Kurzgeschichte

Terminator

01.06.2015 - Cihan Köse

„Ja, aber mein Handy sagt...!" - Als vor Kurzem eine Bekannte in der Türkei verstarb, habe ich so unmenschliche Dinge erlebt, dass ich resigniert mein Fazit ziehe: Wir Menschen haben gegen den technischen Fortschritt verloren!

Dass wir in Gruppen sitzen und jeder auf sein Handy guckt, ist ja leider schon perverse Gewohnheit. Wir haben uns einfach daran gewöhnt, dass unser Gegenüber fast taubstumm auf sein Handy starrt, statt mir zuzuhören, und gelernt mit solchen Situationen umzugehen. Ich zum Beispiel genieße in solchen Momenten einfach die Stille. Auch inoffizielle Regeln wie 'Wenn wir als Gruppe unterwegs sind, dann lasst uns die Handys nur für Notfälle nutzen' gleichen eher einem Parteiprogramm: Etwas vorschlagen, was alle eigentlich gut finden, nur um dann im Anschluss das Gegenteil zu tun. Jeder probiert irgendwie heimlich aufs Display zu schauen – denn wer will schon seine Online-Persönlichkeit aufgeben? Und ein Mensch, der sich für mich Zeit nimmt, mir gegenüber sitzt und womöglich Interesse an meinem echten Leben hat, der braucht doch nicht meine Beachtung. Dass er mir nämlich in fünf Minuten immer noch gegenübersitzt, weiß ich doch schon vorher. Und selbst wenn die Blicke aufs Handy immer „nur ganz kurz“ sind und wir also unseren Gesprächspartner immer nur ganz kurz verletzen, ist das unserem anderen Ich, der Online-Persönlichkeit, völlig egal.

Jedoch geben wir nicht nur unseren Gegenüber auf. Was ist mit den Dingen, die ein wirklicher Teil von mir sind? Meine Geschwister, meine Eltern, meine Kinder? Wir freuen uns über jedes neue Modell von Samsung und iPhone, da wir nun noch schneller ins Internet können. Noch schneller E-Mails lesen, tippen und beantworten. Immer für den Chef und für neue Aufgaben verfügbar sein – es geht ja schließlich um meinen Job und mein Boss könnte für mich doch schnell Ersatz finden. So bringt eine neue Generation von Eltern den Kindern zwar bei, was man alles so mit Handys machen kann, aber sie bezahlt es mit dem Preis, dass weder sie selbst noch ihre Kinder verstehen, was das heißt: 'Feieraben' (Definition: Freizeit im Anschluss an den Arbeitstag'). Auch hier verlassen wir das weite Land der Liebe namens 'Familie', weil der Schatten namens 'Angst um Job & Geld' uns dazu zwingt. Oder wie sind 81 Millionen Menschen in Deutschland zu verstehen, die über 112 Millionen Mobilfunkanschlüsse besitzen? Wir wollen um jeden Preis erreichbar sein – nur nicht für die Menschen, denen wir wichtig sind!


Aber auch das wird übertroffen. Es gibt nämlich die absolute Selbstaufgabe. Wir sind eine intelligente Spezies, die es schaffen wird, ihre wichtigste Bedeutung aufzugeben: die Menschlichkeit. Früher sind wir joggen gegangen und haben uns einen Plan erstellt, wann wir welche Strecken zurücklegen wollen. Heute liege ich auf dem Sofa, kratze mich am Bauch, gebe ein paar Information über mich ins Handy ein und eine App erklärt mir, wie gut mein Körper drauf ist und welchen Belastungen er standhält. Das große 'aber' hierbei ist: Sollte nicht jeder seinen Körper und seine Belastbarkeit lieber selbst kennen lernen? Dass einige dieser Apps motivierend sind sei unbestritten. Aber es geht darum, dass wir dieses wundervolle Geschöpf namens Mensch immer mehr an den technischen Fortschritt hinterhältig verraten. Wir haben Autos erfunden, die von alleine einparken können. Es ist eine Frage der Zeit bis sie uns per Autopilot von Punkt A nach Punkt B fahren. Wir halten dann während der Fahrt ein Nickerchen oder können E-Mails verschicken. Das klingt zunächst sehr verlockend, aber was passiert eigentlich, wenn diese technischen Geräte ausfallen? Wie weit soll ich eigentlich joggen, wenn mein Handy spinnt und die App mir nicht mehr sagen kann, was gut für meinen Körper ist? Als von der Technik im Stich gelassener Mensch weiß ich ja gar nicht, was ich mit meinem Körper anfangen soll. Was passiert eigentlich, wenn die Parkhilfe nicht mehr funktioniert und ich dringend in eine Parklücke muss, weil z.B. mein Kind seine Theateraufführung hat? Dass dann die Eltern der anderen Kinder alles mit dem Handy filmen und sich auf das Display konzentrieren, statt dem Kind die Aufmerksamkeit zu widmen, sei nur nebenbei bemerkt. Wir geben unsere Menschlichkeit auf, um uns von der Technik leiten zu lassen und nach ihrem Willen zu handeln. Wir erfinden und nutzen immer mehr technische Hilfsmittel, die uns unser Menschsein Stück für Stück abnehmen. Wir haben zwar das Recht uns für die Technik aufzugeben. Wir haben meinetwegen auch das Recht zugunsten von Technik unseren Gegenüber beim Gespräch nicht wahrnehmen zu müssen und auch die uns liebenden Menschen zu ignorieren. Nur womit nehmen wir uns das Recht, bei einer Beerdigung scheinbar schicke Fotos und Selfies zu schießen? Was muss in solchen Menschen vorgehen, die ein Foto von dem Moment posten, als der Sarg in die Erde gelassen wird? Warum stehlen wir nun auch den Verstorbenen die letzte Ruhe?

Die Antwort ist einfach: Mein Online-Ich brauch etwas Vorzeigbares. Es möchte existieren und beachtet werden. Daher ist es süchtig nach Kommentaren und Gefällt-Mir-Zahlen und schaltet dafür unsere Gefühle und unseren Verstand ab. Wir dienen den Maschinen, lassen uns von ihnen leiten und wissen nicht mehr, ohne sie auszukommen. Sie bestimmen unseren Alltag und unser Handeln. Mein echtes Ich hingegen, das meine Mitmenschen sehen, berühren und riechen können, verliert immer mehr an Bedeutung. Unser Körper ist bald nur noch da, um die Technik zu bedienen. Und darum haben wir Menschen den Kampf gegen unsere eigene Technologie verloren!

 

Foto © Esther Vargas

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