Gedicht

Und du klagst Gott an?

01.08.2016 - Alia Hübsch-Chaudhry

Du,
Du hast keine Kraft mehr,
Du fühlst dich ohnmächtig, leer
Du glaubst nicht mehr an Gott,
Sprichst über Ihn mit Spott,
Du siehst soviel Leid in der Welt,
Du siehst Tag für Tag,
Wie eine neue Bombe fällt

So ungerecht, sagst du,
So sinnlos, sagst du,
so grausam, sagst du

Du wütest, fluchst über Gott,
Wie kann Er nur so passiv sein?
Du passt hier einfach nicht hinein,
Am liebsten wärst du ganz allein,
Du würdest Tag und Nacht nur wein',
Deine Fragen sind endlos
Und ragen wie Hans Bohnenranke
Nach oben, in den Himmel rein

Doch, frag ich dich
Wenn es Ihn nicht gibt,
Warum klagst du Ihn dann an?
Was ist der Sinn und Zweck daran?

Ich sehe ein unschuldiges Baby
An Malaria sterben
Ich sehe auch, so wie du,
Tausend Seelen in Scherben,
ich sehe Terror, Krieg,
Sturz ins Verderben,
Selbstgemacht von Mensch zu Mensch.

Und doch, habe ich auch gesehen
Wie Kinder ihre ersten Schritte gehen
Wie sie in Hunger, Not und Kummer stehen
Wie sie trotz Sorgen aus dem Elend erwachen,
Wie sie Glück empfinden, andere glücklich machen
Weil Glück das Einzige ist, das sich vermehrt
Wenn man es teilt, und tiefste Wunden heilt.

Afghanistan 2003.
Da ist ein Junge, der den ganzen Tag seinen Bruder Huckepack trägt. Seitdem er seine Beine durch eine Miene verlor, zeigt er ihm von seinem Rücken aus die Welt. Er bringt ihn an Orte, die er selbst nicht in der Lage ist zu erreichen. Und wenn man ihn fragt, warum er's tut, lachen beide und einer sagt: das ist mein Bruder, ich liebe ihn.


Wenn es Gott sowieso nicht gibt,
dann könntest du auch sagen,
Dann könntest du die These wagen,
genauso wie ein Kind kein Leid verdient
Hat es auch kein Glück verdient
Es hat schließlich niemandem gedient
Es ist da, ohne was dafür zu tun. Und nun?

Aber ich, ich glaube an einen Schöpfer
Der mich noch mehr liebt,
Als jede Mutter ihr Kind,
Ich glaube an einen Schöpfer,
Der Gerechtigkeit, Kraft und Erfolg,
Nach dem Tode und auch in diesem Leben bringt,
An einen Schöpfer,
der dem Menschen hat die Freiheit gegeben
Sich zu entscheiden
Zu Helfen, zu kämpfen,
aus eigenem Willen gegen das Leiden
Der dem Menschen hat die Wahl überlassen
Zu lieben oder zu hassen

Ich glaube an eine Welt,
In der Glück und Leid
Sich die Waage hält,
Denn ohne das Bewusstsein von Leid,
Gäbe es kein Bewusstsein von Glück,
Keine Erkenntnis, kein Lernen, keine Einsicht,
Kein Erreichen, Stück für Stück, kein Sieg,
Wir hätten keine Werte, nichts zu verlieren,
Der Mensch wäre gleichgültig,
würde stagnieren, sinnlos existieren.

Denn gäbe es das Leid nicht, so
Gäbe es auch keinen Fortschritt!
Keine Evolution, kein Survival of the Fittest
Keine Solidarität; keinen, den du um etwas bittest,
Weil für jeden gesorgt ist.
Keinen Dank, keine Verbesserung der Lebensqualität,
Nichts bequem, nichts angenehm,
Kein Wunsch, keine Idee, keine Zukunft, kein Zuspät.
Keine Möglichkeit zu zeigen, für was man lebt.

Entwicklung ist nur möglich
Weil es Unvollkommenheit gibt,
Weil das Hier und Jetzt auch kippt,

Wenn keine Gefahren da draußen lauern,
Wenn wir nicht würden schauern und trauern,
Wenn kein Druck von Außen ist zu überdauern
Wären wir immer noch auf Stufe eins:
wie Bakterien, dasein, dableiben und versauern

Es gäbe keinen Grund zu streben
Nur Existenz, aber kein Leben
Es gäbe keinen Grund zu rennen
Keinen Grund sich auszukennen
Keinen Grund, Seinen Namen zu nennen

Das Leid hat keine eig'ne Existenz
Es wurde nicht von Gott geschaffen
Es ist die Abwesenheit von Gutem
Wenn kein Licht, bleibt Schatten.
Ein Masterplan, der Leid und Glück hat zugelassen.
Als Brennstoff für den Karren namens Menschheit,
Schreitet voran in Verantwortung! Seid gescheit!

Aber du, sag du mir...
Willst du als Mensch leben
Oder als Einzeller existieren
Willst du nach vorne schau'n?
Oder dich in den Abgrund begeben?
Entweder, du kämpfst
Und gewinnst und
bist am Ende besser und stärker als zuvor
Oder du kämpfst nicht hart genug und verlierst
Und bist am Ende schlechter und schwächer

Wenn du nun gar nicht kämpfen willst
Wenn du nicht bereit bist aufzusteh'n
Dann kann ich dir nicht zeigen
Wie Menschen den Mond bereisen
Dann kann ich dir nicht zeigen
Das Mosaik aus bunten Kreiden,
Was Blumen sind auf grünen Weiden,
Wenn Medizin heilt große Leiden,
Wie Menschen Frieden unterschreiben
Dann kann ich dir nicht zeigen
Wie Menschen sich vor dir verneigen
Wie sie Größeres schaffen, sich selbst übersteigen,
Wie sie dir sagen, dass sie dich lieben
Wie sie verurteilen, sich zu bekriegen

Also willst du es wissen oder willst
du es lassen?

Denn wenn du es lässt
Ja, wenn du es lässt...

Hast du bereits verloren
Ohne zu kämpfen.

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