Rezension

This is not an Atlas. A global collection of counter-cartographies.

15.04.2019 - Dr. Burkhard Luber

“Maps articulate statements that are shaped by social relations, discourses and practices, but these statements also influence them in turn. Hence maps (and atlases) are always political.” (Seite 13)

 

Dies ist eine eindrucksvolle Publikation in der Schnittstelle von kritischer Analyse und Motivation zum Aktionismus. In zehn Kapiteln motiviert das Buch die/den Leser*in, sich von der herkömmlichen Kartographie zu lösen und die Visualisierung der Welt in den Kontext gesellschaftlicher Veränderungen zu stellen. Die Karten in diesem Band sind, wie das Herausgeber-Kollektiv sie verstehen, nicht ein plattes Abbilden von Geographie oder Geologie (wie wir sie von der traditionellen Kartenerstellung her kennen), sondern sollen zum Handeln, zum Widerstand gegen ungerechte Verhältnisse, Umweltzerstörungen und Ausbeutung anleiten. In dieser Absicht sind die Kapitel-Überschriften programmatisch formuliert:

Gegen-Kartographien als:
- Mittel zum Handeln
- Tie networks
- Politisches Druckmittel
- Erziehung
- Create visibility
- Show spatial subjectivity
- Selbst-Reflexion
- Kritik

Die Herausgeber räumen gleich im Editorial ein, dass die Absicht ihres Kartenmaterials keine “Objektivität” (sofern es diese eh gibt) darstellt, sondern dass es zum kritischen Nachdenken und zum Handeln motivieren soll. Und ein Blick in die Geschichte der Kartographie gibt ihnen recht: Karten waren nie bloße Abbildungen für Territorien sondern kamen stets auch mit einem Machtanspruch daher. Folgerichtig operiert dieser Atlas, der kein Atlas im herkömmlichen Sinne sein will und auch nicht ist (vgl. sein Titel), als ein Instrument der Gegenmacht und die Fülle seiner Beispiele ist eindrucksvoll. Hier eine Auswahl:

- Die Kartierung eines Flüchtlingslagers im Libanon mittels eines selbstgebastelten Ballons mit Kamera, das als Ergebnis nicht nur eine bessere optische Sichtweise und kritisches politisches Verständnis für  die Probleme des Lagers erbringt, sondern durch eine genaue technische Erläuterung des Projekts auch zur Nachahmung anregt.

- Die Kartierung der Flüchtlingsrouten im Mittelmeer

- Die Interessen-Gegensätze zwischen Polizei und Demonstranten bei Strassenprotesten, entsprechend dargestellt durch das auf beiden Seiten verwendete Kartenmaterial

- Ein Kartenprojekt, das sich mit dem Problem leerstehender Gebäude in New York beschäftig

- Der Environmental Justice Atlas, ein interaktives Kartenwerk, das sich u.a. auf Probleme wie Fracking und umweltzerstörende Ressourcenausbeutung konzentriert und auf seiner Webseite ejatlas.org dazu motiviert, dieses Projekt durch eigene Recherchen zu ergänzen.

- Ein “Counter-Mapping” Projekt zum Widerstand und zur Solidarität in den Philippinen


Entsprechend ihrem Anspruch an politischer Aktivierung begnügen sich die Herausgeber nicht mit den Beispielen alternativen Karten, sondern geben in den Kapiteln des zweiten Teils des Buches auch ausführliche Anleitungen zu “How to become an occasional cartographer”. Durch die vielen Anfragen von außen wurde das orangogotango+ Kollektiv motiviert, eine Art Manual für das kollektive Gegen-Kartographieren zu erstellen. Das umfasst dann u.a. auch Techniken wie textile Karten und “deep maps”.

Das Buch schließt mit einer Interview-Diskussion mit dem Herausgeber-Team, wo sie engagiert aber auch selbstkritisch von ihrem Projekt berichten.

“This is not an Atlas” ist ein Buch voll eindrucksvoller fantasievoller Beispiele der “Gegen-Kartographie”. Wer über die Welt der Diercke-Atlanten und Fischer-Weltalmanachs hinausblicken will, sollte unbedingt diese Publikation zur Hand nehmen. Er wird viel Gewinn daraus ziehen, wenn sie die eindrucksvollen Beispiele durchblättert. Und das Ziel der Herausgeber ist erreicht, wenn man es nicht nur beim Lesen belässt, sondern selber praktisch mit den vielfältigen Möglichkeiten alternativer Kartographie beginnt.

Dank an den transcript Verlag, dass er sich dieses engagierten Projektes verlegerisch angenommen und das Ganze in ausgezeichneten Illustrationen visualisiert hat.

Bildergebnis für This is not an Atlas. A global collection of counter-cartographies.

Kollektiv Orangotangto+ (hg): This is not an Atlas. A global collection of counter-cartographies. Transcript Verlag. 346 Seiten. Zweite Auflage 2019. 34,99 Euro

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