Klimawandel

Strukturelle Veränderungen - aber wie?

01.09.2019 - Dr. Burkhard Luber

„Revolution in Deutschland? Das wird nie etwas. Wenn diese Deutschen einen Bahnhof stürmen wollen, kaufen die sich noch eine Bahnsteigkarte!“ (Lenin)

Wie/Warum kommen “Veränderungen” zustande? Die Mutter aller Revolutionen = 1789 deshalb, weil die Leute in Frankreich damals nicht mehr mit den herrschenden Verhältnissen zufrieden waren. Spätere “Revolutionen” waren zwar auch umwälzend, aber teils von außen induziert (Russland 1917) oder waren erfolgreich, weil sie Teil von anderen größeren politischen Prozessen waren. So zB die osteuropäischen “Revolutionen” als Konsequenz des Zusammenbruchs der Sowjetunion. Sonderfälle wie Chile wären extra zu analysieren.

Ein wesentlicher Unterschied zwischen der Revolution vom Typ 1789 und dem Jahr 2019 ist mE, dass damals die Verursacher der schlechten Verhältnisse klar definierbar waren (und deswegen auch persönlich dafür haftbar gemacht wurden). 2019 scheint das schwieriger zu sein: Wer verursacht den heutigen Wachstums-Wahn? Die Banken? Amazon? Google? Facebook? Und selbst wenn man a la modo 1789 aus diesem Umfeld versuchen wollte, Leute persönlich haftbar zu machen - sind diese nicht rasch problemlos austauschbar?

Deshalb meine These: Die öffentliche Meinung adressierende Demos und Appelle haben heute keine Erfolge für “strukturelle” Veränderungen mehr. So begrüßenswert FFF in seiner Meinungsbildung in der Öffentlichkeit ist, schulfreie Freitage haben keine “strukturelle” Auswirkungen, weder im Schulsystem noch gar in der Gesellschaft. Deshalb geht auch die mit FFF verbundene Bedeutungsveränderung des Wortes “Streik” in die Irre. Streiks hatten das alte schöne Gewerkschafts-Motto “Alle Räder stehen still, wenn ein starker Arm es will”. Durch FFF in ihrem jetzigen Profil steht nix “still”. Die ausfallenden Stunden werden schon längst im künftigen Schuljahres-Lehrplan eingepreist. Allenfalls könnte man ironisch sagen: Wieviel leere Luft ist anscheinend im ggw Schulunterricht, dass rund 20% davon offenbar problemlos ausfallen kann. Anders sähe es wohl schon aus, wenn eine ganze Woche schul”gestreikt” würde oder mehrere Wochen hintereinander en bloc. Das zwänge zB die Eltern in die Entscheidung, solche massiven Schüler*innen-Streiks zu tolerieren, sozusagen zu “legalisieren”, oder auch nicht. Denn rund 200.000 wochenlang streikende Hamburger Schüler*innen können mit staatlichem Zwang nicht mehr domestiziert werden (Wie auch? = viel zu wenig Polizist*innen um die Schulpflicht per Zwangsabholung von allen Schulkinder-Häusern durchzusetzen).

Dass Greta nach ihren eigenen Worten gezielt auf Panik setzt, überzeugt mich nicht. Panik generiert erst Angst, danach Trotz und später durchaus auch kontraproduktive Kurzschlusshandlungen. So jedenfalls die Befunde der Individual- und Kollektivpsychologie.

Konsequenz (These): Weil die Verursacher der schlechten Verhältnisse, hier exemplarisch: die Wachstums-Wirtschaft, wenig direkt persönlich adressiert werden können und auch als Growth-Agenten austauschbar sind, helfen nur Verweigerungen mit spürbaren wirtschaftlichen Auswirkungen (also erheblich über FFF hinausgehend)

Schon - Nebenthema, aber dennoch instruktiv - wenn die Bundeswehr trotz aller eleganten smarten Nachwuchspropaganda immer weniger Soldaten gewinnen könnte, würde Entmilitarisierung ganz ohne viel Abrüstungs-Appelle erfolgen.

