden erneut Kleinwaffentransfers ins Kriegsland Irak genehmigt, u.a. für 4000 weitere Gewehre mit KWL-Nummer (Kriegswaffenliste) im Wert von mehr als 2,1 Mio. Euro. [Quelle: Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter im Jahre 2016, S. 27, 28, 29, 30, 32]
Deutschland ist im weltweiten Ranking zum drittgrößten Exporteur von Kleinwaffen avanciert. Die Bundesregierung genehmigte einmal mehr Kriegswaffenexporte an Diktatoren, Repressoren und Warlords. Mit den Waffentransfers in den Irak nahm die Bundesregierung den Bruch des Völkerrechts und damit des Grundgesetzes in Kauf. Denn bis zum heutigen Tag gilt ein Waffenembargo der Vereinten Nationen für den Irak – was beibehalten werden muss, wie der folgende Fall nachdrücklich belegt.
Deutsche Kriegswaffen in Händen von Terroristen – zum Beispiel bei der Terrororganisation IS
Weltweit schießen Terroristen mit Kriegswaffen aus deutscher Fertigung oder ausländischer Lizenzfertigung. Die Liste ist lang und umfassend. Seit langen Jahren nachgewiesen ist beispielsweise der Einsatz von G3-Schnellfeuergewehren von Heckler & Koch durch Taliban in Afghanistan. Diese Kleinwaffen wurden in Lizenz bei Pakistan Ordnance Factory (POF) hergestellt und offensichtlich über Mittler des pakistanischen Geheimdienstes geliefert.
Auch im Kriegsland Irak sind deutsche Gewehre im Kampfeinsatz. Bereits am 1. September 2014 hatte der Deutsche Bundestag mehrheitlich beschlossen, Kleinwaffen an die Peschmerga im Nordirak zu liefern – was seither in großem Umfang auch passiert. Abertausende G3- und G36-Sturmgewehre fanden mittlerweile ihre Schützen im Norden des Irak, desgleichen wurden rund sechs Millionen Schuss Munition geliefert.
Längst konnte auf den Waffenmärkten im nordirakischen Kirkuk und Erbil nachgewiesen werden, dass G3 aus Bundeswehrbeständen vom IS gekauft und eben gegen die Peschmerga eingesetzt wurden. Die Herkunft dieser Kriegswaffen ist in den Schnellfeuergewehren eingestanzt.
Meine Erfahrung Jahrzehnte währender Vor-Ort-Recherchen lautet: Waffen bleiben selten dort, wo man sie hinliefert. Sie wandern dorthin, wo man am meisten bezahlt wird. So lautet das Gesetz des Marktes auf den Kriegsschauplätzen in aller Welt.
Wer Waffen sät, wird Flüchtlinge ernten
Im genannten Berichtszeitraum 2016 forderten die Kriege im Irak und in Syrien weltweit die meisten Opfer. Dabei hatte Russland mit befreundeten Staaten das syrische Assad-Regime bis an die Zähne mit Waffen hochgerüstet und somit an der Macht gehalten, während die USA mit befreundeten Nationen in der Nato über Jahre Rebellengruppen mit Kriegswaffen ausgestattet hatte. Was dazu führte, dass die Region in Schutt und Asche lag und liegt und Millionen Menschen in die Flucht getrieben wurden.
Mit anderen Worten: Waffenexporte der reichen Industriestaaten an Diktatoren und Repressoren in den Krisen- und Kriegsgebieten im Nahen und Mittleren Osten, dem Maghreb und den Entwicklungsländern des Südens stellen einen absolut zentralen Fluchtgrund dar. Deutschland spielt dabei eine erhebliche Rolle. [Quelle: „Fliehen, um zu überleben. Sind auch deutsche Waffen ein Fluchtgrund? Fragen an den Rüstungskritiker Jürgen Grässlin“; Interview von Bettina Röder mit Jürgen Grässlin für das Dossier FLUCHTURSACHEN, Beilage im Publik Forum vom November 2017]
Eine Unterscheidung nach guten und bösen Empfängern deutscher Kriegswaffen – wie sie der vormalige Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel wiederholt zur Legitimierung derartiger Ausfuhrgenehmigungen ins Feld geführt hat – ist obsolet. Waffen wandern.
Menschen müssen vor dem Einsatz deutscher Kriegswaffen – sei in Händen von Regierungstruppen, Guerillaeinheiten oder Terroristen – fliehen. Wer Waffen sät, wird Flüchtlinge ernten. Gabriel und Merkel wissen das, die Bundesregierung weiß das – und genehmigt dessen ungeachtet weiterhin Kriegswaffenexporte an Barbaren und Schlächter in Krisen- und Kriegsgebieten. Diese Politik der Bundesregierung ist weder sozial noch demokratisch noch christlich. Sie ist heuchlerisch, verlogen und inhuman.
Wer Fluchtgründe beseitigen will, muss da ansetzen, wo ein konkreter Ansatzpunkt besteht. Effizient und erfolgreich wäre ein sofortiger vollständiger Stopp aller Kriegswaffenexporte an menschenrechtsverletzende und kriegführende Staaten – impulsgebend eingeleitet von der deutschen Bundesregierung.