So ähnlich stelle ich mir erfolgreiche Verweigerungen auch auf anderen Gebieten vor, wobei frau/man sicher betriebswirtschaftlich den zeitlichen und persönlichen Mitwirkungs-Umfang kalkulatorisch ermitteln kann, der notwendig ist, um einen Betrieb so empfindlich zu stören, dass Degrowth “erzwungen” werden kann. Konkret: Wieviel Kaufverweigerung (Bestellmengen und Dauer) bringt zB Amazon in die Gefahr des Bankrotts, wenn dort nichts mehr gekauft wird? Bei welcher Reduktion von Buchungen (Anzahl und Dauer der Aktion) gehen Billigflieger in Konkurs? Usw.

Der Vergleich einer Aufwand/Wirkung-Kalkulation zwischen solchen Verweigerungsformen und traditionellen Protestformen wie zB Kohlekraftwerke-Blockaden ist nicht leicht und das kann ich hier auch nicht leisten. Wahrscheinlich verläuft er entlang der Bewertungsfragen: Was ist spektakulärer, was ist massenwirksam-möglicher bzw. erfordert geringeren Mobilisierungs-Aufwand, was trifft “den Gegner” empfindlicher etc.?

Bei dieser Betrachtungsweise, die ich hier einfach mal zur Diskussion stelle, ohne der Frage nach den Operationalisierungs-Möglichkeiten (Wie könnten solche massenhaften Verweigerungen organisiert werden?) oder den Operationalisierungs-Wahrscheinlichkeiten (Wie sähe eine erfolgreiche Mobilisierung dafür aus?) weiter detailliert nachzugehen, ist mir allerdings ziemlich klar: Verzicht (hier als “Streik”methode begriffen) gibt´s nicht zum Nulltarif. Solche Verweigerungs-“Streiks” kommen nicht ohne persönliche Einschränkungen aus.

So schließt sich die Frage an, woher die Motivation für eine solche Verweigerungs-Haltung herkommen kann. Religiös? Dazu sind die Kirchen als religiöse Agenturen mE zu mainstream und durch ihre Komplizenverbundenheit mit Staat und Banken zu korrumpiert. In diesem Zusammenhang übrigens interessant: Ich habe bisher noch nirgendwo etwas zum thematischen Umfeld Degrowth, ja überhaupt zur Klima- und Ökologiedebatte aus dem Blickpunkt der islamischen Theologie gelesen oder gehört. Zufall? Oder islamimmanent? Humanistisch-ethisch? Ich hab da meine Zweifel. Zwar ist es wohl hoffentlich nur eine Minderheit, die heimlich denkt “Ökologie? Interessiert mich nicht. Mein Auto fährt auch ohne Wald”. Aber: (die folgenden Beispiele gehen über den Aspekt des Streiks im engeren Sinne hinaus, sollen aber die Konsequenzen für Degrowth-Handeln veranschaulichen) Wieviel Leute sind bereit einen Benzinliterpreis von zB 5 Euro zu akzeptieren, ein ticket nach Malle für dann 2000 Euro, eine drastische massive Sonder-Besteuerung bei Autokäufen, ein verbindliches Baurecht, dass auf jedem Gebäudedach, ob Neubau oder Nachrüstung bei Altbauten, Solarpanels zwingend vorschreibt? Wäre es der deutschen Gesellschaft zumutbar, dass alle völlig abwegigen Regionalflughäfen in Deutschland geschlossen würden und nur noch Berlin (wenn BER überhaupt jemals funktioniert…), Hamburg, München und Frankfurt übrig blieben?

Das mögen vielleicht absurd klingende Beispiele sein, aber mE kommt eine degrowthing Gesellschaft und Wirtschaft an solchen Perspektiven nicht vorbei. Von noch drastischeren (staatlichen! Zwangs-)Maßnahmen wie Kontingentierung der für den Individualverbrauch durch Gesetz zur Verfügung gestellten zulässigen Energiemenge (Elektrizität, Wasser, Gas) noch ganz zu schweigen. Könnte es sein, dass eine degrowth-Gesellschaft mit solch dirigistischen (Zwangs)Maßnahmen operieren müsste, dass demgegenüber die damalige DDR im Vergleich dazu wie ein liebenswerter Ponyhof erscheinen würde?

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